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Therapien im Gespräch
Ein kleiner Piks, aber ein großer Schritt für die Menschheit
Von Impferfolgen, Impfpflicht und impfenden Apothekern
Die Menschheit verdankt den Schutzimpfungen viel – vielleicht sogar ihre fortdauernde Existenz. Da jedoch eine unmittelbare Bedrohung fehlt, fällt es in der Gegenwart schwer, sich daran zu erinnern. Unweigerlich werden Skeptiker auf den Plan gerufen, die die Diskussion um die Sicherheit von Impfungen immer von Neuem entfachen. Im Folgenden einige neue Argumente für das Impfen.
Nutzen überwiegt Risiko
Im Jahr 2017 gingen 4027 Einzelfallmeldungen über Verdachtsfälle von Impfnebenwirkungen oder Impfkomplikationen beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) ein (DAZ 17, S. 24). Die Auswertung der berichteten 11.844 unerwünschten Reaktionen ergab keine Anhaltspunkte für bisher unbekannte Nebenwirkungen der in Deutschland eingesetzten Impfstoffe. Am häufigsten wurden Reaktionen an der Injektionsstelle, Fieber, Kopfschmerzen, Myalgien, Arthralgien und Lokalreaktionen genannt. Zwar gab es 18 Komplikationen mit tödlichem Ausgang, doch in keinem dieser Fälle wurde die Impfung als Todesursache festgestellt. Unter den gemeldeten 46 bleibenden Schäden wurde nur in wenigen Fällen ein kausaler Zusammenhang mit der Impfung gesehen, darunter beispielsweise die Entstehung eines sterilen Abszesses, dagegen nicht bei Erkrankungen wie Typ-1-Diabetes. Die Ergebnisse einer groß angelegten Studie auf Basis der Krankenversichertendaten von 223.035 Personen lassen auch die Hypothese, dass Impfungen das Risiko einer multiplen Sklerose (MS) erhöhen könnten, mehr als unwahrscheinlich erscheinen (DAZ 35, S. 28).
Durchbruch bei HPV
Mithilfe einer Metaanalyse konnte in diesem Jahr gezeigt werden, dass die Prävalenz von Infektionen mit dem Humanen Papillomavirus (HPV), Vorstufen des Zervixkarzinoms sowie Anogenitalwarzen, seit der Einführung der HPV-Impfung deutlich zurückgegangen ist (DAZ 37, S. 21). Ausgewertet wurden 40 Studien mit den Daten von etwa 60 Millionen Frauen und Männern. Einen deutlichen Nutzen hat die Vakzine auf die Häufigkeit von zervikalen intraepithelialen Neoplasien Grad 2+ (CIN2+-Läsionen). Die Metaanalyse hat außerdem gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Impfung für eine ganze Altersgruppe statt nur für einzelne Jahrgänge zu empfehlen, um einen höheren Herdenschutz zu erreichen. Dabei ist der Zeitpunkt entscheidend. In Schottland wurde 2008 ein nationales Impfprogramm mit dem bivalenten Impfstoff Cervarix® gegen die HPV-Subtypen 16 und 18 für Mädchen im Alter von 12 und 13 Jahren sowie ein dreijähriges Aufholprogramm bis zu einem Alter von 18 Jahren eingeführt (DAZ 18, S. 24). Bei Mädchen, die schon mit 12 oder 13 Jahren geimpft wurden, verringerte sich die Wahrscheinlichkeit für CIN Grad 3 oder höher um 86%, bei Mädchen, die erst mit 17 Jahren geimpft wurden, dagegen nur um 51%.
Endgültig entkräftet werden konnte in diesem Jahr der Verdacht, dass die HPV-Impfung für ein Schmerzsyndrom (complex regional pain syndrome, CRPS) und ein posturales Tachykardiesyndrom (postural orthostatic tachycardia syndrome, POTS) verantwortlich sein könnte (DAZ 17, S. 24).
