Wirtschaft

Das E-Rezept aus dem Drucker

Start-up vermittelt Verordnungen zwischen Patienten, Ärzten und Apotheken

eda | Wer jetzt noch an das Papierrezept glaubt, hat den Schuss nicht gehört, könnte man in Anbetracht der Tatsache meinen, dass die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode mit Hochdruck daran arbeitet, elektronische Verordnungen flächendeckend und verpflichtend einzuführen. Ein Hamburger Start-up setzt aber trotzdem erstmal weiter auf Papier – zumindest teilweise. Der Dienst „meinRezept.online“ funktioniert zwischen Patienten, Ärzten und Apotheken zwar digital. Für die anschließende Abrechnung muss die Verordnung allerdings ausgedruckt werden. Dafür erhalten die teilnehmenden Apotheken Rezeptdrucker und Router gestellt. Die AZ hat das Konzept unter die Lupe genommen.

Was bedeutet „Praxis in Zeiten von Corona“? „Leere“, werden wahrscheinlich die meisten Ärzte antworten. Zur Hochphase der Pandemie wurden die meisten Ambulanzen und Praxen von den Patienten weitgehend gemieden. Das war einerseits politisch gewollt, andererseits sicher eine bewusste Entscheidung des einen oder anderen aus Angst vor Infektionen. Krankschreibungen per Telefon und die Vergütung des Apothekenbotendienstes sind bekanntlich nur zwei politische Sofortmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie gewesen. Mit freiwilligen Nachbarschaftshilfen will sich die Bevölkerung darüber hinaus gegenseitig unterstützen und Risikopatienten keinen unnötigen Gefahren aussetzen.

Foto: Gorilla Logistics

Das digitale Muster-16-Rezept bekommt vom Arzt eine qualifizierte elektronische Signatur.

Aus der Not sind aber nicht nur Tugenden, sondern auch Geschäftsmodelle entstanden – oder sie sehen sich zumindest durch die Corona-Krise in ihrer Bedeutung bestärkt. Gorilla Logistics, ein Hamburger Start-up, gehört dazu. Dahinter stehen Hanno Behrens und Dr. Helge Plehn. Mit ihrer Idee wollen sie die „Praxis in Zeiten von Corona“ vor unnötigen Patientenkontakten schützen. „meinRezept.online“ soll dabei helfen, Wartezeiten in Praxen und Apotheken zu vermeiden, so steht es auf der gleichnamigen Website. Per App können Patienten ihre Rezepte online bestellen und die benötigten Arzneimittel geliefert bekommen – in ungewöhnlichen Zeiten zu gewohnten Konditionen, nämlich: kostenlos. Die Vorteile werden unübersehbar online platziert: „Kein Warten mehr in der Telefonschleife des Arztes“, „keine unnötigen Besuche beim Arzt nur für ein Rezept“, „kein unnötiger Kontakt zu Patienten im Wartezimmer“, und sparen können sich die Nutzer letztendlich auch den Gang zur Apotheke. Denn diese ist es, die per Botendienst die Bestellung ausliefert, so wie es Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im vergangenen Jahr mit seiner Novellierung der Apothekenbetriebsordnung vorgesehen hat. Seitdem kann der Botendienst nicht mehr nur im „Einzelfall“, sondern als Regelleistung auf Kundenwunsch erfolgen. Ein Umstand, der bei „meinRezept.online“ im Mittelpunkt steht: Der Kunde wünscht – die Apotheke leistet.

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„Wie soll das funktionieren?“, wird man sich unter dem Eindruck fragen, dass der Berufsstand das E-Rezept-Modellprojekt GERDA wie ein Raumfahrtprogramm aufgezogen hat und eine DAV-Web-App nach wie vor als die Antwort auf die Frage aller Fragen ansieht. „Ganz einfach“, wenn es nach der Vorstellung von Gorilla Logistics aus Hamburg geht: „Gehen Sie auf die Homepage Ihres Arztes oder auf meinRezept.online und klicken auf den Knopf ‚Rezept bestellen‘. Senden Sie Ihrem Arzt Ihren Rezeptwunsch und Kontaktinformationen. Ihr Arzt sendet Ihr unterschriebenes Rezept auf die App auf Ihrem Handy. Sie wählen in der App Ihre Lieferadresse und die Apotheke ihrer Wahl aus. Und schon kommt Ihr Medikament zu Ihnen.“ Nein, das Zeitalter der Flugtaxis, wie es Digitalisierungs-Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) vorschwebt, haben wir damit noch nicht betreten. Doch der Anspruch von Gorilla Logistics ist in „Zeiten von Corona“ nachvollziehbar und nicht von der Hand zu weisen: Warum sollten chronisch kranke Risikopatienten für ihre quartalsmäßigen oder häufigeren Verordnungen den Gang in die Arztpraxis und Apotheke wagen, wenn eine umfassende Behandlung und Beratung eher unwahrscheinlich ist oder im Fall der Fälle auch mittlerweile telefonisch möglich sein darf? Denn auch das hat der Minister in der novellierten Apothekenbetriebsordnung vorgesehen.

