Aus den Ländern

„Die Apotheker dürfen sich nicht unter Wert verkaufen“

17. Sächsischer Apothekertag

CHEMNITZ (ks) | Eine Gesellschaft, die weitsichtig denkt, kann auf den Apotheker als Heilberufler nicht verzichten. Es wäre fahrlässig, diese niedrigschwellige Anlaufstelle für die Allgemeinheit auszudünnen und dem Marktkalkül zu überlassen. Mit dieser Überzeugung traf der Medizinethiker Professor Giovanni Maio beim Sächsischen Apothekertag in Chemnitz den Nerv der Apotheker. Die Frage ist allerdings: Wie lässt sich diese Erkenntnis in Zeiten der Digitalisierung und Ökonomisierung umsetzen? Ist eine flächendeckende Versorgung 2030 Fiktion oder Realität?

Am vergangenen Wochenende trafen sich beim 17. Sächsischen Apothekertag in Chemnitz Pharmazeuten aus dem gesamten Freistaat. Bevor das fachliche Fortbildungsprogramm begann, überbrachten der Chemnitzer Bürgermeister des Dezernates für Recht, Sicherheit und Umweltschutz, Miko Runkel, und die sächsische Staatsministerin für Soziales und Verbraucherschutz, Barbara Klepsch, ihre Grußworte. Klepsch ging dabei auch auf das Apotheken-Stärkungsgesetz ein, dessen ersten Entwurf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang vergangener Woche vorgelegt hatte. Wenngleich dieses kein Rx-Versandverbot bringt, so ist Klepsch doch überzeugt, dass sich der Minister bei diesem Gesetz „Gedanken gemacht“ habe. Es werde einiges einfacher (z. B. Wiederholungsrezepte), und die Einführung neuer, vergüteter pharmazeutischer Dienstleistungen sei ein „Schritt in die richtige Richtung“.

Was die Landespolitik betrifft, so versprach Klepsch zum einen, dass der Breitbandausbau in ganz Sachsen vorangehen werde, sodass die Apotheken für das kommende E-Rezept und die fortschreitende Digitalisierung gut aufgestellt seien. Beim Thema Pharmazeuten-Ausbildung versicherte die Staatsministerin, dass man weiter zu gemeinsamen Anstrengungen bereit sei. Nach langem Ringen hatte sich für Leipzig als Studienstandort 2016 eine Lösung gefunden – ein Selbstläufer ist diese aber noch nicht.

Foto: DAZ/ks
Moderator Dr. Reiner Kern, Kammerpräsident Friedemann Schmidt, Chef der Sächsischen Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten Oliver Schenk (CDU), Prof. Dr. Giovanni Maio, Geschäftsführer des Sächsischen Landkreistages André Jacob sowie Alexander Krauß (CDU).

Die soziale Bedeutung der Apotheke

Sodann stimmte der Arzt und Philosoph Professor Giovanni Maio, Medizin­ethiker an der Universität Freiburg, mit einem Impulsvortrag auf die anschließende Diskussionsrunde ein. Sein Thema und seine These: „Der Apotheker wird ein Heilberuf sein oder er wird nicht sein – über die soziale Bedeutung der Apotheke“. In Zeiten, da viele glauben, alle Probleme ließen sich durch ökonomische Logik lösen, zeige sich gerade am Apothekerberuf und der Arzneimittelversorgung, dass nicht alles dem Markt überlassen werden könne. Maio hob hervor, dass der Apotheker hinter jedem Kunden den Patienten sehe und diesem als freier Heilberufler „Hilfsangebote“ mache. Statt eines Vertragsverhältnisses, bei dem es um einen Tausch gleichwertiger Dinge geht, stehe hier das Vertrauensverhältnis im Vordergrund, das von einer Asymmetrie gekennzeichnet sei. Den Apotheker treffe eine Fürsorgepflicht, er informiere nicht nur, er trage auch eine persönliche Verantwortung, unter anderem indem er Patienten vor einer Selbstschädigung schütze.

