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Was für ein Jahr ...

Vieles ist noch völlig offen

Der Rückblick in 12 Momentaufnahmen

eda | Mehr als drei Jahre ist es her, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt hat, dass die Arzneimittelpreisbindung für ausländische Anbieter und Versender nicht gilt. Ein vielzitiertes und -kritisiertes Urteil – nicht nur in der Apothekerschaft, sondern auch unter Arzneimittel- und Apothekenrechtsexperten. Auf bundespolitischer Bühne hat es in den vergangenen drei Jahren nicht nur einen Fast-Regierungswechsel gegeben, sondern auch einen Stimmungswechsel gegenüber den zentralen Positionen des Berufsstandes. Die Apotheker haben im Jahr 2019 gewissermaßen ihren „Klimawandel“ hautnah miterlebt. Was soll 2020 politisch gefordert werden? Woran soll man sich beteiligen? Was lässt man besser?

Fast 40 Gesetze und Verordnungen hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in der 19. Legislaturperiode bisher auf den Weg gebracht – und es werden wöchentlich mehr. Die meisten Vorhaben tangieren das Arzneimittel- und Apothekenwesen fast gar nicht. Andere Entwürfe könnten für den entscheidenden Systemwechsel sorgen. Spahns Antwort auf das EuGH-Urteil von 2016 steckt in seinem Entwurf für ein „Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz“. Statt auf ein von vielen namhaften Juristen empfohlenes Rx-Versandverbot setzt der Minister auf eine Sozialrechtsregelung, auf deren Grundlage womöglich wieder neue Prozesse und Verfahren bis vor den EuGH geführt werden könnten. Doch der Versandhandelskonflikt selbst ist zunehmend in den Hintergrund gerückt. Spahn will die Digitalisierung im deutschen Gesundheitssystem vorantreiben – das E-Rezept wartet auf seine Einführung, der elektronische Medikationsplan und die elektronische Patientenakte sollen zeitnah folgen. Sowohl die Kammern und Verbände der Apotheker, als auch die Privatwirtschaft, u. a. die ausländischen Versender, haben in diesem Jahr begonnen, sich auf dieses neue Feld vorzuwagen. Für die Arzneimittelversorgung ergeben sich ganz neue Fragen und Herausforderungen – Versandkonzerne sehen das E-Rezept sogar als „Game Changer“. Was wird in genau einem Jahr sein? Wo werden wir stehen? Niemand kann die Frage aktuell beantworten. Vieles wird zwar angestoßen, aber die Auswirkungen lassen noch auf sich warten.

Januar

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Mitte Dezember 2018 hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) der ABDA-Mitgliederversammlung seine Eckpunkte zur Sicherung und Weiterentwicklung der flächendeckenden Arzneimittelversorgung vorgestellt. Das im Koalitionsvertrag vereinbarte Rx-Versandverbot lehnte er ab und schlug stattdessen vor, die Rezept-Boni der EU-Versandapotheken auf 2,50 Euro je Packung zu begrenzen. Die anderen Vorschläge des Ministers, insbesondere zu honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen sowie weitere Honoraraufstockungen, sahen viele Standesvertreter hingegen als Chance. Doch Spahn hatte zugleich angekündigt, dass seine Vorschläge nur ein ­„geschlossenes Angebot“ seien. Am 17. Januar beschloss die ABDA-Mitglieder­versammlung ein Eckpunktepapier, in dem sie u. a. ein striktes Rx-Boni-Verbot statt eines Boni-Deckels forderte. Spahn sah in dem Papier einen ersten Schritt der Apotheker weg vom über zwei Jahre lang geforderten Rx-Versandverbot.