Behrens und Plehn von Gorilla Logistics haben im oben beschriebenen Fall vielleicht nicht die „Convenience“ erfunden, doch ihr Geschäftsmodell genau auf diese ausgerichtet. Patienten sollen ohne einen Finger zu krümmen – aber per „Swipe“ – ihre Rezepte anfordern sowie weiterleiten können und anschließend per klassischem Botendienst versorgt werden. Zugegeben: In den letzten beiden Jahrzehnten gab es aus Sicht der Vor-Ort-Apotheken auf den ersten Blick schicksalhaftere Geschäftsmodelle.

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Beide Firmengründer hatten zuvor nichts mit dem Arzneimittelwesen zu tun, sondern waren in der Logistik-Branche tätig. Diesen Umstand sehen sie als Vorteil, weil sie dadurch, so Behrens, die eingespielten Abläufe ganz neu denken können.

Doch wie funktioniert „meinRezept.online“ genau? Immerhin handelt es sich ausdrücklich nicht um das E-Rezept, wie es Spahn im „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ (GSAV) definiert hat. Behrens und Plehn haben sich für eine simple Lösung entschieden: Sie arbeiten mit dem klassischen Muster-16-Rezept. Der Unterschied ist, dass dieses nicht in der Arztpraxis, sondern in der Apotheke gedruckt wird. In der Praxis findet also eine digitale Ausstellung der Verordnung statt und diese wird in der vom Patienten ausgewählten Apotheke empfangen, ausgedruckt und zur Abrechnung gegeben. Dabei nutzt „meinRezept.online“ die Möglichkeit einer qualifizierten elektronischen Signatur durch den Arzt. Bei nachträglichem Änderungs­bedarf kann der Arzt sogar eine korrigierte Version direkt in die Apotheke schicken.

Durch die Verwendung der qualifizierten elektronischen Signatur steht der Dienst auch für gesetzlich versicherte Patienten bereit. Gorilla Logistics scheint damit eigenen Angaben zufolge einen rechtssicheren Weg gefunden zu haben, um solch einen Service Patienten, Ärzten und Apotheken abseits von Modellprojekten und Fernbehandlungen anzubieten. „Seit Ende 2019 können sich alle deutschen Ärzte und Apotheken sowie alle Privat- und Kassenpatienten unserem neuartigen Verschreibungs- und Lieferservice anschließen“, erklärt Hanno Behrens. Um bekannt zu werden, setzt das Unternehmen vor allem auf den Internetauftritt sowie auf die Weiterempfehlungen – unter Patienten, Ärzten und Apothekern.

Zwei Apps wurden entwickelt: Mit der Arzt-App generieren die Ärzte E-Rezepte und versehen diese mit der notwendigen qualifizierten elektronischen Signatur. Die Patienten-App dient dem Empfang und der Übermittlung der E-Rezepte an die Apotheken und als Medium für die textbasierte Patientenberatung durch die Apotheken. Sollten die Ärzte den Bedarf einer Patientenberatung sehen, bietet ihnen „meinRezept.online“ die kostenfreie Nutzung der von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zertifizierten Videosprechstunde auf arzt-direkt.com an, mit vorgeschalteten Fragebögen und Online-Wartezimmern.

