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Gesundheitspolitik
Karlsruhe kippt Sterbehilfeverbot
Bundesgesundheitsminister Spahn plant neues Gesetz
Ende 2015 hatte der Bundestag das in § 217 Strafgesetzbuch (StGB) verankerte Verbot beschlossen: Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt, wird demnach mit bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe bestraft. Straffrei bleibt dagegen, wer selbst nicht geschäftsmäßig handelt und ein Angehöriger des Suizidwilligen ist bzw. diesem nahesteht. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie die Schweizer Dignitas ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Auch Spahn hatte die Gesetzesvorlage, die fraktionsübergreifend aus der Mitte des Bundestages kam, seinerzeit unterstützt. Allerdings: Der Begriff „geschäftsmäßig“ setzt keine Erwerbs- oder Gewinnerzielungsabsicht voraus. Vielmehr genügt, dass der Täter „die Wiederholung gleichartiger Taten zum Gegenstand seiner Beschäftigung macht“. Das könnte zum Beispiel auch Ärzte treffen. Und so legten Mediziner ebenso wie Patienten und Sterbehilfevereine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ein.
Selbstbestimmtes Sterben als Grundrecht
Bereits im April vergangenen Jahres wurde in Karlsruhe zwei Tage lang über diese Beschwerden verhandelt – am 26. Februar entschied nun der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts: § 217 StGB ist verfassungswidrig und damit nichtig. Das Gericht stellt in seinem Urteil fest, dass das verfassungsrechtlich geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Dieses Recht schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen sowie sich hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und diese Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. Dabei beschränke sich dieses Recht nicht auf fremddefinierte Situationen wie „schwere oder unheilbare Krankheitszustände“ oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen. „Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz“, so der Senat. Doch das strafbewehrte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung mache es Suizidwilligen faktisch unmöglich, die von ihnen gewählte, geschäftsmäßig angebotene Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen.
Gesetzgeber hat Spielraum
Das Gericht stellte aber auch klar, dass es durchaus möglich ist, gefährliche Formen der Suizidhilfe unter Strafe zu stellen – es müsse aber sichergestellt sein, dass trotz des Verbots im Einzelfall ein Zugang zu freiwillig bereitgestellter Hilfe real eröffnet bleibt. Dem Gesetzgeber stehe „ein breites Spektrum an Möglichkeiten“ offen, so die Richter: „Sie reichen von prozeduralen Sicherungsmechanismen, etwa gesetzlich festgeschriebener Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe. Diese können auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden.“ Eine zulässige Regelung erfordere nicht nur eine konsistente Ausgestaltung des Berufsrechts der Ärzte und der Apotheker, sondern möglicherweise auch Anpassungen des Betäubungsmittelrechts, so die Richter weiter. Dies schließe nicht aus, die im Bereich des Arzneimittel- und des Betäubungsmittelrechts verankerten Elemente des Verbraucher- und des Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept zur Suizidhilfe einzubinden. Zuletzt stellen die Richter klar: Eine Verpflichtung zur Suizidhilfe gibt es nicht.
Behörden sollen nicht über Leben und Tod entscheiden
Spahn will diesen vom Bundesverfassungsgericht eröffneten Spielraum nun nutzen. Er wolle „mit allen Beteiligten sprechen, um eine verfassungsgerechte Lösung zu finden“, sagte er. Aus einem Recht auf selbstbestimmtes Sterben dürfe jedoch keine Gewöhnung oder gar gesellschaftliche Pflicht werden, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. „Wir müssen immer die Betroffenen und ihre Angehörigen im Blick zu behalten.“
Spahn betonte aber auch, dass es „falsch“ sei, wenn Behörden über Leben oder Tod entscheiden müssten. Wenn es eine Verpflichtung zur Suizidhilfe nicht gebe, kann es nach seinem Verständnis auch keinen Anspruch gegenüber Behörden geben. Spahn betonte, dass die Karlsruher Richter nicht über die Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes geurteilt hätten. Zu der Frage, ob das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Erwerb eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels erlauben muss, laufe noch ein anderes Verfahren. Allerdings: Eigentlich liegt hierzu bereits ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem März 2017 vor, das Spahn jedoch bislang nicht umgesetzt sehen will. |
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