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Phytotherapie

Ausgezeichnete Heilpflanze

Was in Hypericum perforatum steckt

Schon zum zweiten Mal nach 2015 ist dem Johanniskraut nun eine besondere Ehrung zuteil geworden: Nachdem der „Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg es zur „Arzneipflanze des Jahres 2015“ kürte, wurde es jetzt „Heilpflanze des Jahres“, ein Titel, den der Verein zur Förderung der naturgemäßen Heilweise (NHV) nach Theophrastus Bombastus all­jährlich vergibt. Der Verein möchte mit der Wahl nach eigener Aussage „das Vertrauen der Menschen in diese altbewährte Heilpflanze stärken“. Aus diesem aktuellen Anlass soll im Folgenden der Stand der Wissenschaft zusammengefasst werden. | Von Kristina Jenett-Siems

Das Echte Johanniskraut oder Tüpfel-Johanniskraut (Hypericum perforatum, Hypericaceae) ist eine ca. 50 cm hoch werdende gelb-blühende krautige Pflanze, die in Europa, West­asien und Nordafrika heimisch ist. Als verbreitete Ruderalpflanze ist das Johanniskraut inzwischen aber auch in Ost­asien, Nordamerika und sogar Australien eingebürgert. Das lateinische Artepithet „perforatum“ weist auf die durchscheinend punktierten Laubblätter hin, ein Phänomen, das durch schizogene Ölbehälter, die ein farbloses ätherisches Öl enthalten, verursacht wird. Zusätzlich sind am Rand der Laubblätter, aber auch auf den Blütenblättern dunkle, Hypericin-haltige Drüsen vorhanden (Abb. 1). Johanniskraut hat in Europa eine bis in die Antike zurückreichende Tradition. Im klassischen Griechenland wurden Pflanzen der Gattung Hypericum zur Dekoration religiöser Statuen und Bilder verwendet, um böse Geister abzuwehren. Aus dem frühen Mittelalter ist die Bezeichnung „fuga daemonum“ (frei übersetzt: um Dämonen in die Flucht zu schlagen) überliefert. Nach heidnischem Glauben trieben die bösen Geister insbesondere in den Tagen um die Sommersonnenwende herum ihr Unwesen, so dass entsprechende Schutzmaßnahmen als besonders wichtig angesehen wurden, und gerade zu dieser Zeit beginnt ja hierzulande, das Johanniskraut zu blühen [1]. Mit der Christianisierung erfolgte vielfach eine Umwidmung von heidnischen Festtagen, und so kam es zur Einführung des Johannistages (Geburtstag von Johannes dem Täufer) am 24. Juni in zeitlicher Nähe zu den ursprünglich heidnischen Sonnwend-Feierlichkeiten, so dass H. perforatum schließlich im deutschen Sprachraum den Namen Johanniskraut erhielt. Vermutlich wurde das Kraut, das der Abwehr böser Geister diente, auch schon in der Antike zur Behandlung von Menschen mit psychischen Erkrankungen eingesetzt, belegt ist diese Verwendung aber erst seit dem Mittelalter, wo Johanniskraut z. B. im „Lorscher Arzneibuch“ (ca. 795 n. Chr.) als Mittel gegen Melancholie empfohlen wird.

Die Droge besteht aus den zur Blütezeit geernteten und getrockneten Zweigspitzen, wesentliche Inhaltsstoffgruppen sind die Naphthodianthrone (Hypericin und Pseudohypericin), Phloroglucin-Derivate (Hyperforin) (Abb. 2), Flavonoide (z. B. Hyperosid, Rutosid, auch Biflavone, Abb. 3) sowie ein Sesquiterpen-reiches ätherisches Öl. Im Europäischen Arzneibuch ist eine Monographie für einen quantifizierten Trockenextrakt enthalten. Zur Herstellung können Methanol (50 bis 80%) oder Ethanol (50 bis 80%) als Extraktionsmittel verwendet werden. Der Extrakt muss einen Mindestgehalt von 0,1 bis 0,3% Hypericinen und 6% Flavonoiden (berechnet als Rutin) aufweisen und darf einen Maximalgehalt von 6% Hyperforin nicht überschreiten.

