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Die Seite 3
Gut gemeint, schlecht gemacht?
Gesundheitsminister Spahns Entwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ verfehlt an entscheidender Stelle das in seinem Namen selbst gesteckte Ziel. Spätestens beim zweiten Lesen wird deutlich: Gestärkt werden vor allem die Arzneiversender, die aus dem EU-Ausland nach Deutschland liefern. Was den Vor-Ort-Apotheken im Gegenzug als Zückerli geboten wird, ist weitaus weniger gewichtig, wenngleich erfreulich (s. S. 22). Die Zeit war mehr als reif dafür. Insbesondere gilt dies für einen ersten Einstieg in honorierbare pharmazeutische Dienstleistungen.
Nicht akzeptabel und hochgefährlich ist, wie Spahn auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016 zu reagieren gedenkt. Der EuGH hatte entschieden, dass Arzneiversendern, die aus dem EU-Ausland nach Deutschland liefern, abweichend von den bestehenden Regelungen (§ 78 AMG) erlaubt werden müsse, was Inlandsapotheken strikt verboten ist: nämlich über Gewährung von Boni und Rabatten Patienten zu ködern. § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG, über den klargestellt wird, dass die Arzneimittelpreisverordnung – und damit die Gewährleistung einheitlicher Apothekenabgabepreise – auch für die von EU-Arzneiversendern gelieferten Arzneimittel gilt, verstößt nach Auffassung des EuGH gegen Unionsrecht.
Spahn ist bereit, sich diesem Diktum zu unterwerfen und § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG zu streichen – sehr zum Wohlgefallen seiner Freunde aus der EU-Versender-Szene. Denn durch diesen Schritt entzieht er allen durchaus aussichtsreichen Verfahren gegen die nach gegenwärtigem deutschem Recht illegale Gewährung von Boni den Boden. Dabei hätte er anders reagieren müssen. Er hätte aufgrund des Koalitionsvertrags die Linie seines Amtsvorgängers Gröhe fortsetzen und dafür kämpfen müssen, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln generell zu verbieten (RxVV). EU-rechtlich ist das möglich. Die meisten EU-Länder haben entsprechende Regelungen. Unterstützer dafür gab es, und gute Argumente auch. Zum Beispiel die irritierend schwache Begründung des EuGH, wonach „Versandapotheken mit ihrem eingeschränkten Leistungsangebot“ schlechter in der Lage seien, „vor Ort individuell zu beraten und eine Notfallversorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen“. Weshalb Preiswettbewerb für Versandapotheken ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor sei als für traditionelle Apotheken.
Spahn hat zuletzt mehrfach versichert, „Gleichpreisigkeit“ sei auch ihm wichtig. Er strebe deshalb in seinem Stärkungsgesetz eine Regelung über das Sozialrecht (SGB V) an. Dabei blieben dann zwar Privatpatienten und Selbstzahler außen vor. Dort bliebe Gleichpreisigkeit ungesichert. Aber es bliebe mit den GKV-Patienten „ein Bereich, wo Europa nicht mitreden kann“. Sein Parteikollege Michael Hennrich (einstmals ein tapferer Kämpfer für ein „RxVV“) erläuterte auf dem DAV-Wirtschaftsforum, dass man sich in diesem Zusammenhang auf den EU Vertrag und dort auf Art. 168 Abs. 7 berufe (s. S. 20). Der Wortlaut dieses Artikels offenbart allerdings, dass der Bereich, in dem die Union nicht mitreden kann, wo die Einzelstaaten also weitgehend souverän bleiben, sehr viel umfassender beschrieben wird. Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung – so auch hier: „Bei der Tätigkeit der Union wird die Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Festlegung ihrer Gesundheitspolitik sowie für die Organisation des Gesundheitswesens und die medizinische Versorgung gewahrt. Die Verantwortung der Mitgliedstaaten umfasst die Verwaltung des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung sowie die Zuweisung der dafür bereitgestellten Mittel.“
Dass auf Basis dieser Formulierungen dem Sozialversicherungsbereich exklusive Souveränitätsrechte zustehen, die ansonsten nicht bestehen, erschließt sich nicht. Spahn sollte § 78 AMG also unangetastet lassen, den Forderungen von EU-Kommission und EuGH also nicht nachgeben. Ein dann zu erwartendes, erneutes Verfahren vor dem EuGH bietet für ehrliche Verteidiger der Gleichpreisigkeit mehr Chancen als Risiken.
Klaus G. Brauer
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