Politik

„Freibrief für ausländische Versand­apotheken!“

Ein Gastkommentar zum Entwurf des Apotheken-Stärkungsgesetzes

Foto: DAZ/Alex Schelbert
Dr. Elmar Mand

Am 8. April 2019 veröffentlichte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken. Wesentliches Anliegen des Gesetzes ist es, den einheitlichen Apothekenabgabepreis für Arzneimittel, die im Rahmen des sozialrechtlichen Sachleistungsprinzips von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden, sicherzustellen und die bestehende Ungleichbehandlung von inländischen (Versand-)Apotheken im Vergleich zu Versandapotheken aus dem EU-Ausland zumindest im Segment der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu beenden. Dass dieses Ziel durch den aktuellen Gesetzentwurf erreicht wird, erscheint indes mehr als fraglich. Denn die gesetzgeberischen Ziele finden im Gesetzestext aus Sicht des Verfassers keinen hinreichenden Anhalt. Für die Gerichte ist jedoch nicht die subjektive Regelungsabsicht einzelner am Gesetzgebungsverfahren Beteiligter entscheidend, sondern praktisch allein der Gesetzestext.

„Dass dieses Ziel durch den aktuellen Gesetzentwurf erreicht wird, erscheint indes mehr als fraglich.“

Mit der Streichung von § 78 Abs. 1 S. 4 Arzneimittelgesetz (AMG), welche die Geltung des einheitlichen Apothekenverkaufspreises auch für ausländische Versandapotheken klarstellt, möchte der Gesetzgeber die Position des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und der EU-Kommission „anerkennen“, nach der eine umfassende Preisbindung ausländischer Versandapotheken gegen das Unionsrecht verstößt. Tatsächlich dürfte der Wegfall der Regelung dazu führen, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht – ganz unabhängig vom Unionsrecht – auf ausländische Versandapotheken nicht mehr direkt anwendbar ist. Denn die Streichung der zuvor kontroversen Bestimmung kann sinnvoll nur dahin interpretiert werden, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht keinen Geltungsanspruch für EU-ausländische Versandapotheken mehr erhebt.

„Tatsächlich dürfte der Wegfall der Regelung dazu führen, dass das deutsche Arzneimittelpreisrecht – ganz unabhängig vom Unionsrecht – auf ausländische Versandapotheken nicht mehr direkt anwendbar ist.“

Demgegenüber dürfte der Versuch des Gesetzgebers, mit dem bloßen Verweis auf den einheitlichen Apothekenabgabe­preis in der sozialrechtlichen Regelung des § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch (SGB) V ausländische Versender nunmehr zumindest im Bereich der Versorgung gesetzlich Versicherter auf die Gleichpreisigkeit zu verpflichten, nicht funktionieren: Es ist lediglich von der „Einhaltung“ der Preis­regeln im Bereich des Rahmenvertrags die Rede. Eine Erweiterung des persönlichen oder international-privatrecht­lichen Anwendungsbereichs der Preisregeln lässt sich daraus aber nicht ableiten. Hierfür übliche Begriffe wären „gilt auch“ oder „ist auch anwendbar“; sie gebraucht das Gesetz jedoch nicht. Außerdem verzichtet der Gesetzgeber vollständig auf einen Hinweis im Gesetzestext, aus dem sich eine Preisbindung ausländischer Versender herleiten ließe. Letztlich ist § 129 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB V daher lediglich als Rechtsgrundverweisung auf das arzneimittelrechtliche Preisrecht auszulegen. Dieses klammert künftig ausländische Versender aber vom Anwendungsbereich explizit aus. Nichts anderes gilt dann über die Verweisung im SGB V bei der Versorgung von gesetzlich Versicherten.

„Sollte der Gesetzgeber die Gleichpreisigkeit im grenzüberschreitenden Handel aber tatsächlich anordnen, dürfte eine juristische Auseinandersetzung vor dem EuGH nicht zu vermeiden sein, auch wenn sich diese auf die GKV beschränkt.“

Um eine Bindung ausländischer Versandapotheken im GKV-Bereich zu erreichen, bedürfte es einer sogenannten einseitigen Kollisionsnorm, die – wie aktuell § 78 Abs. 1 S. 4 AMG – anordnet, dass auch ausländische Versender bei der Lieferung an GKV-Versicherte in Deutschland preis­gebunden sind. Sollte der Gesetzgeber die Gleichpreisigkeit im grenzüberschreitenden Handel aber tatsächlich anordnen, dürfte eine juristische Auseinandersetzung vor dem EuGH nicht zu vermeiden sein, auch wenn sich diese auf die GKV beschränkt. Denn der GKV-Markt macht etwa 90% des Gesamtmarktes in Deutschland aus und die EU-Kommission hat ihre Position umfassend formuliert, ohne zwischen gesetzlich und privat Versicherten zu differenzieren.