Abb. 1: Hyperici herba Die Droge besteht aus den zur Blütezeit geernteten und anschließend getrockneten Zweigspitzen von Hypericum perforatum L.. Auffallend sind die gelben bis gelbbraunen in traubig zusammengesetzten Trugdolden stehenden Blüten, deren Kronblätter auf der Fläche zahlreiche dunkle Punkte oder Striche aufweisen. Die hell- bis braungrünen, eiförmig-elliptischen, bis 3,5 cm langen Blätter sind ganzrandig, kahl und deutlich durchscheinend punktiert. Charakteristisch ist der mit zwei Längsleisten versehene Stängel, der eine Unterscheidung von anderen Hypericum-Arten ermöglicht. [Blaschek W. (Hrsg.). Wichtl – Teedrogen und Phytopharmaka. Ein Handbuch für die Praxis. 6., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart 2016]

Klinischer Einsatz bei leichten bis mittelgradigen Depressionen

Nachdem Mitte der 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts erste Belege für eine antidepressive Wirkung gefunden worden waren, begann eine intensive wissenschaftliche Erforschung der pharmakologischen Effekte des Johanniskrauts. Die Wirksamkeit standardisierter Extrakte bei leichten bis mittelschweren Depressionen, nicht aber bei schweren Verlaufsformen, gilt inzwischen als gesichert. Auf europäischer Ebene existiert eine positive HMPC (Herbal Medicinal Product Committee)-Monographie (well-established use = anerkannte medizinische Wirkung und akzeptierte Unbedenklichkeit), und die aktuelle S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) kommt zu folgender Empfehlung: „Wenn bei leichten oder mittelgradigen depressiven Episoden eine Pharmakotherapie erwogen wird, kann bei Beachtung der spezifischen Nebenwirkungen und Interaktionen ein erster Therapieversuch auch mit Johanniskraut unternommen werden“ [2]. Hierbei berufen sich die Autoren der Leitlinie auf einen Cochrane-Review von 2008, der den untersuchten Johanniskrautextrakten eine Überlegenheit gegenüber Placebo bescheinigt [3]. Im Jahr 2016 wurde diese positive Einschätzung von den Autoren eines weiteren Reviews bestätigt [4]. Betrachtet wurden 35 klinische Studien mit insgesamt 6993 Patienten; die Studienmedikation wirkte bei guter Verträglichkeit in nahezu allen Studien signifikant besser als Placebo (Ansprechrate von 56% versus 35% für Placebo) und zeigte sich in mehreren Vergleichsstudien ebenbürtig zu den verwendeten Anti­depressiva. Allerdings verweisen die Autoren auf eine in ihren Augen problematische Heterogenität der eingeschlos­senen Studien und bemängeln die immer noch unzureichenden Erkenntnisse hinsichtlich optimaler Extraktzusammensetzung und Dosierung. Tabelle 1 zeigt eine Auswahl Johanniskraut-Extrakt-haltiger Präparate, die zur Verfügung stehen.

Abb. 2: Naphthodianthrone und das Acylphloroglucinol Hyperforin aus dem Kraut von Hypericum perforatum.

Abb. 3: Flavonoid-Derivate aus dem Kraut von Hypericum perforatum.

