Arzneimittel und Therapie

Durchgefallen!

Stiftung Warentest zeigt sich bei vielen Antidiabetika skeptisch

cst | Stiftung Warentest nimmt von A bis Z so ziemlich alles unter die Lupe. Kürzlich waren Arzneimittel zur Behandlung des Typ-2-­Diabetes an der Reihe. Mit einem Ergebnis, das stutzig macht: Eine uneingeschränkte Empfehlung wird nur für Metformin und Insulin aus­gesprochen.

Wie kommt Stiftung Warentest zu diesem Urteil? Zur Bewertung der Antidiabetika haben Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Abteilung Arzneimittelversorgungsforschung an der Universität Bremen und Dr. Judith Günther, Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Daten aus Studien gesichtet. Ob ein Arzneimittel „geeignet“, „mit Einschränkung geeignet“ oder „wenig geeignet“ ist, wurde an dessen therapeutischer Wirksamkeit, dem Nutzen-­Risiko-Profil und dem Erprobungsgrad fest gemacht. Wirklich überzeugt waren die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest allerdings nur von wenigen Substanzen. So werden Metformin zahlreiche Vorteile attestiert: geringes Hypoglykämierisiko, günstige Wirkung auf das Körpergewicht, Verringerung von Folgekomplikationen. Der Klassiker unter den Antidiabetika sei somit das Mittel der Wahl.

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Was sagen die Leitlinien?

Diese Einschätzung entspricht auch den Empfehlungen der nationalen Versorgungsleitlinie zur Therapie des Typ-2-Diabetes von 2014, die sich derzeit in Überarbeitung befindet.

Doch dann scheiden sich die Geister: Neben Metformin wurde von Stiftung Warentest lediglich Insulin als „geeignet“ angesehen. Insulin kommt bekanntermaßen dann zum Einsatz, wenn der Blutzucker mit anderen Arzneimitteln nicht mehr ausreichend kontrolliert werden kann. Im Therapiealgorithmus der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) werden in der nationalen Versorgungsleitlinie nach Versagen der Metformin-Therapie zahlreiche weitere Optionen gelistet, die vor einer Insulin-Therapie in Kombination mit Metformin eingesetzt werden können. Da alle Substanzen ihre eigenen Vor- und Nachteile besitzen, wird keine bevorzugte Empfehlung ausgesprochen.

Im aktuellen Konsensus-Papier der amerikanischen (ADA, American Diabetes Association) und der europäischen Fachgesellschaft (EASD, European Association for the Study of Diabetes) von 2018 werden einzelne Patientengruppen sehr differenziert betrachtet: Bei Patienten mit athero­sklerotischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinsuffizienz oder chronischen Nierenerkrankungen werden nach initialer Metformin-Therapie Glucagon-like-Peptide‑1(GLP-1)-Rezeptoragonisten wie Liraglutid (Victoza®) bzw. Inhibitoren des Sodium dependent glucose transporter 2 (SGLT-2) wie Empagliflozin (Jardiance®) empfohlen, deren Nutzen in den entsprechenden Populationen nachgewiesen wurde. Steht eine Gewichtsreduktion im Vordergrund, wird diesen Substanzklassen ebenfalls der Vorzug gegeben. Soll das Risiko für Hypoglykämien minimiert werden, sind zudem Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-Hemmer (z. B. Sitagliptin) oder Thiazolidindione (z. B. Pioglitazon) eine Option. Sulfonylharnstoffe und Insulin werden generell erst dann empfohlen, wenn mit anderen Therapien keine ausreichende Blutzuckereinstellung erzielt werden kann. Es sei denn, die Kosten stehen im Vordergrund: Dann kommen Sulfonylharnstoffe auch früher in Betracht.

„Geeignetes“ im Kleingedruckten

Bei Patienten mit bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen erachtet auch Stiftung Warentest den SGLT-2-Inhibitor Empagliflozin und den GLP-1-Rezeptoragonisten Liraglutid als „geeignet“. Allerdings muss man hierfür schon genau hinschauen: Die positive Einschätzung ist im Kleingedruckten als Fußnote zu finden. Ansonsten werden die beiden Substanzklassen als „mit Einschränkung geeignet“ bewertet. Dieses Schicksal wird auch den DPP-4-Hemmern, Gliniden und Sulfonylharnstoffen zuteil. Sulfonylharnstoffe bergen ein vergleichsweise hohes Risiko für Hypoglykämien und fördern überflüssige Pfunde. Dennoch werden sie von Stiftung Warentest als „besonders gute Wahl, falls Metformin nicht möglich ist“ angepriesen. Bei den neueren Substanzen kritisiert Stiftung Warentest insbesondere die fehlenden Langzeitdaten. Thiazolidindione und der alpha-Glucosidase-Hemmer Acarbose werden als „wenig geeignet“ betrachtet.