Februar

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Seit dem 9. Februar ist nicht alles, aber vieles anders: Apotheken müssen verschreibungspflichtige Arzneimittel vor der Abgabe an den Patienten nun einem Echtheitscheck unterziehen. Drei Jahre hatte man in Deutschland Zeit, die Delegierte Verordnung zur Fälschungsschutzrichtlinie umzusetzen. Daraus entstand die für den Aufbau und den Betrieb des neuen Fälschungsschutz-Systems verantwortliche Organisation Securpharm e. V. Allein in der Bundesrepublik sind 750 Millionen Arzneimittelpackungen betroffen, europaweit geht es um 10 Milliarden. Unterm Strich müssen rund 350 Hersteller, 19.500 öffentliche Apotheken, 1000 Großhändler, 400 Krankenhausapotheken und 100 sonstige Betriebe wie Blisterzentren und Rezepturherstellungsbetriebe an das Securpharm-System angebunden werden. In den Apotheken müssen seitdem die Packungen auf zwei Sicherheitsmerkmale geprüft werden: Zum ­einen der Data-Matrix-Code, zum anderen der Erstöffnungsschutz.

März

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Mehrere hundert Apothekenleiter und -mitarbeiter zogen im März durch die Berliner Innenstadt. Vor dem Bundesgesundheitsministerium stoppte die Masse und hielt ein lautes Pfeifkonzert ab. Dazu die Sprechchöre: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man euch die Apo klaut!“ oder „Spahn muss weg!“ Initiiert wurde der Protestmarsch unter dem Namen ­#rettedeineapotheke von den drei Nachwuchsapothekern Maria Zoschke, Dr. Joachim Schrot und Maximilian Wilke. Ihre Kritik richtet sich u. a. gegen den vermehrten Einfluss großer Wirtschaftskonzerne auf die Arzneimittelversorgung sowie die Reformpläne von Minister Spahn. Auch der Vorstand der Apothekengewerkschaft Adexa beteiligte sich an der Veranstaltung. Andreas May positionierte sich gegen die SPD: „Was mich erschreckt: Das ist die Gleichgültigkeit, mit der diese Partei über zweieinhalb Jahre die Arbeitsplätze von vielen Kolleginnen und Kollegen aufs Spiel gesetzt hat! Zugunsten des Großkapitals. Zugunsten multinationaler Großkonzerne.“

April

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Wie lassen sich die Vor-Ort-Apotheken stärken, damit sie in Zukunft gegen die Online-Versender bestehen können? Nicht wenige sind der Meinung, dass Apotheken diese Herausforderung nur im Netzwerk und mit starken Partnern lösen können. Zwei Initiativen abseits der standes- und gesundheitspolitischen Bemühungen stechen dabei heraus: Zum einen der Wort & Bild Verlag mit den Großhändlern Sanacorp und Gehe sowie dem Automatenhersteller Rowa und der Noventi in der „Initiative pro AvO“, zum anderen die Großhandels­genossenschaft Noweda mit Hubert Burda Media im „Zukunftspakt Apotheke“. Der „Zukunftspakt“ ging am 1. April an den Start. Das Angebot für die Mitgliedsapotheken: Die Online-Bestellplattform IhreApotheken.de, sowie „My Life“, ein neues Apothekenkunden-Magazin, das im Burda-Verlag entsteht, und im Hinblick auf seine Erscheinungsweise und die Line Extension mit Titeln für Senioren, Diabetikern und Kindern stark an die „Umschau“ erinnert.

Mai

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Die Europawahl im Mai sorgte für einige Überraschungen. Während in der gesamten EU rund jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme abgab, waren es in Deutschland sogar mehr als 60 Prozent. Die Parteien der Großen Koalition müssen teils heftige Stimmenverluste hinnehmen. Insbesondere die SPD verliert, sie kommt dem vorläufigen Ergebnis zufolge nur noch auf 15,8 Prozent, 2014 hatte sie noch mehr als 27 Prozent der Wählerinnen und Wähler überzeugen können. Die Union liegt bei knapp 29 Prozent – das entspricht einem Minus von 6 Prozentpunkten. Wahlgewinner sind die Grünen: Sie schicken fortan die zweitmeisten deutschen Abgeordneten ins EU-Parlament. Vor allem in den Großstädten wurden die Grünen gewählt. Klima scheint bei der Wahl das alles ent­scheidene Thema gewesen zu sein. Was die neue Konstellation im Parlament für die Freien Berufe und das Gesundheitswesen in Deutschland bedeutet, steht nach wie vor in den Sternen.