Wirkmechanismus

Verglichen mit der inzwischen doch recht überzeugenden klinischen Datenlage sind die Erkenntnisse zum Wirk­mechanismus weiterhin lückenhaft. Nach und nach sind verschiedene Angriffspunkte unterschiedlicher Johanniskraut-Inhaltsstoffe entdeckt worden, die aber alle für sich genommen nicht dessen klinische Effektivität zu erklären vermögen. Insofern handelt es sich beim Johanniskraut um ein typisches Beispiel für eine Arzneipflanze, bei der der Gesamtextrakt als Wirkstoff aufzufassen ist. Die einzelnen Inhaltsstoffe scheinen sich dabei, sowohl was Pharmako­dynamik als auch was Pharmakokinetik anbetrifft, in ihrer Wirkung gegenseitig zu beeinflussen und zu verstärken. So hemmen Hypericum-Extrakte und Hyperforin, wie viele chemische Antidepressiva auch, die Wiederaufnahme von Neurotransmittern aus dem synap­tischen Spalt. Die Hemmung erfolgt allerdings relativ unspezifisch, betroffen sind neben Serotonin, Noradrenalin und Dopamin auch γ-Amino­buttersäure (GABA) und L-Glutamat. Die Inhaltsstoffe des Johanniskrauts greifen dabei nicht direkt an den Transportproteinen der einzelnen Neurotransmitter an, vielmehr scheint der Effekt auf einer Erhöhung der intrazellulären Natriumionen-Kon­zentration durch Beeinflussung von Ionenkanälen zu beruhen [5]. Des Weiteren interagieren Hyperforin und Hyperosid mit dem zentralen α-adrenergen System. Vergleichbar mit Desipramin kommt es in Zellkulturen zu einer Herunterregulierung der entsprechenden Rezeptoren und in der Folge zu einer Abschwächung der Signalweiterleitung. Bei depressiven Patienten findet sich zudem häufig eine gestörte Funktion der Achse Hypothalamus-Hypophyse-Nebennierenrinde, die zu unphysiologischen Stressreaktionen unter Beteiligung des Stresshormons Cortisol führt. In verschiedenen Modellen konnten auch hier positive Effekte im Sinne einer Normalisierung der Achsenfunktion durch Johanniskraut-Extrakte und Hypericin demonstriert werden, die allerdings nur teilweise mit den bekannten Wirkprofilen synthetischer Antidepressiva in Einklang standen [6].

Tab. 1: Monopräparate mit Johanniskraut-Extrakten (Beispiele) [Lauer Fischer Taxe, Stand: 16. Juli 2019]
Präparat
Extrakt / Auszugsmittel
Indikation
Dosierung
Monopräparate
Felis®
1 Hartkapsel mit 425 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3,5 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 60% (m/m)
leichte vorübergehende depressive Störungen
ab zwölf Jahren: 1 Kapsel 425 mg zweimal täglich
1 Filmtablette mit 650 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3,5 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 60% (m/m)
leichte vorübergehende depressive Störungen
ab 18 Jahren: ½ Tablette 650 mg zweimal täglich
Hyperforat®
1 Filmtablette mit 250 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3,5 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 60% (V/V)
leichte vorübergehende depressive Störungen
ab zwölf Jahren: 1 Tablette zwei- bis dreimal täglich
Jarsin®
1 überzogene Tablette mit 300 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 6:1); Auszugsmittel: Methanol 80% (V/V)
leichte depressive Episoden
ab zwölf Jahren: 1 Tablette 300 mg dreimal täglich
1 Filmtablette mit 450 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 6:1); Auszugsmittel: Methanol 80% (V/V)
leichte depressive Episoden
ab zwölf Jahren: 1 Tablette 450 mg zweimal täglich
Jarsin® RX
(verschreibungspflichtig)
1 überzogene Tablette mit 300 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 6:1); Auszugsmittel: Methanol 80% (V/V)
mittelschwere depressive Episoden
ab zwölf Jahren: 1 Tablette 300 mg dreimal täglich
Johanniskraut 650 - 1A Pharma Film­tabletten
1 Filmtablette mit 650 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3,5 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 60% (m/m)
leichte vorübergehende depressive Störungen
ab 18 Jahren: ½ Filmtablette 650 mg zweimal täglich
Johanniskraut dura®
1 Hartkapsel mit 425 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3,5 – 6:1);
Auszugsmittel: Ethanol 60% (m/m)
leichte vorübergehende depressive Störungen
ab zwölf Jahren: 1 Kapsel 425 mg zweimal täglich
Johanniskraut ratiopharm®
1 Hartkapsel mit 425 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3,5 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 60% (m/m)
leichte vorübergehende depressive Störungen
ab zwölf Jahren: 1 Kapsel 425 mg zweimal täglich
Laif® 900 balance
1 Filmtablette mit 900 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 80% (V/V)
leichte depressive Störungen
ab 18 Jahren: 1 Filmtablette 900 mg einmal täglich
Laif® 900
(verschreibungspflichtig)
1 Filmtablette mit 900 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 6:1); Auszugsmittel: Ethanol 80% (V/V)
leichte bis mittelschwere depressive Episoden
ab 18 Jahren: 1 Filmtablette 900 mg einmal täglich
Neuroplant®
(verschreibungspflichtig)
1 Tablette mit 600 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 7:1); Auszugsmittel: Methanol 80% (V/V)
leichte bis mittelschwere depressive Episoden (Störungen)
ab 18 Jahren:
1 Tablette 600 mg einmal täglich
Neuroplant® Aktiv
1 Filmtablette mit 600 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 7:1); Auszugsmittel: Methanol 80% (V/V)
leichte depressive Episoden (Störungen)
ab 18 Jahren: 1 Tablette 600 mg einmal täglich
Neuroplant® Novo
1 Filmtablette mit 300 mg Johanniskraut-Trockenextrakt (3 – 7:1); Auszugsmittel: Methanol 80% (V/V)
leichte vorübergehende depressive Störungen (leichte depressive Episoden)
ab 18 Jahren:
1 Filmtablette 300 mg dreimal täglich

