- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 19/2019
- Zwei Thesen zu wenig
Die Seite 3
Zwei Thesen zu wenig
Seit letzter Woche ist er wieder online: der Wahl-O-Mat, diesmal zur Europawahl am 26. Mai. Anhand von 38 politischen Thesen können Erst- und Jungwähler prüfen, welche Parteien zu den eigenen Ansichten am besten passen.
Was auffällt, ist, dass keine einzige These aus dem Themengebiet Gesundheit kommt. Gesundheitspolitik in der Europäischen Union ist nämlich eine Angelegenheit der Nationalstaaten. Sie tragen die volle Verantwortung für die Organisation des nationalen Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung. Die EU mit ihren Institutionen kann höchstens Unterstützung leisten oder die Zusammenarbeit fördern.
Auf dieser Grundlage wurde 2009 das EuGH-Urteil zum Apothekenfremdbesitzverbot in Deutschland begründet. 2016, als es um die Arzneimittelpreisbindung ging, lag diese Argumentationsweise für die EuGH-Richter dagegen in weiter Ferne. Auch das Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland, das seit 2013 läuft, blendet aus, dass es sich bei der Gleichpreisigkeit um ein ordnungspolitisches Instrument handelt, das Leistungserbringer und Patienten gleichermaßen schützen soll. Zu viel freie Marktwirtschaft ist in so sensiblen Lebensbereichen wie dem Gesundheitswesen eben fehl am Platz.
Sowohl für den EuGH als auch die EU-Kommission scheinen in dieser Angelegenheit jedoch die marktliberalen und unternehmerischen Interessen der EU-Versender im Vordergrund zu stehen. Das ist natürlich auch der Tatsache geschuldet, dass die Bundesregierung bis heute keinen Nachweis oder wenigstens eine nachvollziehbare Argumentation erbracht hat, inwiefern die Arzneimittelpreisbindung die flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung der eigenen Bevölkerung garantiert. Eine diesbezügliche Anfrage des Oberlandesgerichtes München lässt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn seit über einem Jahr unbeantwortet.
In diesem Zusammenhang wundert es nicht, dass Spahn andererseits der EU-Kommission in einem Brief zusichert, den entsprechenden Passus im Arzneimittelgesetz, der den Versendern die deutsche Arzneimittelpreisbindung vorschreibt, zu streichen. Das lässt sich wohl weniger als diplomatische Gepflogenheit, sondern vielmehr als bewusstes Statement werten – getreu dem Motto „Fakten schaffen, bevor es andere tun.“
Es wäre fatal gewesen, wenn die ABDA-Mitgliederversammlung zwei Tage nach Bekanntwerden dieses Schreibens zu einem anderen Beschluss gekommen wäre, als dem Minister in dieser Angelegenheit einstimmig eine klare Absage zu erteilen. Ein guter Schachzug außerdem, gleichzeitig wieder die Aussicht auf das Rx-Versandverbot ins Spiel zu bringen. Beschämend dagegen, dass in der Mitgliederversammlung dem Vernehmen nach sehr lange und intensiv darum gerungen werden musste.
Der Versandhandelskonflikt hat eine europapolitische Dimension, und die Apotheker befinden sich mittendrin. Im Berufsstand rumort es, und aus der Enttäuschung über die aktuelle Gesundheitspolitik können sich Verdrossenheit und Protest entwickeln. Die Arzneimittelversorgung ist Teil eines jeden Gesundheitswesens und hat daher weniger mit der Warenverkehrsfreiheit in der EU zu tun. Daher fehlen im Wahl-O-Mat zwei wichtige Thesen. Nr. 39: Arzneimittel sind keine üblichen Handelswaren. Nr. 40: Um die flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung zu garantieren, darf es in den Mitgliedsstaaten eine Arzneimittelpreisbindung geben.
Ein Wunschdenken? Vielleicht. Eine Notwendigkeit? Auf jeden Fall. Allerdings stellt sich die Frage, bei welcher Partei diese Thesen aktuell beheimatet wären.
Armin Edalat
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.