Juni

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Im Juni entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass auch eine g­eringfügige Werbegabe wie ein Brötchengutschein wettbewerbswidrig ist, wenn sie bei der Rezept­einlösung ausgegeben wird. Die Karlsruher Richter machen deutlich: Ein Verstoß gegen das Zuwendungsverbot, das entgegen den Preisvorschriften des Arzneimittelgesetzes gewährte Werbegaben generell untersagt, beeinträchtigt die Marktteilnehmer auch spürbar. „Der Umstand, dass es sich sowohl bei einem Brötchen-Gutschein als auch bei einem Ein-Euro-Gutschein um Werbegaben von geringem Wert handelt, ändert daran nichts.“ Doch das Ende aller Zuwendungen bedeuten die Urteile des BGH sicher nicht. Im Heilmittelwerbegesetz (HWG) sind ausdrücklich Ausnahmen vorgesehen – wie zum Beispiel Kundenzeitschriften. Auch bei Taschen­tüchern, Traubenzucker oder Halsbonbons würde keine Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung bestehen, die das HWG verhindern will, sagen Prozessbeobachter.

Juli

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Nach jahrelangen Verhandlungen zwischen dem Deutschen Apothekerverband (DAV) und dem GKV-Spitzenverband trat am 1. Juli der neue Rahmenvertrag für die Arzneimittelversorgung in Kraft. Die wohl größte Neuerung betrifft die Arzneimittelauswahl: Es werden nun ein „generischer Markt“ und ein „importrelevanter Markt“ unterschieden. In beiden „Märkten“ sind bevorzugt Rabattarzneimittel abzugeben. Doch die Lieferengpässe wirken sich auf die Praxistauglichkeit des neuen Vertrages aus: Wenn kein Rabattvertrag verfügbar ist, muss eines der vier preisgünstigsten Arzneimittel abgegeben werden. Letztendlich darf die Auswahl nicht teurer sein als das verordnete Präparat, das den Preisanker bildet. Andernfalls sind die Apotheken verpflichtet, in den Praxen der jeweiligen Verordner anzurufen. Das sorgt für viele Reibereien und Ärger. Schließlich wird die umstrittene Preisanker-Regelung etwas vereinfacht. Doch der Rahmenvertrag steht bis heute in der Kritik.

August

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Am 13. August endete die Mitzeichnungsfrist für die Petition für ein Rx-Versandverbot des Pharmaziestudenten Benedikt Bühler aus Karlsruhe. Mehr als 400.000 Unterschriften sammelte der 20-Jährige mit der Unterstützung vieler Apotheker und auch Vertretern der Großhandlungen. In der Geschichte der Online-Petitionen des Bundestages gab es bislang keine, die häufiger mitgezeichnet wurde. In Berlin übergab Bühler einen Teil der Unterschriften symbolisch an Thomas Müller, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium. Doch in der Standesvertretung der Apothekerschaft sind die Meinungen gespalten: Während die ABDA mit dem Pharmaziestudenten öffentlich nicht gemeinsam auftreten will und ihm lediglich ein Hintergundgespräch anbietet, steht beispielsweise Kammerpräsidentin Ursula Funke aus Hessen dem Engagement sehr positiv gegenüber. Im Januar 2020 wird eine öffentliche Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages dazu stattfinden.

