Aus der Hochschule

Minderwertige Arzneimittel im Visier

Universität Tübingen kämpft mit malawischen Behörden und der WHO für mehr Therapiesicherheit

Untersuchungen haben gezeigt, dass in afrikanischen Ländern immer wieder Arzneimittel von unzureichender Qualität zur Anwendung kommen. Das Pharmazeutische Institut der Universität Tübingen und das Pharmacy Department des College of Medicine, Malawi, haben vor diesem Hintergrund in einer gemeinsamen Studie die Qualität von Oxytocin-Ampullen und Miso­prostol-Tabletten in Malawi im südlichen Afrika untersucht.

Oxytocin und Misoprostol werden unter anderem zur Prophylaxe und Therapie bei Nachgeburtsblutungen eingesetzt – eine der Hauptursachen für Müttersterblichkeit. Jährlich sterben ca. 94 000 Frauen an den Folgen von Blutungen nach der Geburt, die Mehrheit davon in Entwicklungsländern. Obwohl die Müttersterblichkeitsrate in Malawi in den letzten Jahren gesunken ist, ist sie immer noch eine der höchsten weltweit – laut USAID sind es aktuell 574 je 100.000 Lebendgeburten. Eines der Ziele für nach­haltige Entwicklung der Vereinten Unionen ist es, die Müttersterblichkeitsrate auf unter 70 je 100.000 Lebendgeburten zu senken.

Der Einsatz von Oxytocin und Miso­prostol ist ein wichtiger Schritt, um dieses Ziel zu erreichen. Allerdings sind sowohl für Oxytocin als auch für Misoprostol Stabilitätsprobleme bekannt: Oxytocin ist temperaturempfindlich, und Misoprostol zersetzt sich, wenn es Feuchtigkeit ausgesetzt ist – beides problematisch in Entwicklungsländern wie Malawi, wo Temperaturen und Luftfeuchtigkeit oft sehr hoch sind und es an einer funktionierenden Infrastruktur mangelt.

Foto: L. Heide

Die Teilnehmer der Besprechung der Studienergebnisse in Malawis Hauptstadt Lilongwe.

Laut einem Review von 2016 waren 57,5% aller Oxytocin-Proben, die in Afrika gesammelt wurden, minderwertig, und eine Studie über die Qualität von Misoprostol-Tabletten, erschienen in der WHO Drug Information 2016, berichtet, dass 40% von 215 untersuchten Misoprostol-Proben nicht den Qualitätsstandards entsprachen. Über die Qualität von Oxytocin und Misoprostol in Malawi gab es noch keine Daten.

Aus diesem Grund untersuchte Nhomsai Hagen vom Pharmazeutischen Institut Tübingen in ihrer Doktorarbeit unter Betreuung von Prof. Dr. Lutz Heide die Qualität und Lagerbedingungen von Oxytocin-Ampullen und Misoprostol-Tabletten in verschiedenen Gesundheitseinrichtungen in vier Distrikten von Malawi. Die Studie wurde in Kooperation mit Dr. Felix Khuluza vom Pharmacy Department am College of Medicine in Malawi durchgeführt und von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) finanziert. Hagen war dafür insgesamt dreimal in Malawi: zweimal, um Oxytocin- und Misoprostol-Proben zu sammeln und anschließend am Pharmazeutischen Institut zu analysieren, und schließlich im September dieses Jahres, um gemeinsam mit ihrem Doktorvater Professor Heide die Ergebnisse der Studie vor den malawischen Behörden und Organisationen zu präsentieren.

Misoprostol-Präparat mit nur 13% Wirkstoff

Sieben der analysierten 65 Oxytocin-Proben, also 11%, entsprachen nicht den Anforderungen des Arzneibuches, zeigten aber keine extremen Qualitätsmängel. Daher waren die Qualitäts­probleme in Malawi geringer als aus anderen afrikanischen Ländern berichtet. Bereits zu Beginn der Studie wurde allerdings ein extrem minderwertiges Misoprostol-Präparat identi­fiziert, das nur 13% des deklarierten Gehalts enthielt und bei Dissolutions-Tests nur 8% des deklarierten Gehalts freisetzte. Dieses Präparat war vom nationalen „Central Medical Stores Trust“ (CMST) an alle staatlichen Gesundheitseinrichtungen vertrieben worden. Die Universität Tübingen alarmierte daraufhin den CMST sowie die malawische Arzneimittelaufsichtsbehörde und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Arzneimittelaufsichtsbehörde reagierte sehr schnell mit einem Produktrückruf, und CMST ersetzte in seiner Vertriebskette das minderwertige Misoprostol-Präparat durch ein Präparat mit guter Qualität. Tatsächlich wurden daraufhin im weiteren Verlauf der Studie keine minderwertigen Misoprostol-Tabletten in Malawi mehr gefunden, sondern nur Präparate guter Qualität.

Foto: L. Heide

Die deutsche Apothekerin Nhomsai Hagen stellt Hebammen und Krankenpflegern im Distrikt Ntcheu ihre Studienergebnisse vor.

Meldung hat globalen Effekt

Die gute Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Universitäten, der malawischen Aufsichtsbehörde und der WHO hat damit zu mehr Patientensicherheit in Malawi geführt, aber wohl auch weltweit: Da das extrem minderwertige Misoprostol-Präparat von einem britischen Großhändler vertrieben worden war, informierte die WHO auch die britische Arzneimittelaufsichtsbehörde. Gleichzeitig kam durch eine Diskussion in einem Internetforum („e-drug“) ans Licht, dass dieselben Großhändler, die das minderwertige Misoprostol nach Malawi verkauft hatten, vor Kurzem bereits ein minderwertiges Präparat des Anästhetikums Propofol nach Sambia vertrieben hatten. Die britische Aufsichtsbehörde leitete daraufhin eine Untersuchung ein, die dazu führte, dass die betroffenen zwei Großhandelsfirmen Anfang 2019 aufgelöst wurden.

Von dieser Erfolgsgeschichte berichteten Professor Heide und Hagen während ihres Besuches in Malawi im September 2019, gemeinsam mit ihrem malawischen Kollegen Dr. Felix Khuluza. In Vorträgen vor Regierungsvertretern in der malawischen Hauptstadt Lilongwe, aber auch in der Universität, bei der Pharmazeutischen Gesellschaft von Malawi und in der Entbindungsstation des größten Krankenhauses von Malawi wurden Ergebnisse der Studie vorgestellt sowie auch Handlungsempfehlungen gegeben, um in Zukunft die Qualität von Oxytocin und Misoprostol in Malawi sicherzustellen. Des Weiteren führten die Forscher Trainings in vier verschiedenen Distrikten Malawis zu Arzneimittelqualität, Lagermanagement und Pharmakovigilanz durch. Die Reise war ein großer Erfolg, und das Interesse war groß – von den Ergebnissen der Studie wurde auch in nationalen malawischen Tageszeitungen berichtet. Die Studie war aus Mitteln der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH finanziert worden, also aus Mitteln der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. An der Vor­stellung der Studienergebnisse in der malawischen Hauptstadt nahm auch der deutsche Botschafter in Malawi, Jürgen Borsch, teil. |

Nhomsai Hagen, Prof. Dr. Lutz Heide, Pharmazeutisches Institut der Universität Tübingen

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