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„Der Apotheker wird ein Heilberuf sein oder er wird nicht sein“ - Medizinethiker Prof. Dr. med. Giovanni Maio

Was Apotheken leisten

Oft, so Maio, werde die Leistung des Apothekers reduziert auf die Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit. Aber es gehe um weit mehr: Um Patientenschutz sowie darum, Gesundheitskompetenz zu fördern – und Letzteres nicht nur durch das Austeilen von Broschüren, sondern durch Gespräche, die helfen, sich zu orientieren, zu reflektieren und Probleme zu lösen. Zudem sei es Aufgabe der Apotheker, Adhärenz zu sichern und zu fördern und niedrigschwellig und für alle Menschen gleichsam zu sehr spezifischen Fragen ansprechbar zu sein. Dieses „Ansprechbarsein“ sei ein rares Gut geworden in Zeiten einer durchökonomisierten „Durchschleusungsmedizin“. Es gebe zwar viele Interventionen und Operationen, aber kaum noch jemanden, der Zeit habe, mit den Patienten zu sprechen. Maio: „Was Zeit kostet, wird wegrationalisiert – und das ist falsch“. In dieser Situation wäre es aus Sicht des Medizinethikers fahrlässig, die Apotheke als Ort, in dem Gespräche stattfinden können, einem Marktkalkül zu überlassen und die Apothekenlandschaft auszudünnen. Denn dann hätten die Patienten gar keinen mehr zum Reden.

Moralische und ökonomische Anerkennung notwendig

Die Tatsache, dass Apotheker etwas leisten, das zu einem knappen Gut geworden ist, sei nicht nur moralisch, sondern auch ökonomisch anzuerkennen, betonte Maio. Schließlich könnten die Apotheken auch teure Arztbesuche und Hospitalisierungen vermeiden helfen. Diese Offenheit der Apotheke für alle Menschen müsse unbedingt gerettet werden. Maios Appell: „Die Apotheken dürfen sich nicht unter Wert verkaufen, sondern mit Rückgrat den heilberuflichen Charakter ihres Berufs hochhalten – im Interesse der Patienten“.

Mit dieser Vorlage ging es in die Diskussion: Wie können Apotheker als Heilberufler in Zeiten der Webwirtschaft und Digitalisierung überleben? Hilft die Digitalisierung bei der Versorgung in der Fläche oder wirkt sie eher als Brandbeschleuniger? Neben Maio und dem Präsidenten der Landesapothekerkammer Sachsen, Friedemann Schmidt, waren der sächsische Bundestagsabgeordnete Alexander Krauß (CDU), der Chef der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten Oliver Schenk (CDU), sowie der Geschäftsführer des Sächsischen Landkreistages André Jacob geladen. Maio stellte zum Einstieg klar: Digitalisierung kann und sollte man nutzen – aber man darf nicht nur darauf setzen, sonst würden bestimmte Patientengruppen ausgegrenzt, gerade Alte und Multimorbide, die weniger internetaffin sind. „Die Beratungsleistung wird durch Digitalisierung nicht überflüssig“, betonte Maio. Das Gegenteil sei der Fall: Gerade weil Informationen aus dem Netz vielfach verunsicherten, bräuchten Patienten jemanden, der etwas verlässlich erklärt und in den richtigen Kontext setzt.

