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Therapien im Gespräch
Pumpen, Patienten-Apps, Paradigmenwechsel
Bei der Volkskrankheit Diabetes ist derzeit vieles in Bewegung
Auch wenn mehr als 95% der Diabeteserkrankungen in Deutschland auf das Konto des Diabetes mellitus Typ 2 gehen, so sollte man diejenigen Patienten, die – meist in jungen Jahren – an einem Typ-1-Diabetes erkranken nicht vergessen. Die Autoimmunkrankheit führt zum weitgehenden Verlust der insulinsezernierenden Betazellen des Pankreas. Da mit Folgeerkrankungen und Endorganschäden zu rechnen ist, wird eine möglichst normnahe Stoffwechsellage angestrebt (DAZ 40, S. 29). Das Therapieprinzip beim Typ‑1-Diabetes ist eine intensivierte konventionelle Insulin-Therapie (ICT), bestehend aus der getrennt zu injizierenden Basaltherapie und einer Insulin-Gabe abhängig von der Nahrungszufuhr (prandiale Gabe).
Hilfreiche Pumpen
Eine Alternative zur konventionellen Injektionstherapie ist die Pumpentherapie, bei der Insulin über eine Pumpe kontinuierlich gegeben wird. Die Versorgung mit Insulin lässt sich so präzise, rasch und flexibel an den tatsächlichen Bedarf anpassen. Das mehrmals tägliche Spritzen entfällt, was zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen kann. Mittlerweile werden die meisten Kinder und Jugendlichen mit Insulin-Pumpen behandelt. Doch welche Systeme gibt es und für wen sind sie geeignet? Das haben wir uns in DAZ 34, S. 34 genauer angesehen.
Herkömmliche Insulin-Pumpen sind Geräte etwa in der Größe einer Zigarettenschachtel, die außen am Körper, z. B. am Gürtel oder in der Hosentasche, getragen werden und das Insulin über einen schlauchförmigen Katheter mittels Kanüle subkutan injizieren. Eine neuere Entwicklung sind die sogenannten Patch-Pumpen. Diese benötigen keinen Katheter, sondern werden direkt auf die Haut aufgeklebt.
Der Einsatz einer Insulin-Pumpe kann für Menschen mit Typ-1-Diabetes sinnvoll sein, bei denen sich durch eine konventionelle Insulin-Therapie keine stabilen Blutzuckerwerte erreichen lassen. Auch Patienten mit häufigen Hypoglykämien können von einer Insulin-Pumpentherapie profitieren ebenso wie Betroffene mit einem unregelmäßigen Tagesrhythmus (z. B. bei Schichtarbeit) oder Patientinnen bei geplanter oder beginnender Schwangerschaft. Wenn durch andere Therapieformen keine ausreichende Wirkung erzielt werden konnte, ist eine Pumpentherapie auch bei Typ-2-Diabetes eine Option.
Typ-1-Diabetiker haben was zum Schlucken
Was bei Typ-2-Diabetes normal ist, war für Patienten mit Typ-1-Diabetes lange Zeit unvorstellbar: eine orale Therapie. Mit Inhibitoren des Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT-2) wie Dapagliflozin ist dies nun Realität geworden (DAZ 6, S. 32; DAZ 7, S. 26). SGLT-2-Inhibitoren senken den Blutzuckerspiegel, indem sie die Glucose-Ausscheidung über den Urin erhöhen. Adipöse Patienten mit einem Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 27 kg/m2, deren Blutzuckerspiegel mit gängigen Insulin-Regimen nicht zufriedenstellend kontrolliert werden, können von solch einer zusätzlichen Therapie profitieren. Zu beachten ist das Risiko einer atypischen diabetischen Ketoazidose, bei der der Blutzuckerspiegel durch die vermehrte Glucose-Ausscheidung über die Nieren nur mäßig erhöht oder sogar normal sein kann. Situationen mit einem vermehrten Insulin-Bedarf oder relativem Insulin-Mangel (z. B. Reduktion einer Insulin-Dosis) können mit einem erhöhten Risiko für eine Ketoazidose einhergehen. Entsprechend sollten Patienten unter einer Therapie mit SGLT-Hemmern regelmäßig ihre Ketonwerte prüfen und nur niedrige Dosierungen einsetzen (DAZ 40, S. 29). Vor einer Operation oder wenn Patienten mit einer akuten schweren Erkrankung stationär behandelt werden, sollte eine Therapie mit SGLT-2-Inhibitoren aufgrund des erhöhten Ketoazidose-Risikos unterbrochen werden. Dies gilt auch für Patienten mit Typ-2-Diabetes (DAZ 48, S. 34).
