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Armut durch Pflegebedürftigkeit

Pflegevollversicherung könnte für mehr Gerechtigkeit sorgen

Deutschlands Bevölkerung wird älter, und die Pflegebedürftigkeit steigt. ­Viele Menschen rutschen in die Armut, weil weder die Leistungen der gesetz­lichen Pflegeversicherung noch eigene Einkünfte ausreichen. Eine neue Studie der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Risiko durch eine Pflegevollversicherung deutlich gesenkt werden könnte.

Derzeit unterstützt die Pflegeversicherung Patienten nur in Form einer Teilabsicherung. Betroffene müssen selbst tief in die Tasche greifen oder ihre ­Angehörigen steuern Geld bei – im Schnitt rund 660 Euro pro Kopf und Monat bzw. bundesweit 8,5 Milliarden Euro pro Jahr. Ist das nicht möglich, droht die Armutsfalle. Wie die Hans-Böckler-Stiftung berichtet, erhält jeder dritte Heimbewohner derzeit Sozial­hilfe. Schon lange diskutieren Politiker deshalb über eine Pflegevollversicherung. Prof. Dr. Heinz Rothgang ging der Frage nach, ob diese Möglichkeit realistisch – und finanzierbar – ist.

Soziale Bürgerversicherung verteilt die Lasten gerechter

In einer Studie untersuchten Gesundheitsökonom Heinz Rothgang und Co-Autor Dominik Domhoff mögliche Effekte einer „Pflegebürgerversicherung“. Den Simulationen zufolge müssten ­gesetzlich Versicherte für eine Vollabsicherung rund 65 Euro pro Jahr mehr bezahlen als für das derzeitige Teilmodell. Ein wünschenswerter Aspekt: Es käme zu einer sozial verträglichen Staffelung, weil Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen weniger zahlten als Versicherte mit hohem Einkommen. Bei den 50 Prozent aller Versicherten in den untersten Ein­kommensstufen wären es maximal 50 Euro pro Jahr, bei den oberen 10 Prozent mehr als 100 Euro.

Arbeitgeber müssten der Kalkulation zufolge weitere 25 Euro pro Person und Jahr aufbringen. |

Michael van den Heuvel

Sozial ausgewogen die Pflegebedürftigkeit absichern

Ein Kommentar von ADEXA-Vorstand Tanja Kratt

Foto: Angela Pfeiffer/ADEXA

Tanja Kratt

Nicht nur die Renten sind unsicher – in Abwandlung von Norbert Blüms bekanntem Zitat. Auch die Pflege­versicherung stößt klar an ihre Grenzen. Menschen werden älter, und die Pflegebedürftigkeit steigt. Auch hier brauchen wir Lösungen.

Zurzeit befindet sich das Ange­hörigen-Entlastungsgesetz von Bundesarbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) im parlamen­tarischen Abstimmungsverfahren. Damit sollen Kinder von pflege­bedürftigen Eltern, die in einem Heim versorgt werden, finanziell entlastet werden. Auf das Einkommen der Töchter oder Söhne, die Hilfe zur Pflege erhalten, soll dann erst ab einer Höhe ab 100.000 Euro zurückgegriffen werden.

Auf längere Sicht erscheint aber eine Pflegevollversicherung die bessere Lösung zu sein. Heinz Rothgang und Dominik Domhoff zeigen mit ihrem Forschungsprojekt klar, dass ein „Weiter-wie-gehabt“ nicht funktioniert. Entweder die Patientin beziehungsweise der Patient hat Geld für die eigene Pflege, Zuschüsse der Familie mit inbegriffen. Oder die Sozialversicherung muss eingreifen. Dafür wurde sie aber ursprünglich nicht konzipiert.

Aus Sicht von ADEXA sind höhere Beiträge zur Pflegeversicherung unvermeidbar – das Zuschussmodell stößt an seine Grenzen. Hier muss aber sichergestellt werden, dass die Ausgaben sozial gerecht verteilt werden: nicht nur zwischen Arbeitgebern und Angestellten, sondern auch abhängig vom Einkommen der Arbeitnehmer. Diese Voraussetzungen würden von einer sozialen Bürgerversicherung erfüllt, wie die Forscher herausfanden. Was noch dafür spricht: Zumindest laut der ­Simulation wären die Beiträge mit zusätz­lichen 65 Euro pro Jahr langfristig stabil.

Die Studie kann keine sozialpolitische Planung ersetzen. Sie zeigt aber: Auch bei der Pflegeversicherung wären sozial ausgewogene Modelle möglich – wenn die Be­reitschaft da ist.

Tanja Kratt

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