Angst vor Tollwut
In diesem Jahr gab es WHO-Berichte über gefälschte Tollwut-Impfstoffe und Antiseren auf den Philippinen, darunter Verorab®, Speeda® und Rabipur® (Meldung auf DAZ.online vom 2. August 2019). Im Juli riet das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC), dass sich Reisende, die kürzlich eine Tollwut-Postexpositionsprophylaxe auf den Philippinen erhalten hatten, in ihrem Heimatland medizinischen Rat einholen sollen. Bei Tollwut-Kontakt darf keine Zeit verloren werden. In Deutschland ist die Postexpositionsprophylaxe durch die Notfalldepots der Landesapothekerkammern sichergestellt. Gibt es bereits klinische Symptome, ist sie unwirksam. Leider konnte dem Wunsch nach einer präexpositionellen Immunisierung vor der Einreise in ein Endemiegebiet nicht immer nachgekommen werden: Schon seit vielen Monaten gibt es Lieferschwierigkeiten beim Tollwut-Impfstoff von GSK (Rabipur®) und Sanofi (Tollwutimpfstoff (HDC) inaktiviert®).
Erfolg bei Herpes zoster
Ein Ausbruch von Herpes zoster beruht auf einer Reaktivierung von Varizella-zoster-Viren. Eine US-amerikanischen Untersuchung mit mehr als sechs Millionen Probanden hat gezeigt, dass Kinder, die gegen Windpocken geimpft wurden, weniger häufig an Herpes zoster erkranken als ungeimpfte (DAZ 31, S. 22). In Deutschland stehen die Monoimpfstoffe Varilrix® (GSK) und Varivax® (MSD) sowie zwei Vierfachimpfstoffe gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken (MMRV) Priorix Tetra® (GSK) und Proquad® (MSD) zur Verfügung.
Bereits Ende 2018 hatte sich die Ständige Impfkommission (STIKO) für die Gürtelrose-Schutzimpfung als Standardimpfung bei allen Personen ab 60 Jahren ausgesprochen. Seit der Saison 2019/2020 ist sie offizieller Bestandteil des Impfkalenders (DAZ 35, S. 27) – die Nachfrage ist dementsprechend hoch. Empfohlen wird nur der adjuvantierte Totimpfstoff (Shingrix®), nicht der Lebendimpfstoff (Zostavax®). Es liegt im Ermessen des Arztes, Personen, die bereits eine Gürtelrose durchgemacht haben, zu impfen. Es gibt Berichte, dass Patienten in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Impfung an Herpes zoster erkrankt waren. Ob tatsächlich ein kausaler Zusammenhang besteht, lässt sich derzeit noch nicht abschließend beurteilen. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) ruft dazu auf, alle Nebenwirkungen nach einer Shingrix®-Impfung zu melden.
Hoffnung bei Malaria
Das Ziel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Zahl der Krankheits- und Todesfälle infolge Malaria bis zum Jahr 2020 um 40% zu reduzieren, wird nicht erreicht (DAZ 21, S. 32). Für 2017 wurden ca. 423.000 Tote und 219 Millionen Erkrankte erfasst – im Vergleich zum Jahr 2010 bedeutet das zwar einen leichten Rückgang, im Vergleich zu 2016 allerdings eine Stagnation. Ungefähr 90% der Fälle treten in der Sub-Sahara-Region auf und betreffen überwiegend Kleinkinder. Die Entwicklung eines Impfstoffes ist schwierig. Doch zwei neue Kandidaten machen Hoffnung: In diesem Jahr startete eine groß angelegte Impfkampagne, bei der jährlich 360.000 Kinder in Ghana, Malawi und Kenia mit RTS,S (Mosquirix®) geimpft werden sollen. Für 2020 ist eine Studie geplant, bei der die 2100 Bewohner der Insel Bioko vor der Küste Äquatorialguineas den Impfstoff PfSPZ erhalten werden.
Problem Epstein-Barr-Virus
Auch der Erreger der infektiösen Mononukleose, das Epstein-Barr-Virus, lässt sich nicht so einfach kriegen: Da in der latenten Entwicklungsphase keine intakten Viruspartikel gebildet und freigesetzt werden, ist die Infektion für das Immunsystem quasi unsichtbar (DAZ 31, S. 32). Eine bestehende Immunisierung gegen Oberflächenproteine wie VCA (Virus capsid antigen) läuft ins Leere. Gerade die latente Phase wird aber für die onkogene Wirkung der Epstein-Barr-Viren verantwortlich gemacht. Forscher des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) stellten in diesem Jahr einen Impfstoff vor, der sowohl Proteine der latenten, als auch der lytischen Phase berücksichtigt. Im Tierversuch konnte die Wirksamkeit dieser Impfung bereits nachgewiesen werden. Nun wird an einem Humanimpfstoff gebastelt, was allerdings noch ein paar Jahre dauern kann.