September

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Zwischen seinen Dienstreisen in die USA und nach Afrika und mitten in einer Sitzungswoche des Bundestages besuchte Bundes­gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) tatsächlich den Deutschen Apothekertag 2019 in Düsseldorf. Für Spahn war sein zweiter Auftritt vor der Vollversammlung alles andere als ein Besuch bei Freunden. Nach dem mehrmals veränderten Leitantrag zwei Tage zuvor, galt es für den Minister, die Apotheker wieder auf Linie zu bringen – und ihnen nachdrücklich klarzumachen, dass sie sich ansonsten andere politische Partner für Gesetzesinitiativen suchen müssten. Der geschäftsführende ABDA-Vorstand hatte einen allgemein gehaltenen Leitantrag eingebracht, in dem das Rx-Versandverbot nicht vorkam. Doch nach der eine Woche zuvor bekanntgewordenen Empfehlung des Bundesrates für ein Rx-Versandverbot erschien dies manchen Delegierten unangebracht. Sie wollten ein deutliches Zeichen setzen, doch der Weg dahin war lang und mühsam.

Oktober

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Seit dem 22. Oktober ist der Botendienst nicht mehr auf den Einzelfall beschränkt. Heißt konkret: Der Kundenwunsch rechtfertigt bereits eine solche Lieferung. Die Apotheke muss jedoch weiterhin für eine pharmazeutische Beratung sorgen – im Zweifel auch auf telefonischem Weg oder durch pharmazeutisches Personal vor Ort bei der Übergabe der jeweiligen Arzneimittel. Die Neuerungen gehören zum Maßnahmenpaket, das ursprünglich als ein zusammenhängendes Apotheken-Stärkungsgesetz gedacht war. Weitere Regeln betreffen Temperaturkontrollen bei Arzneimittellieferungen und das PKV-Aut-idem. Bei der Lieferung von kühlpflichtigen Arzneimitteln sollen Apotheken zukünftig Temperaturlogger einsetzen. Die neuen PKV-Aut-idem-Regeln sollen den Austausch von wirkstoffgleichen Präparaten bei Privatversicherten und Selbstzahlern erleichtern. Rücksprachen beim Arzt sind in diesen Fällen nicht mehr erforderlich – ein erster Schritt hin zur Entbürokratisierung.

November

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„Uns hat es schon erstaunt, dass es insgesamt 52 Pilotprojekte gibt. [...] Vielleicht sollte der ein oder andere Modellbetreiber in eine Phase der Orientierung eintreten und [...] überlegen, ob es sich lohnt, weiter zu investieren“, so Dr. Markus Leyck-Dieken, Geschäfts­führer der Gematik, bei einer Veranstaltung des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) Anfang November in Berlin. Einen Tag später in Stuttgart wird der Startschuss für GERDA auf einer Landespressekonferenz öffentlichkeitswirksam thematisiert. Der „Geschützte E-Rezept-Dienst der Apotheker“ findet als Modellprojekt in der Region Stuttgart und Tuttlingen statt und soll es Patienten, die zuvor telemedizinisch behandelt wurden, ermöglichen, ihre Rezepte in den Vor-Ort-Apotheken einzulösen. Welche Technik bzw. welches Modellprojekt die Gematik letztendlich auf die bundesweite, offizielle Bühne heben wird, ist nach wie vor unklar. Das GERDA-Projekt scheint Leyck-Dieken aber sehr zu gefallen.

Dezember

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Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sind die neue SPD-Spitze. Der frühere nordrhein-westfälische Finanzminister und die Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg gelten als Kritiker der Großen Koalition. Hinter dem Mitgliederentscheid von Anfang Dezember könnte also die Hoffnung vieler Sozialdemokraten stecken, mit dem neuen Führungsduo einen größeren Einfluss auf die aktuelle Politik in der Bundesregierung zu nehmen, Forderungen gegenüber der Union durchzusetzen oder die Koalition im Zweifel platzen zu lassen. Bei den Gesundheitspolitikern beider Fraktionen ist die Stimmung dagegen sichtlich gelassener: SPD- und Unionsvertreter haben in den letzten beiden Jahren gemeinsam und gerne an Gesetzen gearbeitet und äußern Unverständnis über den Vorstoß der neuen SPD-Spitze. Neben der Apothekenreform und den von Minister Spahn initiierten Digital-Gesetzen hängen an der ­Koalition auch die akuten Maßnahmen gegen die Lieferengpässe. |

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