Wechselwirkungen

Trotz der relativ gut belegten Wirksamkeit der Johanniskraut-Extrakte bei leichten bis mittelgradigen Depressionen schrecken viele Ärzte vor Therapieversuchen zurück, wofür sicherlich das häufig thematisierte und in der Tat nicht un­erhebliche Wechselwirkungspotenzial der Arzneipflanze verantwortlich ist. Erste Hinweise hierauf datieren um die Jahrtausendwende und zeigten unter anderem eine lebensgefährliche Abschwächung der Wirkung des Immunsuppressivums Ciclosporin bei Transplantat-Empfängern. Inzwischen weiß man, dass die Inhaltsstoffe des Johanniskrauts in diesem Zusammenhang zwei relevante Angriffspunkte besitzen. Zum einen erfolgt eine Induktion des Effluxtransporters P-Glykoprotein (P-gp), der z. B. im Darm, in der Leber und an der Blut-Hirn-Schranke lokalisiert ist und als Transportbarriere gegen körperfremde Substanzen fungiert. P-Glykoprotein hemmt einerseits die Aufnahme dieser Stoffe in den Organismus und in sensible Organe und fördert an­dererseits ihre Ausscheidung. Zusätzlich kommt es nach Einnahme von Johanniskrautpräparaten zu einer Induktion von Cytochrom-P450-Enzymen (insbesondere CYP3A4, CYP2C19 und CYP2C9) in der Leber, die für die Metabolisierung zahlreicher Arzneistoffe von zentraler Bedeutung sind. Beide Effekte zusammengenommen führen dazu, dass die Wirksamkeit von gleichzeitig eingenommenen Arzneimitteln, die Substrate von P-gp bzw. den entsprechenden CYP-Isoenzymen sind, herabgesetzt werden kann. Betroffen von den Wechselwirkungen sind z. B. Immunsuppressiva wie Ciclosporin und Tacrolimus, antiretrovirale Arzneistoffe, Zytostatika wie Imatinib, Blutverdünner wie Warfarin und Phenprocoumon, Digoxin und orale Kontrazeptiva, wobei für diese Stoffgruppe die klinische Relevanz kontrovers diskutiert wird [7]. Als hauptverantwortlicher Inhaltsstoff konnte inzwischen das Hyperforin identifiziert werden, und aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Hyperforin-arme Extrakte wie ZE117® (Max Zeller Söhne AG, Schweiz) tatsächlich kaum Wechselwirkungspotenzial besitzen [8].

