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Aus den Ländern
Die richtige Schmerztherapie für jeden Patienten
Arzt-Apotheker-Symposium fördert kollegiale Zusammenarbeit
Den Auftakt machte Dr. Eva Hoffmann, leitende Oberärztin am evangelischen Krankenhaus in Herne. Sie stellte heraus, dass bei Kindern eine „ganze Menge anders ist“ als bei Erwachsenen. So reagieren Kinder aufgrund ihrer anatomischen, physiologischen und psychologischen Besonderheiten empfindlicher in Bezug auf die Schmerzverarbeitung und Sensibilisierungsprozesse. Wichtig zu wissen: Werden Schmerzen im frühen Kindesalter nicht ausreichend behandelt, ist eine Chronifizierung im Erwachsenenalter wahrscheinlicher. Doch eine adäquate Schmerztherapie zu finden, ist alles andere als trivial. 60 bis 80% der Analgetika haben keine Zulassung für die Anwendung bei Kindern.
Kindgerecht dosieren
Zur Bestimmung der kindgerechten Dosierung sind Empfehlungen zu den Angaben in den Fach- und Gebrauchsinformationen hilfreich, die auf den Seiten des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu finden sind – beispielsweise für Ibuprofen, Diclofenac und Metamizol. Paracetamol wird bei Kindern sehr häufig eingesetzt. Allerdings oft in ungeeigneter Dosierung wie Verordnungsdaten aus Schottland belegen. Ohnehin sei Ibuprofen nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Vorzug zu geben, so Hoffmann. Nach wie vor bestehe unter anderem die Sorge, dass Paracetamol eine Asthmaerkrankung begünstigen könnte.
Spezialfall Kinderwunsch
In der Schwangerschaft gilt Paracetamol meist als Mittel der Wahl, wenn ein Analgetikum benötigt wird. Doch was, wenn die Schmerzen neuropathischer Natur sind? Dann wird es unter Umständen ganz schön kompliziert. Wie kompliziert, das erläuterte Dr. Michael Schenk vom Zentrum für integrative Schmerzmedizin des Franziskus-Krankenhaus Berlin am Beispiel einer jungen Frau. Das Problem: Die Schmerzpatientin leidet an einem Komplex Regionalen Schmerzsyndrom (CRPS), einer Neuromyelitis optica und einem Schulter-Arm-Syndrom. Ohne Therapie sind ihre schweren neuropathischen Schmerzen kaum auszuhalten. Die medikamentöse Einstellung war äußerst schwierig. Mit Tapentadol, Gabapentin, Celecoxib und einem Lidocain-Pflaster kommt sie nun einigermaßen zurecht. Doch nun möchte die Patientin gerne ein weiteres Kind. Das Dilemma: Schmerzen der Mutter stellen ein Risiko für den Schwangerschaftsverlauf dar. Doch die Folgen einer „Zwangsbehandlung“ des Kindes im Mutterleib sind schwer abzuschätzen. Ein Blick in die Fachinformationen hilft meist nicht weiter. „Die Rettung“ ist in vielen Fällen Embryotox, so Schenk. Auf den Seiten des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie der Charité-Universitätsmedizin Berlin findet man zu fast allen Arzneimitteln eine Einschätzung zur Anwendung in der Schwangerschaft und gegebenenfalls Hinweise auf Alternativen. Schwierig wird es, wenn die Alternativen im individuellen Fall keine geeigneten Alternativen sind – oder wenn es wie im Fall von Tapentadol keine Informationen gibt. Dann hilft unter Umständen ein Anruf bei Embryotox, das Team kann gegebenenfalls weiter recherchieren. Was er der Patientin mit Kinderwunsch nun raten soll, darüber ist sich Schenk bislang noch nicht im Klaren.
Optionen bei Migräne
Auch die Behandlung von Migräne kann in der Schwangerschaft eine Herausforderung darstellen. Welche Optionen es gibt, erläuterte Privatdozent Dr. Torsten Kraya, Chefarzt für Neurologie am Klinikum St. Georg in Leipzig. In der Akuttherapie ist neben Paracetamol Ibuprofen das Mittel der Wahl – wegen der Gefahr eines vorzeitigen Verschlusses des Ductus arteriosus botalli darf das nichtsteroidale Antirheumatikum (NSAR) allerdings nicht im dritten Trimenon eingesetzt werden. Wenn klassische Analgetika nicht ausreichend wirken, kann ein Therapieversuch mit Sumatriptan unternommen werden. In der Prophylaxe hat sich Magnesium bewährt. Auch Metoprolol und Amitriptylin sind eine Option. Ein absolutes „No-go“ sind dagegen Topiramat und Valproat, so Kraya. Nahrungsergänzungsmittel können sich möglicherweise positiv auswirken. Hier nannte Kraya neben Magnesium, Coenzym Q10, Vitamin B2 und Vitamin D. Auch nicht medikamentöse Maßnahmen können helfen: In der Akuttherapie können Coolpacks, Wärme und Minzöl die Schmerzen lindern. In der Prophylaxe haben sich die progressive Muskelentspannung, Ausdauersport und Stressbewältigungtraining als wirksam erwiesen.
