Welt-AIDS-Tag

Reaktiv, nicht positiv!

Interview mit Nils Zimmermann

Ein Jahr ist es her, dass der HIV-Selbsttest freigegeben wurde, mit dem jeder zu Hause testen kann, ob er sich mit dem HI-Virus angesteckt hat. Wir sprachen mit Nils Zimmermann von der AIDS-Hilfe NRW e. V. über die Erfahrungen, die bisher mit diesem Test gesammelt werden konnten.

DAZ: Herr Zimmermann, welchen ­Stellenwert räumen Sie den HIV-Selbsttests ein?

Zimmermann: HIV-Selbsttests sind ein wichtiger Baustein von vielen. Sie sind ein ergänzendes Element in der Prävention, da durch eine frühe HIV-Diagnose und anschließende Behandlung AIDS verhindert werden kann.

DAZ: Was bedeutet eine HIV-Diagnose heutzutage?

Zimmermann: Das Bild hat sich deutlich gewandelt. Bei frühzeitigem Behandlungsbeginn ist eine Infektion mit dem HI-Virus eine chronische Erkrankung, nach wie vor ist sie aber mit Stigmatisierungen verbunden. Heute gibt es zum Glück ganz andere Behandlungsmöglichkeiten als noch vor einigen Jahren. Früher wurde der Einsatz von Selbsttests nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden Behandlungsoptionen, geringer Zuverlässigkeit sowie schwieriger Handhabung deutlich kritischer gesehen.

DAZ: Welche Personengruppen werden insbesondere durch HIV-Selbsttests angesprochen?

Zimmermann: Ziel sind besonders Personen, die überprüfen möchten, ob sie sich mit HIV infiziert haben und kein reguläres Beratungs- und Testangebot beim Gesundheitsamt oder der AIDS-Hilfe in Anspruch nehmen möchten. Dies sind z. B. Personen, die aus Scham nicht über ihr Sexualleben sprechen oder persönlich in Erscheinung treten wollen. Außerdem wird der Zugang für Menschen leichter, bei denen ein ortsgebundener Test bisher aufgrund von Berufstätigkeit oder langer Fahrwege erschwert war. Problematisch ist zudem die Angst vor der HIV-Diagnose selbst. Hier spielen veraltete Bilder vom Leben mit HIV und Stigmatisierung eine Rolle. Diese Angst vor einer möglichen Diagnose sollte man vor dem Test reflektieren.

DAZ: Kommen seit der Einführung der HIV-Selbsttests weniger Personen in die Beratungsstellen?

Zimmermann: Nein, es lassen sich genauso viele Personen wie vor der Verkaufsfreigabe des HIV-Selbsttests in den Beratungsstellen testen. Es handelt sich eher um ein Ergänzungsangebot. Der Selbsttest bedingt mehr noch einen zusätzlichen Beratungsbedarf, der von örtlichen Beratungs- und Teststellen abgedeckt werden muss.

DAZ: Welchen Mehrwert bieten die Beratungsstellen darüber hinaus?

Zimmermann: Verknüpft mit einem Test bieten wir immer ein Gespräch zu Präventionsmöglichkeiten an. Grundsätzlich sprechen wir dann auch über andere sexuell übertragbare Infektionen und ermutigen zu entsprechenden Untersuchungen. Diese Thematik gewinnt immer mehr an Bedeutung.

DAZ: Können die Tests auch helfen, die Rate der sogenannten late presenter, der spät Diagnostizierten, zu senken?

Zimmermann: Der HIV-Selbsttest kann dabei helfen, eine späte Diagnose zu verhindern. Überproportional hohe Effekte erwarten wir jedoch nicht, da es sich bei den Spätdiagnostizierten um eine sehr heterogene Gruppe handelt. Einige haben gar kein Empfinden dafür, ein HIV-Risiko eingegangen zu sein. Dementsprechend nehmen sie die etablierten Testangebote nicht wahr und werden wohl auch nicht zu einem HIV-Selbsttest greifen. Um HIV-Dia­gnosen früher zu stellen, erscheint es besonders wichtig, dass Ärzte gezielt auf Indikatorkrankheiten achten und im Verdachtsfall zu HIV-Tests raten.

DAZ: Bei einem HIV-Selbsttest fehlt die qualifizierte Unterstützung durch ärztliche oder psychologisch geschulte Personen. Ergeben sich daraus Risiken?

Zimmermann: Gelegentlich kommen Bedenken, dass es bei einem reaktiven Testergebnis möglicherweise zu Überforderung und suizidalen Handlungen kommen könnte. Derzeit gibt es jedoch keine dokumentierten Fälle. Auch bei der Telefonhotline der Deutschen AIDS-Hilfe haben sich meines Wissens nach noch keine Personen mit existenziellen Krisen nach einem reaktiven Ergebnis im Selbsttest gemeldet. Für eine Beratung oder Rückfragen ist die Nummer der Hotline in der Packungsbeilage der Tests abgedruckt.

DAZ: Womit haben Anwender von HIV-Selbsttests Ihrer Meinung nach die meisten Probleme?

Zimmermann: Die Rückmeldungen zeigen, dass die meisten Anwender gut zurechtkommen und das Gefühl haben, die Tests sind leicht durchführbar. Die meisten kritischen Stimmen nennen Probleme bei der selbstständigen Blutabnahme. So traten Schwierigkeiten mit der Lanzette auf. In manchen Fällen wurde zu wenig Blut beim ersten Lanzettenstich gewonnen, so dass sich die Befragten andere oder mehrere Einweglanzetten wünschten.

DAZ: Welchen Tipp geben Sie Apothekenmitarbeitern für die Beratung?

Zimmermann: Neben den wichtigen Informationen zur diagnostischen Lücke und der generellen Durchführung sollte besonders auf die sprachliche Differenzierung beim Testergebnis geachtet werden. Der Selbsttest bietet keine endgültige Diagnose und muss in jedem Fall bestätigt werden. Daher sollte immer von einem reaktiven und nicht von einem positiven Testergebnis gesprochen werden!

DAZ: Herr Zimmermann, herzlichen Dank für das Gespräch! |

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