Phototoxizität

Ein weiterer Aspekt, der immer wieder für Verunsicherung sorgt, ist die mögliche Phototoxizität von Johanniskraut-Präparaten. Der sogenannte Hypericismus wurde bei Weidetieren mit hellem Fell beobachtet, die Johanniskraut in großen Mengen gefressen hatten und anschließend einen blasigen Sonnenbrand entwickelten. Tatsächlich besitzt das Hypericin im Zellversuch eine gewisse phototoxische Potenz, die allerdings bei der gängigen Dosierung in vivo keine Rolle zu spielen scheint. Mehrere Studien fanden kein erhöhtes Sonnenbrandrisiko, weder nach Einnahme einer einzelnen hohen Dosierung noch unter Steady-state-Bedingungen [9, 10], offensichtlich liegen die nach oraler Anwendung in der Haut erreichbaren Hypericin-Konzentrationen weit unterhalb des phototoxischen Schwellenwertes. Auch bei topischer Anwendung scheint das phototoxische Risiko gering zu sein, wie Schempp und Mitarbeiter in einer Untersuchung mit unterschiedlichen Präparaten (Hypericum-Öl, Salbe) zeigen konnten [11]. Sie fanden nach simulierter Sonneneinstrahlung nur eine geringfügig erhöhte Empfindlichkeit der Testper­sonen, dennoch empfehlen sie insbesondere besonders hellhäutigen Personen, nach topischer Johanniskraut-Applikation übermäßige UV-Belastung zu vermeiden.

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Weitere mögliche Indikationen

Die Forschung rund um das Johanniskraut hat sich allerdings in den letzten Jahren nicht nur auf das Thema „depressive Erkrankungen“ beschränkt. Verschiedene Extrakte, aber auch isolierte Reinsubstanzen – hier insbesondere die Flavonoide – zeigten z. B. neuroprotektive Effekte in vitro. Beobachtet wurde unter anderem ein Schutz vor H2O2- und Amyloid-β-induzierter Toxizität sowie eine Hemmung der Caspase-3-Aktivität. Dieses Enzym spielt eine wichtige Rolle bei der Apoptose-Einleitung [12]. Positive Effekte bezüglich der Ablagerung von Amyloid-Peptiden und Gedächtnisleistung konnten darüber hinaus auch in unterschiedlichen Tiermodellen gezeigt werden, die der Erforschung von Arzneistoffen zum Einsatz bei Alzheimer-Demenz dienen [5]. Ebenfalls um den Einfluss von Johanniskraut auf die Gedächtnisfunktion geht es in einer Metaanalyse von Ben-Eliezer und Yechiam, die 2016 die Ergebnisse von 13 Studien zusammenfassten, die an Nagern durchgeführt wurden [13]. In allen Studien erwies sich die Studienmedikation als vorteilhaft für die Gedächtnisleistung der Tiere, so dass die Autoren von einem möglichen nootropen Effekt der Inhaltsstoffe der Arzneipflanze ausgehen. Um diese Annahme weiter zu untermauern, führten dieselben Autoren eine kleine Studie an 82 gesunden Erwachsenen durch [14]. Es gab zwei Sitzungen, in denen die Probanden entweder Placebo oder 250 mg bzw. 500 mg eines Johanniskraut-Extrakts als Einmalgabe erhielten. Verwendet wurde Remotiv® 500 bzw. Remotiv® 250, ein Präparat, das den Hyperforin-armen Extrakt Ze117® enthält (Droge-Extrakt-Verhälnis [DEV] 4 bis 7:1, Auszugsmittel: Ethanol 58% [V/V], 0,1% bis 0,3% Hypericine, weniger als 1% Hyperforin). Anschließend wurden verschiedene Tests zur Gedächtnisleistung durchgeführt und Fragen zur psychischen Verfassung gestellt. Tatsächlich zeigte die niedrigere Dosierung der Studienmedikation einen positiven Effekt auf Gedächtnisleistung und Stimmung der Teilnehmer, während für die höhere Dosis keinerlei Wirkung gefunden wurde. Dies sind sicherlich interessante erste Ergebnisse bezüglich eines möglichen „Neuroenhancements“ durch Johanniskraut, die aber in weiteren Studien bestätigt werden müssen.

