DAZ aktuell

Streit um Risikobewertung, Sorge um Rechtsgrundlage

Die Opiumtinktur – ein Fertig- oder Rezepturarzneimittel?

tmb | In einem Rechtsstreit zwischen einem Hersteller von Opiumtinktur als Fertigarzneimittel und einem anderen Hersteller von Opiumtinktur als Ausgangsstoff für die Rezeptur geht es vordergründig um eine Wettbewerbsfrage. Doch letztlich wird dabei eine etablierte Vorgehensweise des Rezepturbetriebs zivilrechtlich infrage gestellt. Wie sehr die Apotheken von diesem Thema betroffen sind, zeigte sich auch bei einem Flyer, der auf der Expopharm kursierte.

In dem Rechtsstreit geht es um die Rechtsstellung von Opiumtinktur, die zu Rezepturzwecken an Apotheken geliefert und dort in kleinere Abgabegefäße abgefüllt, gekennzeichnet und an Patienten abgegeben wird. Der Hersteller eines Fertigarzneimittels mit Opiumtinktur hatte beantragt, das Inverkehrbringen der Zubereitung als Ausgangsstoff zu verbieten, weil diese ein Fertigarzneimittel ohne Zulassung sei. Das Landgericht Hamburg hatte einen Antrag auf Erlass einer solchen einstweiligen Verfügung jedoch als unbegründet zurückgewiesen (Aktenzeichen 327 O 118/19 vom 28. 5. 2019, siehe DAZ 2019, Nr. 38, S. 22). Inzwischen wurde Berufung gegen diese Entscheidung eingelegt.

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Umstrittene Risikobewertung

Mittlerweile hat der Streit einen zusätzlichen Aspekt erhalten, der die Apotheken betrifft. Während der Expopharm verteilte der Vertreiber des Opiumtinktur-Fertigarzneimittels offenbar einen Flyer zur Risikobewertung der Opiumtinktur-Rezeptur. Darin wurden die EU-Ministerratsresolution CM/Res 2016 über Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen an individuell hergestellte Arzneimittel und eine Risikobewertung für Opiumtinktur-Rezepturen dargestellt. Dabei war das Logo des European Directorate for the Quality of Medicines and HealthCare (EDQM) auf dem Titelblatt angebracht, die Bewertung hatte der Vertreiber des Fertigarzneimittels aber selbst vorgenommen. Der Vertreiber des ­Fertigarzneimittels wurde daraufhin inzwischen vom Hersteller des Rezepturausgangsstoffs abgemahnt und hat sich verpflichtet, die Bewertung nicht mehr mit dem Hinweis auf das EDQM zu verknüpfen. Außerdem ist der Inhalt der Bewertung umstritten. Darin wurde ein Multiplikator 5 für Zubereitungen angewendet, die in anderen Apotheken vertrieben werden. Doch rezepturmäßig einzeln hergestellte Arzneimittel werden in der jeweiligen Apotheke abgegeben und dürfen im Fall der Opiumtinktur aus betäubungsmittelrechtlichen Gründen nicht an andere Apotheken weitergegeben werden. Außerdem wurde ein weiterer Multiplikator 2 angewendet, der für mehr als 150 Packungseinheiten pro Jahr gilt. Bei geringeren Mengen würde dieser Multiplikator entfallen. Abhängig von der jeweiligen Konstellation würden sich damit anstelle des ermittelten Risikofaktors von 150 ganz andere Bewertungen ergeben, mit den beiden erwähnten Änderungen nur ein Risikofaktor 15.

Doch dann könnte die Opiumtinktur nicht mehr als Zubereitung mit hohem Risiko bezeichnet werden, worauf die Argumentation abzielt, sondern sie würde in die niedrigste Risikoklasse fallen.

Grundsatzfrage für die Rezeptur

Unabhängig von der Risikobewertung bleibt die zentrale Frage des Rechtsstreits, ob die Zubereitung, die in der Apotheke patientenindividuell abgefüllt und gekennzeichnet wird, schon vor dieser Abfüllung ein Fertigarzneimittel darstellt. Denn dafür würde der Hersteller der Zubereitung eine Zulassung benötigen. Die Apotheke würde dann aus einem Fertigarzneimittel auseinzeln und wäre nicht selbst Hersteller. Damit geht es letztlich um die Rechtsstellung der Rezeptur.

Rezepturarzneimittel werden aus Ausgangsstoffen oder zusammengesetzten Zubereitungen mit Arzneibuchqualität hergestellt. Die Apotheke stützt sich auf Prüfzertifikate ihrer Lieferanten, ist aber letztlich als Hersteller für die Qualität verantwortlich. Durch das Rezepturprivileg ist sie von der Zulassungspflicht befreit, soweit sich die Herstellung im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs bewegt. Die Herstellung kann weitergehende Verarbeitungsschritte umfassen, aber gemäß § 4 Abs. 14 Arzneimittelgesetz gehört zur Herstellungsdefinition auch das Abfüllen. Die Verwendung zusammengesetzter Zwischenprodukte gilt aus pharmazeutischer Sicht als qualitätssichernde Maßnahme, weil größere Ansätze eher ein standardisiertes Arbeiten erlauben. Doch nun wird die Frage aufgeworfen, ob die Verwendung eines solchen Produktes, das in der Apotheke nur noch abgefüllt wird, rechtlich anders zu bewerten ist als eine Herstellung, die in der Apotheke von den einzelnen Ausgangsstoffen ausgeht.

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Die zentrale Frage des Rechtsstreits: Stellt eine Zubereitung, die in der Apotheke abgefüllt und gekennzeichnet wird, schon davor ein Fertigarzneimittel dar?

Sorge um die Rezeptur

Wenn hier künftig eine Unterscheidung nötig wäre, könnte dies die praktischen Möglichkeiten des Rezeptur­betriebs deutlich einschränken. Insbesondere dürften dann viele pflanzliche Zubereitungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Denn viele Tinkturen können im Apothekenmaßstab nicht wirtschaftlich und praktikabel hergestellt werden und sind als Fertigarzneimittel nicht zugelassen. Auch die einfache Abfüllung von Teedrogen oder Zinkpaste wäre so nicht mehr möglich. Damit droht eine neue juristische Baustelle in der Apothekenrezeptur. Dass eine Abfüllung aber durchaus als Rezepturherstellung zu verstehen ist, ergibt sich implizit auch aus einer Resolution der Arbeitsgemeinschaft der Pharmazieräte Deutschlands (APD) von 2012, die sich mit der zugehörigen Dokumentation befasst. Darin heißt es: „Bei reinen Abfüllvorgängen reicht eine standardisierte Abfüllvorschrift (= Herstellungsan­weisung) mit einem fortlaufend nummerierten Abfüllprotokoll mit der Chargenbezeichnung des jeweiligen Produkts aus.“ Ganz auf die Dokumentation zu verzichten, ist hingegen nicht möglich. Damit könnte ein weiteres Problem neben die Rechtsstreitigkeiten zur Defektur treten, die sich auf den Begriff des „wesentlichen ­Herstellungsschrittes“ beziehen. Diese waren beim Deutschen Apothekertag 2018 Gegenstand eines Antrags. Dieser betrifft zwar eine andere Frage, aber auch bei diesem Thema wirken wettbewerbsrechtliche Verfahren letztlich auf die Möglichkeiten des Rezepturbetriebs. |

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