Start low, go slow ...
Ihre Erfahrungen in der Pharmakotherapie geriatrischer Patienten brachte Dr. Anette Vasel-Biergans als Apothekerin auf Station am Diakonie-Klinikum Stuttgart ein. Ein wichtiges Anliegen war ihr, auf mögliche Probleme im Zusammenhang mit der Nierenfunktion hinzuweisen. Üblicherweise werden zur Berechnung der renalen Clearance die gängigen Schätzformeln nach MDRD (Modification of Diet in Renal Disease) und nach CKD-EPI (Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration) verwendet. Diese basieren allerdings auf Studiendaten von Patienten mit einem mittleren Alter von 54 bzw. 47 Jahren. Speziell für Senioren ab einem Alter von 70 Jahren wurde die BIS1-Formel (Berlin Initiative Studie) entwickelt. Im Gegensatz zur Cockroft-GaultFormel wird bei allen drei Formeln das Gewicht nicht berücksichtigt, vielmehr wird auf eine Standard-Körperoberfläche von 1,73 m2 normiert. Dabei besteht die Gefahr, dass die glomeruläre Filtrationsrate überschätzt wird – beispielsweise bei stark untergewichtigen Personen. Vasel-Biergans legte den anwesenden Apothekern und Ärzten daher nahe, Laborergebnisse immer zu hinterfragen. Generell sollte bei geriatrischen Patienten mit der niedrigsten effektiven Dosis (nicht retardiert) begonnen werden, die dann bis zur Schmerzkontrolle bei möglichst geringen Nebenwirkungen individuell auftitriert wird („start low, go slow, …“). Ausreichend sollte die Dosierung aber schon sein („… don’t stop too low!“). Bei eingeschränkter Nierenfunktion mit einer Creatinin-Clearance von unter 30 ml/min sind NSAR und Coxibe kontraindiziert. Als Alternativen bieten sich Metamizol und Paracetamol sowie Tilidin/Naloxon an. Was die Opioid-Analgetika betrifft, ist bei Morphin bei einer Creatinin-Clearance unter 60 ml/min Vorsicht geboten, Tramadol wird bei Werten unter 30 ml/min nicht empfohlen. Als relativ sicher gelten Hydromorphon, Hydrocodon und Buprenorphin.
Nieren im Fokus
Einen Blick auf die Nieren warf auch Apothekerin Dr. Inga Leo-Gröning. Die ATHINA-Referentin verdeutlichte anhand zahlreicher konkreter Fallbeispiele, wo Interaktionen klinisch relevant werden können. Als besonders häufig verordnete Kombination durfte der „Triple Whammy“ dabei natürlich nicht fehlen. Als Dreifachschlag gegen die Nieren bezeichnet man die gleichzeitige Gabe eines Diuretikums, eines ACE-Hemmers oder Sartans und eines NSAR. Die Kombination kann zu akutem Nierenversagen führen. Warnsignale sind eine verminderte Urinausscheidung, trockene Schleimhäute, Durst, Lethargie und Blutdruckabfall. Um das Risiko zu minimieren, kann man den Patienten darauf hinweisen, auf eine adäquate Flüssigkeitszufuhr sowie auf die Farbe und die Menge des Urins zu achten. Zusätzlich sollte der Blutdruck regelmäßig gemessen werden. Immer gut: Gewichtsreduktion und Bewegung. Dadurch können sich beispielsweise Rückenschmerzen bessern, auf ein NSAR kann dann womöglich verzichtet werden. Fällt eine Triple-Whammy-Kombination in der Apotheke auf, kann man dem Arzt vorschlagen, statt eines NSAR z. B. Metamizol oder Tramadol zu verordnen. Und ein Sartan lässt sich eventuell durch einen Calcium-Kanalblocker ersetzen. |
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