Neben den beschriebenen Effekten auf Psyche und Gedächtnis besitzen das Johanniskraut und seine Inhaltsstoffe auch cytotoxische, antivirale und antientzündliche Eigenschaften [15]. Als ein möglicher Angriffspunkt im Entzündungsgeschehen wird eine Hemmung von Janus-Kinasen durch Hypericin diskutiert. Diese Tyrosinkinasen spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation von Genen, die am komplexen Entzündungsprozess beteiligt sind [16]. Da in letzter Zeit vermehrt die Bedeutung von antiinflammatorischen Effekten auch für die Therapie von psychischen und neurodegenerativen Erkrankungen erkannt wird, könnte dieser Aspekt möglicherweise ebenfalls zur antidepressiven Wirkung des Johanniskrauts beitragen.

In diesem Zusammenhang sei aber auch an die seit Jahrhunderten übliche traditionelle topische Anwendung von Johanniskraut zur Behandlung von Verbrennungen und kleinen Wunden erinnert. Verglichen mit der Vielzahl an Studien zur antidepressiven Wirksamkeit gibt es zur topischen Applikation vergleichsweise wenige Untersuchungen, so dass die HMPC-Monographie hier lediglich eine „traditionelle Anwendung“ zur Behandlung leichter Entzündungen der Haut (z. B. Sonnenbrand) und zur unterstützenden Therapie kleiner Wunden an­erkennt. Zu diesem Zweck wird meist ein tiefrot gefärbter, öliger Auszug aus den Blüten oder blühenden Triebspitzen verwendet, dessen Farbe durch lipophile Abbauprodukte der Hypericine bedingt ist. In einigen kleineren Studien konnte ein positiver Effekt derartiger Zubereitungen auf die Wundheilung gezeigt werden, außerdem gab es positive Ergebnisse bei der Behandlung atopischer Hauterkrankungen mit einer Hyperforin-haltigen Creme und erste Hinweise auf eine Wirksamkeit bei Psoriasis [17]. Diese Befunde müssen allerdings noch in größeren Studien mit definierten Zubereitungen und im Vergleich zu anerkannten Standardmedikationen bestätigt werden, bevor eine abschließende Bewertung möglich ist.

Auf einen Blick

  • Die Wirksamkeit standardisierter Extrakte aus Johanniskraut bei leichten bis mittelschweren Depressionen gilt als gesichert.
  • Der Gesamtextrakt ist als Wirkstoff aufzufassen, ein einzelner Mechanismus zur Erklärung der Wirkung ist nicht belegt.
  • Die zur Verfügung stehenden Johanniskraut-Extrakt-haltigen Präparate unterscheiden sich hinsichtlich der zugelassenen Indikation und Altersfreigabe.
  • Bei der Abgabe sollte die Begleitmedikation beachtet werden, um möglicherweise problematische Wechselwirkungen zu erkennen.
  • Das phototoxische Risiko ist vernachlässigbar gering.
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Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Johanniskraut die ihm aktuell zuteilgewordene Ehrung zweifellos verdient, da ihm etwas gelungen ist, was bisher kaum eine andere Arzneipflanze geschafft hat, nämlich sich einen Platz als Therapieoption bei einer schwerwiegenden Erkrankung neben chemisch-synthetischen Arzneistoffen zu erkämpfen. In der Praxis stehen nicht verschreibungspflich­tige und verschreibungspflichtige Varianten zur Verfügung, die sich hinsichtlich der zugelassenen Indikation (leichte oder mittelschwere Depressionen) unterscheiden. Die Grenzen der Selbstmedikation sind hier sorgfältig abzuwägen, im Zweifel sollte immer auch ein Gang zum Arzt angeraten werden. Zusätzlich erfordert die Beratung eine umfassende Analyse der Begleitmedikation, um möglicherweise problematische Wechselwirkungen zu erkennen. Wenn dies berücksichtigt wird, handelt es sich bei Extrakten aus dem Johanniskraut um eine vergleichsweise nebenwirkungs­arme und gut verträgliche Therapieoption. |

Literatur

 [1] Nürk NM. Phylogenetic analyses in St. John’s wort (Hypericum). Dissertation FU Berlin 2011

 [2] Unipolare Depression. S3-Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie, DGPPN, BÄK, KBV, AWMF (Hrsg.) für die Leitliniengruppe Unipolare Depression, Langfassung, 2. Auflage, Version 5. 2015, doi: 10.6101/AZQ/000364, www.depression.versorgungsleitlinien.de

 [3] Linde K, Berner MM, Kriston L. St John’s wort for major depression. Cochrane Database Systematic Reviews 2008;CD000448.