Paradigmenwechsel bei Typ-2-Diabetes
Nicht nur bei Typ-1-Diabetes auch bei Typ-2-Diabetes hat die Substanzklasse der SGLT-2-Inhibitoren zu einem Paradigmenwechsel beigetragen. So wird Metformin nicht mehr in allen Fällen als Mittel der Wahl angesehen. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) und die Europäische Diabetes-Gesellschaft (EASD) empfehlen in ihrer Leitlinie bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen oder mit hohem bzw. sehr hohem Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen eine Therapie mit einem SGLT-2-Inhibitor oder einem Glucagon-like-Peptid-1 (GLP-1)-Rezeptoragonisten zu beginnen (DAZ 44, S. 36). Vertreter beider Wirkstoffgruppen reduzieren nachweislich die Anzahl kardiovaskulärer Ereignisse. Zudem wurden zum Teil auch protektive Effekte auf die Nieren festgestellt (DAZ 32, S. 22).
Aber nicht nur bei Diabetes machen SGLT-2-Inhibitoren von sich Reden. So konnte Dapagliflozin bei Patienten mit reduzierter Ejektionsfraktion in einer großen randomisierten Studie überzeugen: Eine Verschlechterung der Herzinsuffizienz oder ein Tod mit kardiovaskulärer Ursache wurde unter dem SGLT-2-Inhibitor seltener festgestellt als unter Placebo – egal, ob die Patienten an einem Typ-2-Diabetes litten oder nicht (DAZ 40, S. 23).
Herz-Kreislauf-Komplikationen langfristig zu minimieren, das ist das erklärte Ziel einer jeglichen antidiabetischen Therapie. Doch muss der „Zucker“ hierfür tatsächlich so weit wie möglich gesenkt werden? Die Ergebnisse einer Langzeitauswertung stellten den Nutzen einer intensiven Therapie scheinbar infrage – aber nur auf den ersten Blick (DAZ 36, S. 28). Auf den zweiten Blick bestätigen die Daten das derzeitige Vorgehen in der Praxis, wie Diabetologe Professor Dirk Müller-Wieland erläutert: Welche HbA1c-Zielwerte angestrebt werden, hängt unter anderem vom Alter des Patienten und dessen körperlicher Verfassung ab. Bei jüngeren Patienten ist eine sehr gute HbA1c-Einstellung selbstverständlich sinnvoll. Bei älteren Patienten muss sich die Therapieintensivierung dagegen nicht auf Teufel komm raus am HbA1c-Wert orientieren (DAZ 36, S. 29). Auch Müller-Wieland betonte den Stellenwert von Substanzen, die das Risiko für Herz-Kreislauf-Komplikationen nachweislich senken. Und wies darauf hin, dass Patienten durch ihren Lebensstil ebenfalls dazu beitragen können, das Risiko zu reduzieren. Dabei muss man womöglich noch nicht einmal auf Kalorien verzichten. Wie die Ergebnisse einer kleinen Studie mit 28 Typ-2-Diabetespatienten nahelegen, scheint sich eine kohlenhydratarme Ernährungsweise auch bei unveränderter Kalorienzufuhr positiv auszuwirken (DAZ 36, S. 30).
Messen nicht vergessen
Nicht verzichten dürfen Menschen mit Diabetes hingegen auf die Bestimmung der Glucose-Werte. Egal ob klassisch mit Stechhilfe und Teststreifen oder mittels sensorbasiertem Messsystem – Fehler können bei jeder Methode unterlaufen. In einem Leitfaden zur Glucose-Selbstkontrolle verdeutlicht der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD) das korrekte Vorgehen (DAZ 29, S. 16). Häufige Fehler bei der klassischen Blutzuckermessung entstehen beim Punktieren, weil die Patienten ihre Hände nicht waschen oder durch starkes Pressen versuchen, ausreichend Blut zu gewinnen. Hier gilt es, für eine richtige Handhabung zu sensibilisieren. Bei den Teststreifen ist darauf zu achten, dass diese das Haltbarkeitsdatum noch nicht überschritten haben und richtig gelagert wurden. Wird die Teststreifendose nach der Messung nicht verschlossen, können Luft und Feuchtigkeit die Enzyme der Teststreifen beeinflussen und so das Messergebnis verfälschen. Zudem kann die Einnahme von Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ascorbinsäure bei einigen Geräten die Messergebnisse beeinträchtigen – das gilt auch für die sensorbasierten Methoden, bei denen der Glucose-Wert in der Interstitialflüssigkeit im Unterhautfettgewebe bestimmt wird.