Entspricht das Urteil von Stiftung Waren­test tatsächlich dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand? Wir haben bei der Deutschen Diabetes Gesellschaft nachgefragt (siehe unten). |

Literatur

Diabetes Typ 2 – So kann man mit Diabetes gut leben. Stiftung Warentest. Test 5/2019:88-91

Nationale VersorgungsLeitlinie Therapie des Typ-2-Diabetes – Langfassung, 1. Auflage. Version 4. 2013, zuletzt geändert: November 2014. AWMF-Registernr.: nvl-001g. www.dm-therapie.versorgungsleitlinien.de; Abruf am 17. Juni 2019

Davies MJ et al. Management of hyperglycaemia in type 2 diabetes, 2018. A consensusreport by the American Diabetes Association (ADA) and the EuropeanAssociation for the Study of Diabetes (EASD). Diabetologia. 2018;61(12):2461-2498



„Stiftung Warentest überschreitet ihre Kompetenz“

Ein Stellungnahme der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG)

Die DDG begrüßt grundsätzlich evidenz­basierte Patientenaufklärung und Nutzenbewertungen von Medikamenten nach aktuellem medi­zinischem Standard. Im Artikel der Stiftung Warentest „Diabetes Typ 2 – So kann man mit Diabetes gut leben“ vom 26. April 2019 sehen wir dies in Teilen nicht erfüllt, so dass Betroffene potenziell Fehl­behandlungen mit ungünstigen Folgen erleiden könnten.

Die DDG betont, dass Grundlage seriöser Arzneimittelbewertung randomisierte kontrollierte Studien sind. Zur Einordnung der Studienergebnisse bedarf es zusätzlicher praktischer Erfahrung in der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. In ihrer Bewer­tung stützt sich die Stiftung Warentest nicht auf diese Grundlagen, so dass Arzneimittelprofile und auch Ergebnisse neuerer kardiovaskulärer Endpunktstudien nur ansatzweise erwähnt sind [1 – 3].

Die unausgewogene Bewertung zeigt sich z. B. darin, dass bei Metformin die Reduktion von Diabeteskomplikationen im Haupttext der Tabelle aufgeführt wird, während bei SGLT-2-Inhibitoren und GLP‑1-­Rezeptoragonisten dieser Effekt in einer Fußnote eher versteckt wird. Die wissenschaftliche Evidenz zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse für diese neueren Wirkstoffe ist jedoch viel eindeutiger als die für Metformin. Die positiven Eigenschaften von Metformin auf klinisch relevante Endpunkte wurden aus der UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) abgeleitet [4]. Dort wies Metformin aber keine Reduktion mikrovaskulärer Komplikationen auf, und die Reduktion der makrovaskulären Komplikationen beruht auf der Analyse von nur 342 Patienten. Zudem hat die Zugabe von Metformin zu Sulfonylharnstoffen in einer Subanalyse der UKPD-Studie zu einer erhöhten Mortalität geführt. Die medizinische Evidenz zur Reduktion kardiovaskulärer Endpunkte unter SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten resultiert aus großen Outcome-Studien mit jeweils mehr als 7000 oder 17.000 Patienten mit Typ-2-Diabetes.

Es bleibt auch unerwähnt, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) für Medikamente aus der Klasse der SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten einen Zusatz­nutzen gegenüber einer Vergleichstherapie mit Metformin und Sulfonylharnstoffen in der Arzneimittelnutzenbewertung attestiert hat und diese auch im Disease Management Programm (DMP) für Typ-2-­Diabetes aufgenommen wurden.

Die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft DDG fordert, dass Informationen zu Diabetestherapien dem aktuellen medizinischen Standard und der verfügbaren wissenschaftlichen Evidenz entsprechen. Hierzu gibt es evidenzbasierte Leitlinien, die nach einem Regelwerk der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) erstellt werden und auf deren Homepage frei einsehbar sind.

Der oben genannte Artikel basiert aber weder auf einem Medikamententest noch auf einer wissenschaftlich fundierten Einordnung. Mit einer Empfehlung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die auch nur von Ärzten gegeben werden kann, überschreitet die Stiftung Warentest ihre Kompetenz und gefährdet aus DDG-Sicht sowohl ihr seriöses Image als auch das Vertrauen der Leserschaft in ihre Zeitschrift. |

Literatur

[1] Zinman B et al. Empagliflozin, Cardiovascular Outcomes, and Mortality in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2015;373(22):2117-2128

[2] Marso SP et al. Liraglutide and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2016;375(4):311-322

[3] Wiviott SD al. Dapagliflozin and Cardiovascular Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2019;380(4): 347-357

[4] UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Effect of intensive blood-glucose control with metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). Lancet 1998;352 (9131):854-865

Prof. Dr. Monika Kellerer, Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Prof. Dr. Baptist Gallwitz für die Deutsche Diabetes Gesellschaft

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