 [4] Apaydin EA, Maher AR, Shanman R et al. A systematic review of St. John’s wort for major depressive disorder. Systematic Reviews 2016;5:148, doi: 10.1186/s13643-016-0325-2

 [5] Zirak N, Shafiee M, Soltani G et al. Hypericum perforatum in the treatment of psychiatric and neurodegenerative disorders: Current evidence and potential mechanisms of action. Journal of Cellular Physiology 2019;234:8496-8508, doi: 10.1002/jcp.27781

 [6] Butterweck V, Schmidt M. The mechanisms of action of St. John’s wort: an update. Wiener Medizinische Wochenschrift 2015;165:229-235

 [7] Soleymani S, Bahramsoltani R, Rahimi R et al. Clinical risks of St John’s Wort (Hypericum perforatum) co-administration. Expert Opinion on Drug Metabolism & Toxicology 2017;13: 047-1062

 [8] Zahner C, Kruttschnitt E, Uricher J et al. No Clinically Relevant Interactions of St. John‘s Wort Extract Ze 117 Low in Hyperforin With Cytochrome P450 Enzymes and P-glycoprotein. Clinical Pharmacology and Therapeutics 2019, doi: 10.1002/cpt.1392

 [9] Schempp CM, Winghofer B, Muller K et al. Effect of oral administration of Hypericum perforatum extract (St. John’s Wort) on skin erythema and pigmentation induced by UVB, UVA, visible light and solar simulated radiation. Phytotherapy Research 2003;17:141-146

[10] Schulz HU, Schürer M, Bässler D et al. Investigation of the effect on photosensitivity following multiple oral dosing of two different Hypericum extracts in healthy men. Arzneimittelforschung 2006;56:212-221

[11] Schempp CM, Lüdtke R, Winghofer B et al. Effect of topical application of Hypericum perforatum extract (St. Johnʼs wort) on skin sensitivity to solar simulated radiation. Photodermatology, Photoimmuno­logy and Photomedicine 2000;16:125-128

[12] Oliveira A.I, Pinho C, Sarmento B et al. Neuroprotective Activity of Hypericum perforatum and Its Major Components. Frontiers in Plant Sciences 2016;7:1004, doi: 10.3389/fpls.2016.01004, eCollection 2016

[13] Ben-Eliezer D, Yechiam E. Hypericum perforatum as a cognitive enhancer in rodents: A meta-analysis. Scientific Reports 2016;6:35700, doi: 10.1038/srep35700

[14] Yechiam E, Ben-Eliezer D, Ashby NJS et al. The acute effect of Hypericum perforatum on short-term memory in healthy adults. Psychopharmacology 2019;236:613-623

[15] Birt DF, Widrlechner MP, Hammer KD et al. Hypericum in infection: Identification of antiviral and antiinflammatory constituents. Pharmaceutical Biology 2009;47:774–782

[16] Dellafiora L, Galaverna G, Cruciani G et al. On the Mechanism of Action of AntiInflammatory Activity of Hypericin: An In Silico Study Pointing to the Relevance of Janus Kinases Inhibition. Molecules 2018;23:3058, doi:10.3390/molecules23123058

[17] Wölfle U, Seelinger G, Schempp CM. Topical application of St. John‘s wort (Hypericum perforatum). Planta Medica 2014;80:109-120

Autorin

Priv.-Doz. Dr. Kristina Jenett-Siems studierte Pharmazie an der Freien Universität Berlin, wurde dort promoviert und hat sich 2003 für Pharmazeutische Biologie habilitiert. Forschungsschwerpunkte: Phytochemie und Pharmakologie traditioneller Arzneipflanzen.

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