Nun gibt es gute Gründe, die dafür sprechen, dass ein erneutes Verfahren vor dem EuGH durchaus zu einer Neueinschätzung führen wird. Der EuGH hat den Verstoß des einheitlichen Apothekenverkaufspreises in Deutschland gegen die Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt nur deshalb festgestellt, weil im damaligen Verfahren vom vorlegenden deutschen Gericht keine ausreichenden Belege zu dessen Eignung und Erforderlichkeit vorgebracht wurden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland zeigt sich aber dafür offen, einen neuen Versuch vor dem EuGH mit entsprechen Nachweisen zu unternehmen. Deutsche Gerichte haben den Gesetzgeber sogar bereits um Hilfe gebeten und eine Stellungnahme zur Erforderlichkeit des einheitlichen Apothekenabgabepreises eingefordert. Seit über einem Jahr blieb das BMG diese Stellungnahme schuldig. Und auch der aktuelle Gesetzentwurf ist hierfür keine gute Grundlage.

Zum einen fehlt im Gesetz jede fundierte Begründung, wie die Gleichpreisigkeit das erklärte Ziel einer flächendeckenden, qualitativ hochwertigen Versorgung durch Apotheken, die pharmazeutische Dienstleistungen ortsnah anbieten und auch Akutarzneimittel bereitstellen, gewährleistet. Eine solche Begründung hat der EuGH für die Rechtfertigung jedoch verlangt. Der dürre Verweis auf einige Strukturprinzipien der GKV, etwa das Sachleistungsprinzip und die Steuerungsfunktion von Zuzahlungen, ersetzt diese Begründung nicht. Zum anderen lässt sich das genannte Ziel widerspruchsfrei nur dann aufrechterhalten, wenn wirklich die gesamte Lieferkette und alle Endverbraucher an die Preisregelungen gebunden sind. Warum Ausnahmen z. B. für Privatpatienten gelten sollen, ist nicht einsichtig. Damit ist im Gesetz jedoch eine inkohärente Wertung angelegt, welche die Rechtfertigung insgesamt infrage stellt.

Schließlich führt der Gesetzentwurf dazu, dass alle aktuellen Klagen von Wettbewerbern und Verbänden gegen ausländische Versandapotheken nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb unabhängig vom Unionsrecht abzuweisen sind. Denn all diese Klagen stützten sich auf eine Verletzung von § 78 Abs. 1 und Abs. 2 AMG in Verbindung mit § 3 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV). Diese Normen sind jedoch nach der Streichung von § 78 Abs. 1 S. 2 AMG künftig nicht mehr anwendbar. Deshalb ist der hoffnungsvolle Weg zum EuGH versperrt.

„Deutsche Gerichte haben den Gesetzgeber sogar bereits um Hilfe gebeten und eine Stellungnahme zur Erforderlichkeit des einheitlichen Apothekenabgabepreises eingefordert. Seit über einem Jahr blieb das BMG diese Stellungnahme schuldig.“

Und § 129 Abs. 1 SGB V schafft auch künftig keine Kompensation. Denn die Vorschrift liefert selbst keine Handhabe für lauterkeitsrechtliche Unterlassungs­klagen. Mit Blick auf § 69 Abs. 1 SGB V handelt es sich bei § 129 SGB V nicht um eine Marktverhaltensnorm, die über § 3a UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb) lauterkeitsrechtliche Ansprüche begründet. Überdies sind die Sanktionen in § 129 Abs. 4 SGB V als abschließend gedacht.

„Schließlich führt der Gesetzentwurf dazu, dass alle aktuellen Klagen von Wettbewerben und Verbänden gegen ausländische Versandapotheken nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb unabhängig vom Unionsrecht abzuweisen sind.“

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Gesetzgeber einen halbherzigen Versuch unternommen hat, die Gleichpreisigkeit wenigstens im GKV-Segment aufrechtzuerhalten. In der bisherigen Form erfüllt das Gesetz aber nicht einmal den eigenen Anspruch. Im Übrigen wäre eine Preisbindung allein bei der Versorgung gesetzlich Versicherter keine gleichwertige Alternative zu einem Rx-Versandverbot. Unabhängig von vielfältigen Umgehungsstrategien und Rechtsdurchsetzungsproblemen dürfte ein kupiertes Preisrecht gegenüber ausländischen Versandapotheken rechtlich wie politisch das Ende der bisherigen Preisbindung unausweichlich machen. Rechtlich ist die partiell fortbestehende und vom deutschen Gesetzgeber abgesegnete Inländerdiskriminierung jedenfalls gegenüber privat Versicherten ein Hebel, um das Preisrecht insgesamt anzugreifen. Faktisch erhalten die häufig in der Rechtsform von Kapitalgesellschaften agierenden ausländischen Versandapotheken den Freibrief, auf einem für den Ertrag von Apotheken ganz wesentlichen Teilmarkt ihre disruptive Preispolitik zu entfalten. |

Dr. Elmar Mand, LL.M. (Yale), Philipps-Universität Marburg, Universitätsstraße 6, 35032 Marburg

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