Schwerpunkt Medikationsmanagement

Auf Augenhöhe

Weshalb pharmazeutische Intervention dringend notwendig ist – nicht nur in der Klinik

eda | Wenn Dr. Sebastian Baum über seine Arbeit spricht, dann wird deutlich, dass der Apotheker auf Station jeden Tag das erlebt, wonach viele seiner Berufskollegen streben – interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten und Pflegepersonal auf Augenhöhe. Die pharmazeutischen Interventionen werden dabei von allen Beteiligten gerne akzeptiert und führen meist zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Rund 5000 Fälle untersucht er jährlich und stellt bei etwa 15 Prozent der Patienten arzneimittelbezogene Probleme fest, die meistens im ambulanten Bereich beginnen.
Foto: EVK Johannisstift Münster
Apotheker auf Station Dr. Sebastian Baum (rechts) begann seine berufliche Laufbahn im Evangelischen Krankenhaus Johannisstift sowie in der LWL-Klinik für Psychia­trie in Münster. Derzeit ist Baum sowohl im Evangelischen Krankenhaus Johannisstift als auch im Lukas-Krankenhaus in Gronau angestellt. Zu seiner Expertise gehört die Optimierung der Pharmakotherapie u. a. in der Geriatrie, Gerontopsychiatrie, Intensivmedizin und Chirurgie. Hier während einer Medikationsanalyse auf der Intensivstation des Evangelischen Krankenhauses Johannisstift in Münster.

DAZ: Herr Dr. Baum, welchen Patientenfall haben Sie zuletzt bearbeitet?

Baum: Es ging um eine 86-jährige Patientin, die im Rahmen eines Schlaganfalls in ein Delir gerutscht war und in unsere Klinik verlegt wurde. Zudem war die Dame mehrfach gestürzt und hatte eine Elektrolytentgleisung. Sie erhielt bis zur Verlegung zu uns ins­gesamt 16 Arzneimittel. Als erste Maßnahme haben wir viele dieser Präparate erst einmal pausieren lassen – unserer Erfahrung nach ist das in dieser Situation eine der wirksamsten Interventionen.

DAZ: Was läuft in der Arzneimittel­versorgung deutscher Patienten Ihrer Meinung nach besonders schief?
Baum: Ich kann jetzt vor allem für die Versorgung der hochbetagten, multimorbiden Patienten sprechen. Diese Patientengruppe ist extrem fragil und sehr empfänglich für Komplikationen – nicht nur für arzneimittelinduzierte Schädigungen. Nehmen wir die anfangs erwähnte Patientin: Diese hatte ja nicht nur eine Schlaganfall und ein Delir entwickelt, sondern litt bereits unter Diabetes mellitus Typ 2, einer koronaren Herzerkrankung, einer Herzinsuffizienz und einer mittelgradigen Nierenfunktionsstörung. Hinzu kamen Schmerzen und Schlafstörungen. Die meisten ihrer Erkrankungen wurden leitliniengerecht und evidenzbasiert therapiert. Doch in der Summe hat die Patientin Schaden genommen, weil das große Ganze nicht ausreichend durch die verschiedenen medizinischen Fachrichtungen überblickt wurde und die arzneimittelbezogenen Probleme unentdeckt blieben. Die meisten der Komplikationen wären vermeidbar.

„Man nimmt mich nicht als Kontrolleur wahr. Ich erlebe eher eine unglaubliche Wertschätzung meiner Arbeit.“

Dr. Sebastian Baum

DAZ: Wann führen Sie eine Medikationsanalyse bei einem Patienten durch?

Baum: Es gibt keinen Patienten, der keinen Bedarf an einer Medikationsanalyse hat! Es muss nicht immer eine Polypharmazie vorliegen, damit vermeidbare arzneimittelbezogene Probleme auftreten, wie durch falsche Dosierungen, durch falsche Auswahl einer Antibiose oder einfach Verwechselungen beim Übertragen der vorhandenen Medikation. Daher erhält jeder Patient bei uns in der Klinik routinemäßig eine Medikationsanalyse bei seiner Aufnahme, danach etwa alle drei bis vier Tage eine sowie bei der Entlassung. Gleichzeitig werde ich mehrfach am Tag konsiliarisch zu Therapie­konzepten hinzugezogen.

DAZ: Müssen Sie manchmal im klinischen Bereich Probleme lösen, die schon in der ambulanten Versorgung und wesentlich früher hätten gelöst werden sollen?

