Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Im Krisenmodus

Prof. Dr. Andreas Kaapke

Die Corona-Krise stellt das dar, was man in der Wirtschaft einen exogenen Schock nennt. Darunter fallen Naturkatastrophen, Kriege oder auch Krankheitserreger, die plötzlich auftauchen und sich dann – je nach Verlauf – schleichend oder exponentiell ausbreiten. Vor dem Hintergrund der in den Vorjahren registrierten Influenza-Fälle lässt sich der Verlauf von Corona in Deutschland noch als schleppend etikettieren und dies nicht, um diese Pandemie zu bagatellisieren, sondern um sie zu relativieren.

Bemerkenswerterweise hat sich die Politik darauf verständigt, den Schutz des einzelnen Menschen absolut in den Fokus zu rücken und quasi in Form einer Trade-off-Abwägung alle anderen Folgen als Kollateralschaden zu kategorisieren. Man vermag noch nicht abzusehen, ob diese strategische Vorgehensweise recht behält, zumal alle anderen Nationen und deren Regierungen ähnlich reagieren und von daher der Eindruck suggeriert wird, das Vorgehen sei alternativlos. Gleichwohl mutet die Entscheidungssituation grotesk an, denn den bislang in Deutschland gezählten Todesfällen – wobei niemand weiß, wohin sich dieser Wert noch bewegt – steht die Pro­gnose von gegenwärtig rund einer Million Arbeitsplätzen gegenüber, die gefährdet sind (und auch hier weiß keiner, ob es dabei bleibt). Und dies, obgleich der Staat rund 600 Milliarden Euro in die Wirtschaft zu pumpen gedenkt, was ungefähr 15 bis 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht (Basisjahr 2018), bei Inkaufnahme eines geschätzten Abschwungs in Richtung minus 5 Prozent und mehr. Bitte nicht falsch verstehen: Jeder einzelne Sterbefall ist schlimm, jeder in Kauf genom­mene Arbeitslose aber auch.

Nun sind Kausalitäten nicht eindimensional abbildbar, da wir nicht wissen, wie sich die Wirtschaft in dieser Situation entwickeln würde, wenn wir den Normalbetrieb aufrechterhalten hätten. Manche Branchen wittern jetzt schon Ungemach – wenn mit Vapiano und Maredo zwei prominente Gastro-Vertreter kurz hintereinander Insolvenz anmelden, dann kann dies mit Verlaub nicht nur mit Corona zu tun haben, denn die Unterschrift auf dem Papier, auf dem die Schließung von Lokalen angeordnet wurde, ist noch nicht trocken. Hier scheint ein strukturelles Problem auch schon davor vorgelegen zu haben. Seit ca. einem Jahr rechnet auch der deutsche stationäre Einzelhandel für die nächsten fünf Jahre mit Geschäftsaufgaben in einer Größenordnung von 50.000 Geschäften. Von daher stellt sich die Frage, ob Corona hier als Beschleuniger wirkt oder nochmals andere Händler add-on betroffen sein werden. Und hier muss dann zumindest erlaubt sein zu fragen, ob steuerfinanzierte Staatsgelder nicht fehlverteilt werden könnten. Wer bestimmt übrigens über Anträge, wie gerecht kann es dabei zugehen? Und wann wird abgelehnt? Bei Sanierungen von Unternehmen entscheidet der Fremd­kapitalgeber ja auch danach, wie der Unternehmenswert noch einzustufen ist, und stellt diesem Wert den Finanzierungsbedarf gegenüber. Ein positiver Bescheid ergeht nur, wenn der Finanzierungsbedarf unter dem Unternehmenswert liegt. Staatshilfen sind absolut berechtigt, man darf dennoch auf das Augenmaß gespannt sein.

Den Apotheken wurde durch die Krise nun von höchster Stelle Systemrelevanz attestiert. AZ-Leser wussten dies schon, andere offensichtlich nicht, und dass neben der plötzlichen Genehmigung für die Anfertigung von Desinfektionsmitteln auch noch barrierefreie Anlaufstellen für Basisinformationen vorhanden sind, sollte den Beteiligten Hoffnung geben, bei kommenden Verhandlungen selbstbewusster auftreten zu können. Nichtsdestotrotz wird es mit und nach Corona signifikante Änderungen in unserer Wirtschaft geben. Pro­gnosen darüber sind schwer. Die Handelslandschaft wird sich auf jeden Fall verändern und damit auch die Relevanz einzelner Standorte. Zudem werden sich Sortimente verschieben. Schon jetzt hat man gesehen, dass Regelungen, die allen gleichermaßen gerecht werden sollen, nicht alles antizipieren können. Da z. B. das Unternehmen Müller zu den Drogerien zählt, durften dessen Filialen auch nach dem Regierungsbeschluss der Schließung weiter Teile des stationären Handels weiter öffnen. Nun führt Müller neben dem klassischen Drogeriesortiment aber auch Papeterie, Spielwaren und Parfümerie, alles Sortimente von Geschäften, die nicht unter die Ausnahmeregel fallen. Der bei Müller fündig gewordene Kunde konnte also Playmobil kaufen, bei einem klassischen Spielwarenhändler aber nicht. Derlei Verwerfungen konnten nach massiven Protesten behoben werden, zeigen aber, wie schwer Lösungen zu finden sind, die der Situation zu jedem Zeitpunkt gerecht werden. Müller muss nun die Warenbereiche, die an sich nicht verkauft werden dürfen, absperren. Wie sehr dies der eine oder andere Verbraucher nachempfinden kann, sei dahingestellt. Es wird darüber berichtet, wie gut sich die Bürger an die Regeln halten – haben wir vergessen, wie unvernünftig sich viele Bürger zunächst verhalten haben, was erforderlich machte, dass derlei Regelungen erlassen werden mussten? Und ab wann kippt eine Stimmung?

Corona wird Online-Kanälen neuerlich Schub verleihen, zum einen, weil diese den verordneten Limitierungen nicht unterliegen, zum anderen, weil viele ein weiteres Argument geliefert bekommen – nämlich vermeintliche Sicherheit. Andere Branchenkenner vermuten, dass Menschen die wenigen Möglichkeiten zur Kommunikation oder zur Teilhabe an einer Art öffentlichem Leben und ein Stück weit Normalität in Form des Einkaufs gezielt suchen, damit sie die Chance haben, mal rauszukommen. Was dies saldiert ausmacht, kann man wohl erst in Wochen absehen. Und dies dürfte ggf. auch auf Apotheken zutreffen. Zwar gibt es neben der reinen Waren­beschaffung in Apotheken z. B. über dezidierte Informationen weitere Gründe für den Besuch, ob diese aber bei jedem Konsumenten final ausreichend sind, die Kanalwahl eher stationär ausfallen zu lassen, ist abzuwarten.

Apotheken können sich in diesen Tagen als das darstellen, was sie schon immer waren: als barrierefreie Verkaufs- und Informationsstelle für Güter und Dienstleistungen der besonderen Art. Es sind die schwierigen Zeiten, in denen die belastbarsten Beziehungen manifestiert werden. |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

 

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