Digitale Hilfsmittel
Statt handschriftlich Messwerte in einem Tagebuch zu notieren oder mühsam die Insulin-Dosis für die nächste Mahlzeit zu berechnen, nutzen immer mehr Diabetiker ein Smartphone, um ihre Daten zu erfassen und auszuwerten (DAZ 32, S. 28). Das Angebot an Diabetes-Apps, die den Patienten dabei unterstützen wollen, ist mittlerweile riesig und wächst weiter. Dabei variieren Funktionsumfang und auch die Qualität der Apps. Seit 2017 können Diabetes-Apps mit dem Gütesiegel „DiaDigital“ ausgezeichnet werden, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Derzeit sind sieben Apps entsprechend zertifiziert.
Zunehmend werden Diabetes-Apps angeboten, die sich mit Sensoren bzw. Glucose-Messgeräten z. B. über Bluetooth verbinden lassen und so eine Direktübertragung und -darstellung der Blutzuckerwerte ermöglichen. Echtzeitüberwachung des Glucose-Spiegels und Alarm bei Über- oder Unterschreitung von Grenzwerten, Vorschläge zur Insulin-Dosierung und Therapieempfehlungen sowie direkte Kontaktaufnahme mit einer medizinischen Fachkraft sind nur einige der Verwendungsmöglichkeiten, die eine solche App bieten kann. Checklisten können den Patienten dabei unterstützen, die für ihre individuellen Bedürfnisse passenden Diabetes-Apps zu finden (z. B. von diabetes.forum oder Aktionsbündnis Patientensicherheit).
„Damit auch Sie keinen Diabetes bekommen“
Besser als den „Zucker“ bei einem manifesten Diabetes so gut wie möglich in den Griff zu bekommen, ist es natürlich gar nicht erst an der Stoffwechselstörung zu erkranken. Als Risikofaktoren für einen Prädiabetes bzw. für einen manifesten Diabetes mellitus vom Typ 2 gelten unter anderem Übergewicht, Inaktivität, Rauchen, Alkohol, Schlafmangel, höheres Alter, positive Familienanamnese, Gestationsdiabetes. Viele dieser Risikofaktoren lassen sich durch eine Lebensstiländerung adressieren (DAZ 26, S. 40).
Auch Arzneimittel können die Entstehung eines Typ-2-Diabetes begünstigen. Glucocorticoide sind in diesem Zusammenhang besonders problematisch (DAZ 26, S. 30). Gemeinsam mit dem Transkriptionsfaktor E47 beeinflussen Glucocorticoid-Rezeptoren Gene in der Leber. Dadurch wird die hepatische Gluconeogenese angeregt und die Insulin-Produktion unzureichend gehemmt. Über längere Zeit eingenommen, können Glucocorticoide so einen „Steroid-Diabetes“ auslösen. Doch nicht nur die orale Einnahme geht mit einem erhöhten Risiko einher. Auch topische Zubereitungen sind mit einem erhöhten Risiko assoziiert.
Andere Arzneimittel können hingegen helfen, der Manifestation eines Diabetes vorzubeugen. Infrage kommen hier zum einem antidiabetisch wirkende Substanzen wie Metformin, Pioglitazon, Acarbose, Liraglutid, und zum anderen Arzneistoffe wie Orlistat, die der Adipositas als wichtigem Risikofaktor für Diabetes mellitus Typ 2 entgegenwirken. Als Ultima Ratio kann auch die bariatrische Chirurgie (z. B. Magenverkleinerung oder Magenbandoperation) eingesetzt werden (DAZ 26, S. 40).
Keine überzeugenden Belege für eine präventive Wirkung gibt es indes für Glycowohl®, eine als Homöopathikum zugelassene Urtinktur aus den Früchten des Jambulbaums, die in den letzten Monaten intensiv beworben wurde (DAZ 43, S. 32). Die bisher publizierten Daten weisen allerdings auf eine Wirkung der Pflanze in Dosierungen hin, die vielfach höher sind als die, die für die Anwendung der Urtinktur in Glycowohl® empfohlen wird. Ein Beleg für eine klinische Wirksamkeit der Urtinktur lässt sich aus den publizierten Daten weder für eine therapeutische noch für eine prophylaktische Wirksamkeit ableiten.
Doch nicht nur die Prävention des Typ-2-Diabetes ist von großem Interesse. Auch bei Typ-1-Diabetes werden verschiedene Ansätze diskutiert. So wurden dieses Jahr zwei Studien publiziert, die einen protektiven Effekt der Impfung gegen Rotaviren nahelegen (DAZ 10, S. 27; DAZ 29, S. 20). |
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