Baum: Nicht nur manchmal. Ich sehe pro Jahr mehr als 5000 Patienten. Zwischen 10 und 15% der Patienten, die stationär in die Geriatrie aufgenommen werden, haben mindestens eine klinisch relevante unerwünschte Arzneimittelwirkung. Etwa die Hälfte dieser Fälle gilt als vermeidbar. Eine der Hauptursachen sind nach meiner Meinung Schwierigkeiten in der Kommunikation zwischen der niedergelassenen Ärzteschaft und den öffentlichen Apotheken.

DAZ: Wie sehen die Ärzte Ihre Stellung und Arbeit auf Station?

Baum: Man nimmt mich nicht als Kon­trolleur wahr, der alles besser weiß. Ich erlebe eine unglaubliche Wertschätzung meiner Arbeit von der Pflegekraft über den Assistenzarzt bis hin zum Chefarzt. Allen ist bewusst, dass man nicht alles wissen kann und wie schnell Fehler geschehen. Daher sind alle glücklich, dass ich eine Art Back-up biete und noch einmal auf Medikationspläne schaue.

DAZ: Die Hälfte Ihrer Arbeitszeit verbringen Sie auch in anderen Krankenhäusern und Einrichtungen. Sie sind quasi ein „fliegender Medikationsmanager“. Sollten Apotheker ihre pharmazeutischen Fähigkeiten unabhängig von einer Betriebsstätte anbieten?

Baum: Leider lassen es die aktuellen personellen Kapazitäten in den meisten Krankenhausapotheken noch nicht einmal zu, einen Apotheker auf die Stationen des eigenen Hauses zu schicken. Damit entfällt aber automatisch für alle Kliniken, die von diesen Krankenhausapotheken beliefert werden, die Möglichkeit, einen Stationsapotheker einzubinden. Aber immer mehr Kliniken erkennen den ökonomischen Nutzen eines Stationsapothekers und wollen nicht weiter auf diese Dienste für das eigene Haus verzichten. Und wenn die versorgende Apotheke keine Stations­tätigkeit anbieten kann, holt man sich die Expertise eben anderweitig ins Haus.

DAZ: Sehen Sie den „fliegenden Medikationsmanager“ als ein Modell für die Zukunft?

Baum: Auch wenn ich persönlich dieses Modell favorisiere, sollte es schon das Ziel sein, dass die versorgende Krankenhausapotheke selbst die Stationsapotheker stellt.Logistik und Beratung sollten aus einer Hand kommen.Zudem ist die Information und Beratung von Ärzten und Pflegekräften zur Auswahl und Anwendung von Arzneimitteln eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe der beliefernden Krankenhausapotheke. Ich sehe durchaus die Gefahr, dass größere Versorger die verpflichtende Beratung durch eine Krankenhausapotheke möglicherweise auf diesem Wege aushebeln könnten.

DAZ: Wie lassen sich diese Erfahrungen auf die öffentlichen Apotheke ­beziehen?

Baum: Im ambulanten Bereich sollte die Beratung vor Ort durch die Apotheke des Vertrauens geschehen, die auch für die Versorgung mit den Arzneimitteln zuständig ist. Dort hat man im Idealfall die gesamte Medikation im Blick – sei es ärztlich verordnet oder in der Selbstmedikation erworben. Man sieht den Patienten und erkennt im besten Fall seine körperliche Verfassung. Das ist immens wichtig und das kann keine Versandapotheke leisten. Bei komplexeren Fällen sollte es aber auch die Möglichkeit geben, eine externe Expertise hinzuziehen zu können. Sie kann helfen, den Patienten und im Bedarfsfall den behandelnden Arzt kompetent zu beraten. Ich erhalte mehrere Anfragen pro Woche aus öffentlichen Apotheken und werde um meine Einschätzung bezüglich der Medikation gebeten: Der Bedarf in den Apotheken ist da.

DAZ: Was können die öffentlichen Apotheken von Ihnen aus der Klinik lernen?

Baum: Im Rahmen der Weiterbildung „Geriatrische Pharmazie“ absolvieren pro Jahr etwa 30 Apotheker in einem der Krankenhäuser ein mehrtägiges Praktikum. Alle Kollegen wünschen sich, arzneimittelbezogene Probleme mit den niedergelassenen Ärzten auf die gleiche Art und Weise besprechen zu können, wie bei uns. Davon profitieren beide Berufsgruppen und vor allem der Patient. Der eingeschlagene Weg, Apotheker und Ärzte besser zusammenarbeiten zu lassen, sollte weiter vorangetrieben werden!

DAZ: Herr Dr. Baum, vielen Dank für das Gespräch. |

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