Rückschläge bei Mumps
Es gibt vermehrt Berichte, dass Menschen an Mumps erkranken, obwohl sie nach Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) geimpft wurden (DAZ 38, S. 31). Zwei Ursachen werden diskutiert: Einerseits sprechen nicht alle Personen auf die Impfung an, andererseits scheinen sich die Mumpsviren im Lauf der Zeit verändert zu haben. So unterscheidet sich der zirkulierende Wildtyp von dem Virusstamm, auf dem die Impfung basiert. In 93% der Blutproben von insgesamt 71 Studenten konnten Antikörper gegen Mumps nachgewiesen werden. Jedoch war die durchschnittliche Zahl der Zellen, die neutralisierende Antikörper gegen Mumps produzieren können, etwa fünf- bis zehnmal geringer als die Zahl der Masern- und Röteln-spezifischen Zellen. Etwa jeder zehnte Proband hatte überhaupt keine Mumps-spezifischen Gedächtnis-B-Zellen gebildet. Es steht die Frage im Raum, ob der derzeit verwendete Impfstoff optimiert werden sollte.
Zuversicht bei Influenza
Von einer Impfeffektivität von 93 bis 99% wie bei Masern, Mumps und Röteln kann man bei der saisonalen Grippeimpfung nur träumen. In der Saison 2017/18, der stärksten Welle seit 30 Jahren mit rund 25.100 Todesfällen, lag die Wirksamkeit der Vakzine bei nur 15% (Meldung auf DAZ.online vom 8. Oktober 2019). Für 2018/2019 lag die für Geschlecht, Altersgruppe, Vorliegen einer Grunderkrankung und Erkrankungswoche adjustierte Impfeffektivität laut Robert Koch-Institut (RKI) bei 21%. Die Impfstoffe zielen auf die Influenzaviren vom Typ A und Typ B, die eine hohe genetische Variabilität aufweisen. Vor allem Influenza A (H3N2) scheint besonders mutationsfreudig zu sein.
Erstmals werden in dieser Saison nur noch tetravalente Impfstoffe angeboten. Ein Novum ist auch Flucelvax®Tetra, ein Vierfachimpfstoff, der in Zellkulturen und nicht in Hühnereiern produziert wird (DAZ 39, S. 28). Seinen Platz muss er sich erst noch erkämpfen. Die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) sehen in ihm jedenfalls eine Möglichkeit für einen schnelleren Start der Impfstoffherstellung im Falle einer Pandemie und das Potenzial, die Wirksamkeit von Grippeimpfstoffen zu verbessern (Meldung auf DAZ.online vom 11. September 2019).
Masern – ein Thema für sich
Eigentlich sollten Masern heutzutage kein Thema mehr sein: Es gibt wirksame Impfstoffe, an die die Eltern im Verlauf der U-Untersuchungen erinnert werden. Doch insbesondere die Masern-Impfung hat viele Gegner, die vorrangig das Argument ins Feld führen, Masern seien eine harmlose Kinderkrankheit. Dem widerspricht eine lange Liste an möglichen Komplikationen. Die Infektion bedingt eine mindestens sechswöchige transitorische Immunschwäche mit der Folge einer erhöhten Empfänglichkeit für bakterielle Superinfektionen. Am häufigsten treten Masern-assoziiert Otitis media, Bronchitis, Pneumonie und Diarrhöen auf. Schwerste Komplikationen sind eine akute postinfektiöse Enzephalitis oder subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) (DAZ 30, S. 28). Bis heute gibt es keine wirksame antivirale oder supportive Therapie einer akuten Infektion und der durch Masern verursachten Komplikationen. Was bleibt, sind Bettruhe und Hoffnung auf Besserung.