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Für Apotheken, die an „meinRezept.online“ teilnehmen wollen, wird eine einmalige Onboarding-Gebühr in Höhe von 980 Euro fällig. Darin enthalten sind der Zugang zum Online-Portal, ein Rezeptdrucker sowie ein Router zur Entschlüsselung der empfangenen Rezeptdaten. „Das Drucker-/Scanner-/Fax-Gerät kann auch für den normalen Apothekenbetrieb genutzt werden“, betont Behrens. Hinzu kommt eine Pauschale in Höhe von 2,45 Euro pro Packung, die über die Plattform vermittelt wurde. Apotheken in Berlin, München, Frankfurt und dem Ruhrgebiet werden aktuell mit einer kostenlosen Teilnahme angeworben, wenn sie sich bereit erklären, als erste ein Liefergebiet mit mindestens 2,5 km Radius zu bedienen. Ansonsten definieren die Apotheken ihr Liefergebiet selbst. Der Radius sollte so gewählt werden, dass mindestens drei Rezepte pro Stunde beliefert werden können. Für „eine gute Patientenerfahrung“, wie es Behrens nennt, steht bei „meinRezept.online“ explizit der Botendienst am selben Tag im Vordergrund und keine Selbst­abholung durch den Patienten. Die Abrechnung mit den Patienten, wenn es also um Zuzahlungen, Eigenanteile oder – bei privat Versicherten – um den Preis für die Präparate geht, müssen die Apotheken übrigens selbstständig managen. Ein kontaktloses Bezahlen ist in der App noch nicht vorgesehen. So kann es regelmäßig vorkommen, dass die Geldübergabe – ganz klassisch (und sicher nicht im Sinne des Infektionsschutzes) – in bar an der Haustüre stattfindet. Auch ist eine zusätzliche OTC-Bestellung auf Empfehlung des Arztes oder der Apotheke bisher nicht implementiert, die gegebenenfalls die Kosten der Apotheke für den Botendienst etwas kompensieren könnte.

Ärzte zahlen für die Teilnahme an „meinRezept.online“ übrigens nichts. „Wir übernehmen sogar 100 Euro der Kosten, die für die Erstellung eines Zertifikates für die qualifizierte elektronische Signatur anfallen“, betont Behrens. Eine Prämie pro generiertem Rezept schließt er dagegen kategorisch aus, „da dies gegen das Antikorruptionsgesetz verstoßen würde“.

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Wie viele Apotheker und Ärzte den Dienst bereits nutzen, verraten die Unternehmer nicht. „Dazu nur so viel: Als Branchenfremde konnten wir nur gemeinsam mit vielen Apotheken und Arztpraxen in so kurzer Zeit deutschlandweit einen sinnvollen Rx-Verschreibungs- und Lieferservice einführen“, bewertet Behrens das erste halbe Jahr nach dem Roll-out. Die AZ fragte bei einer Apotheken­inhaberin nach, die schon seit einigen Monaten „meinRezept.online“ nutzt. Sie hätte durchweg positive Erfahrung gemacht, erklärt sie. Wichtig wäre es, den Patienten und Ärzten im Umfeld weitere Möglichkeiten der (Rezept-)Bestellung anzubieten. Die Zahlen gemessen an den weiteren etablierten Kommunikationskanälen seien aber noch sehr überschaubar. Es ginge dabei ausschließlich um Wiederholungsverordnungen ihr bekannter Chroniker. Konsequent würden sie und ihr Team es halten, vor jeder Auslieferung mit dem Patienten in telefonischen Kontakt zu treten und sich nach Unklarheiten und offenen Fragen zu erkundigen. Auch OTC-Empfehlungen könnten so funktionieren.

Dass ihr Glücksrittertum spätestens im Januar 2022 ein jähes Ende nehmen könnte, haben sich die beiden Hamburger Unternehmer durchaus schon bewusst gemacht. Das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) führt dann die Verpflichtung der Ärzte zur Ausstellung elektronischer Verordnungen ein. Doch Behrens und Plehn hüten auch für diese Entwicklung Pläne in ihren Schubladen. Selbst bei einer von der Gematik hoheitlich gebauten E-Rezept-App sehen sie für ihr Start-up und „meinRezept.online“ noch Möglichkeiten der Wertschöpfung. Um welche Dienstleistung es dann genau gehen soll, bleibt bis dahin Betriebsgeheimnis.

Vielleicht zeigt sich schon in einem Jahr, was Hanno Behrens und Dr. Helge Plehn von Gorilla Logistics aus ihrem Dienst gemacht haben. Sind sie dann immer noch die (vermeintlich) passiven und friedlichen Vermittler oder schon aktive Zuweiser und knallharte Makler der E-Rezepte?

Eigentlich gelten Gorillas ja als die sanften Riesen im Tierreich, als die freundlichsten und familiärsten Menschenaffen überhaupt. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Die Silberrücken wissen sich bei drohender Gefahr auch zu verteidigen. |

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