Schmidt: Webwirtschaft hat Freie Berufe im Blick

Friedemann Schmidt verwies darauf, dass auch andere Freiberufler mit der Situation konfrontiert seien, dass Leistungen, die es vorher nur zusammen gab, zunehmend entbündelt werden. Die Internetwirtschaft schaue sich die Geschäftsmodelle – etwa von Apotheken oder Anwälten – an und überlege, welche dieser Leistungen sie schneller und besser hinbekomme. Dabei sei den Unternehmen klar, dass sie nicht alle diese Leistungen anbieten können. Aber einige eben doch. So gebe es zum Beispiel Anbieter, die einfache Ordnungswidrigkeitenverfahren automatisiert erledigen. Diese Entwicklung führe auch dazu, dass Patienten glaubten, einfache Versorgungsvorgänge online abwickeln zu können. Und das kann nicht nur für die Patienten Folgen haben. Durch die Abtrennung von Versorgungsfeldern gehe auch die pauschalisierte Form der Honorierung, die lange gut funktioniert habe, kaputt, mahnte Schmidt. Zudem verwies er auf ein besonderes Prinzip in der Webökonomie: Am Ende gebe es in der Regel einen Monopolisten, und mit dem Wettbewerb ist es vorbei.

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Sachsens Kammerpräsident Friedemann Schmidt

Schenk, der im Bundesgesundheitsministerium unter Hermann Gröhe Leiter der Abteilung „Grundsatzfragen der Gesundheitspolitik und Telematik“ war, ehe er in die sächsische Landespolitik zurückkehrte, hält die Bereitschaft, Dinge online zu erledigen, ebenfalls für sehr groß. Aber gerade bei der Gesundheit gebe es den Bedarf an persön­lichen Gesprächen. Und da seien die Apotheken ein „wichtiger Haltepunkt“ für eine gute Versorgung in der Fläche. Die Vor-Ort-Apotheken hätten damit auch einen klaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Versendern. Nun gelte es, intelligente Lösungen zu finden, wie man die technischen Weiterentwicklungen, etwa das E-Rezept oder digitale Sprechstunden, mit dem Bewährten in Einklang bringen kann. Dabei gehe es auch darum, zu schauen, wie Apotheken weitere Dienstleistungen anbieten können.

Krauß: Versand ist schädlich für die Qualität

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Krauß sieht hier jedenfalls keinen Widerspruch. Mit dem Apotheken-Stärkungsgesetz will man die Versorgung in der Fläche stärken und setzt zugleich auf das E-Rezept und mehr Qualität im Versand. Denn der Versandhandel, so konstatierte Krauß, ist grundsätzlich eher „schädlich für die Qualität“ – daher soll es nun auch Vorgaben zu Temperaturanforderungen beim Transport geben. Für ihn ist ebenfalls klar, dass die Apotheke vor Ort nicht zu ersetzen ist – und überdies noch viel Potenzial hat. Auch weil es in der ärztlichen Versorgung „Engstellen“ gebe, müsse man darüber nachdenken, wo die Apotheke für Entlastung sorgen könne. Daher sehe der neue Gesetzentwurf ein Modellvor­haben zum Impfen vor. „Das wollen wir mal ausprobieren, um zu sehen, ob das funktionieren kann“, so Krauß.

Jakob als Vertreter des ländlichen Raums betonte ebenfalls, dass Apotheken ein Teil der Daseinsvorsorge und zentraler Teil der sozialen Fürsorge seien. Daher sei es auch wichtig, dass der pharmazeutische Nachwuchs in die Fläche gehe. Die Rahmenbedingungen will man dafür verbessern – unter anderem durch einen besseren Breitbandausbau, ohne den Digitali­sierung gar nicht funktionieren könne. Bis 2022/23 will man die unterversorgten Gebiete in einem ersten Schritt ausgebaut haben.

Zum Ende der Diskussion ging es nochmals um das geplante Apotheken-Stärkungsgesetz. Schmidt betonte, dass in Spahns erstem Aufschlag zwar einiges Gutes angelegt sei, aber auch noch viele Probleme drinsteckten (siehe hierzu auch S. 12).

Beim anschließenden pharmazeutischen Kongress lag der Schwerpunkt der Vorträge für Apotheker, Pharmazie-Ingenieure und PTA um besondere Herausforderungen bei der Applikation von Arzneimitteln. |

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