Die WHO macht Druck wegen der anhaltenden Masern-Ausbrüche in der Europäischen Region. Sie ist davon überzeugt, dass die Ausbreitung durch die fortbestehenden Nischen nicht- oder unterimmunisierter Personen in vielen Ländern angeheizt wird (DAZ 21, S. 14). Seit dem 1. Januar 2018 habe es in 47 der 53 Länder der Region über 100.000 Masernfälle und mehr als 90 masernbedingte Todesfälle gegeben. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Region haben den Europäischen Impfstoffaktionsplan 2015 – 2020 (EVAP) zwar einstimmig angenommen, doch schaffen sie es einfach nicht, ihn umzusetzen.
Der amtierende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will nun Strenge walten lassen. Das Masernschutzgesetz sieht vor, dass ab dem 1. März 2020 in bestimmten Gemeinschaftseinrichtungen ein ausreichender Impfschutz oder eine Immunität gegen Masern nachgewiesen werden muss. Im Besonderen geht es um Schulen, Kindertagesstätten, Horte, bestimmte Formen der Kindertagespflege, aber auch um Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbewerber (DAZ 29, S. 14). Kindern, die nicht gegen Masern geimpft sind, kann der Besuch in einer Kita verwehrt werden. Wenn sich Eltern weigern, droht ein Bußgeld von bis zu 2500 Euro. Ein Ausschluss von der Schule ist dagegen nicht vorgesehen. Der Bundestag hat das Gesetz am 14. November beschlossen.
In einem Gastkommentar in der DAZ 30 führt Prof. Dr. Wolfgang Gaissmaier, Universität Konstanz, aus, dass eine Impfpflicht nicht nur auf vereinzelte Krankheiten abzielen, sondern ein breites Spektrum an Krankheiten und Bevölkerungsgruppen umfassen sollte. „Ansonsten könnten die Nachteile die Vorteile überwiegen, da zum Beispiel nicht verpflichtende Impfungen in Folge weniger in Anspruch genommen werden“ (DAZ 30, S. 30). Und noch mehr Fragezeichen: Handelt es sich bei Verabreichung der Dreifachimpfung (Mumps, Masern und Röteln, MMR) oder Vierfachimpfung (plus Varizellen, MMRV) nicht um eine unfreiwillige „Mitimpfung“ gegen Krankheiten, gegen die gar keine Impfpflicht besteht? Zumindest nach Meinung des Gesundheitsministers braucht Deutschland keinen monovalenten Impfstoff (DAZ 36, S. 12). Immerhin haben „die beteiligten Verfassungsressorts an dieser Regelung keine Beanstandungen vorgebracht“. Das sahen die befragten Ausschüsse allerdings etwas anders (DAZ 38, S. 10). Fortsetzung folgt …
Apotheker sollen impfen
Das Thema Impfen belebte in diesem Jahr auch die politischen (s. Kasten „Masern – ein Thema für sich“) und insbesondere die berufspolitischen Diskussionen um zukünftige pharmazeutische Dienstleistungen. Bundesgesundheitsminister Spahn brachte im Zuge seines „Gesetzes zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheke“ die Idee von impfenden Apothekern auf den Tisch, zunächst beschränkt auf Grippeschutzimpfungen. Mittlerweile ist diese Idee ins Masernschutzgesetz ausgelagert worden. Die Ärzte waren und sind über diesen Vorstoß wenig begeistert und forderten reflexartig das Dispensierrecht (DAZ 44, S. 3). Die Meinung unter den Apothekern ist gespalten: Während die einen gar nicht impfen wollen (jedenfalls nicht im Austausch gegen die Gleichpreisigkeit), sehen es die anderen als Chance auf eine neue honorierte Aufgabe im Gesundheitssystem. Allerdings gibt es Zweifel, ob sich der impfende Apotheker berufsrechtlich nicht wegen unzulässiger Ausübung der Heilkunde strafbar machen könnte. Doch hier kann bereits Entwarnung gegeben werden: Impfen ist Prävention und damit keine Heilkunde (DAZ 44, S. 24). Es bleibt aber die Ungewissheit, was das Haftungsrisiko im Schadensfall angeht. |
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