Wirtschaft

VDARZ sieht keine Chance auf Forderungen aus Rabattverfällen

AvP-Insolvenzverwalter beziffert den Forderungsbestand im Gutachten auf bis zu 137,4 Millionen Euro

eda | Anfang November hat der Insolvenzverwalter des Apothekenrechenzentrums AvP, Dr. Jan-Philipp Hoos, mit der Eröffnung des Verfahrens dem Amtsgericht Düsseldorf ein Gutachten vorgelegt, das die Vermögensverhältnisse des Unternehmens darstellt. Demnach soll es bei AvP in den vergangenen Jahren zu Rabattverfällen in Höhe von bis zu 137,4 Millionen Euro gekommen sein. Seitdem fragen sich nicht nur die betroffenen Apotheker, ob Forderungen aus den Rabattverfällen gegenüber Krankenkassen Erfolg versprechend sind. Werner Dick vom Bundesverband Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) hält dies für unrealistisch.

Hoos geht davon aus, dass AvP mindestens seit dem Jahr 2013 Rabattverfallansprüche gegenüber den Krankenkassen zustehen. Seinen Analysen zufolge ergibt sich eine Spannweite zwischen 37,2 Millionen Euro und 137,4 Millionen Euro, die letztlich Teil der Insolvenzmasse werden könnten. Doch sind Rabattverfälle in der Branche der Apothekenrechenzentren überhaupt realistisch? Im Interview zeigt sich Werner Dick, Geschäftsführer der Apotheken-Verrechnungs- und Codierstelle Dick GmbH & Co. KG und Vorstandsvorsitzender des Bundes­verbands Deutscher Apotheken­rechenzentren (VDARZ), äußerst skeptisch. Außerdem hält der Verband die gesetzliche Vorgabe von Treuhandkonten als einzige politische Konsequenz aus der AvP-Pleite für nicht zielführend.

AZ: Herr Dick, spätestens seit der AvP-Insolvenz ist der Begriff „Rabattverfall“ in aller Munde. Erklären Sie uns bitte noch mal, was genau man darunter versteht.
Dick: Seit geraumer Zeit erhalten die Krankenkassen von den Apotheken auf verschreibungs­pflich­tige Arzneimittel einen so­genannten Apothekenabschlag als Rabatt. Dieser wurde zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband ausgehandelt. Mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz von 2015 wird der Abschlag nun auf 1,77 Euro festgeschrieben. Für klassische Rezepturen und erstattungsfähige OTC-Arzneimittel beträgt der Rabatt hingegen 5 Prozent des Abgabepreises.

AZ: Und unter welchen Bedingungen könnte dieser Rabattanspruch verfallen?
Dick: Der Rabatt setzt voraus, dass die Sammelrechnung des Apothekenrechenzentrums für die Apotheken innerhalb von zehn Tagen von der Krankenkasse beglichen wird. Bei einer Zahlung außerhalb der Frist entfällt der Anspruch auf einen Rabatt seitens der Krankenkassen. Nach einem Urteil des Sozialgerichtes Aachen vom August 2014 findet dieser Rabattverfall nach § 130 Abs. 3 SGB V jedoch nur Anwendung auf die standardisierten Regelvergütungsabrechnungen zwischen Apotheken und Krankenkassen (AZ 2014, Nr. 35, Seite 1). Jedwede Abrechnungs­korrektur fällt dagegen nicht unter § 130 Abs. 3 SGB V, denn damit bestünde eine unausgewogene Risikoverteilung.

Foto: picture alliance/dpa

AZ: Wie oft kommt so etwas tatsächlich vor?
Dick: In der Abrechnungspraxis unserer Mitgliedsunternehmen ist dies in den vergangenen Jahren nahezu nie vorgekommen. Bekannt ist in dem Zusammenhang nur der Streit aus dem Jahre 2003 mit der City BKK und dem Hamburger Apothekerverein, der die Rechte der beim NARZ abrechnenden Apotheker vertrat (AZ 2015, Nr. 24, Seite 1).

AZ: Nun werden vom AvP-Insolvenzverwalter aber Rabattverfälle über mehrere Jahre angegeben. Halten Sie das für möglich?
Dick: Nach unserer Einschätzung ist dies nicht möglich. Wir kennen allerdings nicht die Faktenlage. AvP befindet sich nicht in unserem Verband. Darüber hinaus können wir zu der rechtlichen Einschätzung des Insolvenzverwalters nichts sagen.

AZ: Wie realistisch ist es, dass man Forderungen aus Rabattverfall noch Jahre später einbringen kann?
Dick: Sollte keine aktenkundige Korrespondenz zwischen dem Rechenzentrum und der Krankenkasse vorliegen oder aber ein Gerichtsverfahren, können wir uns eine rechtmäßige Forderung nicht vorstellen und meinen, dass es keine Grundlage für eine Zahlung für Vorgänge aus lange zurückliegenden Geschäftsjahren gibt. Im Übrigen sieht das Sozialrecht auch Verjährungsfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen und Rückforderungsansprüchen vor.

AZ: Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas hat bereits vor einiger Zeit zur Diskussion gestellt, ob die Krankenkassen tatsächlich schuldbefreiend bezahlen, wenn ihnen die Rezeptblätter physisch noch nicht vorliegen (DAZ 2020, Nr. 42, Seite 10). Was halten Sie von diesem Gedanken?
Dick: Nach unserer Ansicht ist die Zahlung auch ohne Rezepte schuldbefreiend. Vor der Umstellung des Abrechnungsverfahrens auf das sogenannte Image-Processing in den Jahren 1995 und 1996 wurden die Rezepte und Rechnungen immer zusammen versandt. Erst mit der Digitalisierung wurde die Frist des Eingangs der Original-Rezepte auf Ende des Abrechnungs-Folgemonats gelegt, damit die Apothekenrechenzentren die Sortiervorgaben für die Papier­rezepte aus den Vereinbarungen mit den Krankenkassen einhalten können. Daher halten wir die Ansicht von Herrn Douglas für nicht realistisch und zielführend. Keine Kasse wird die Rechnung zweimal bezahlen.

AZ: Wie wird sich der Abrechnungsprozess verändern, wenn das E-Rezept eingeführt ist? Meinen Sie, dass die Transaktionen noch transparenter und ein Fall wie die AvP-Pleite verhindert werden könnten?
Dick: Das E-Rezept bietet ganz andere Möglichkeiten. Es wird zu mehr Transparenz führen. Besonders die sofortigen Prüfmöglichkeiten des Apothekenrechen­zentrums nach der Übermittlung durch die Schnittstelle APO_TI ermöglichen eine umgehende Reaktion der Apotheken bei Tax-Fehlern. Das Rezept kann mit den erkannten möglichen Fehlern sofort zur Korrektur in die Apothekenwarenwirtschaft zurück­gegeben werden. Ob dies eine AvP-Pleite verhindert hätte, können wir nicht sagen, da wir keine Einblicke in die kaufmännischen und technischen Abläufe der AvP-Gruppe haben.

AZ: Vor allem aus dem Lager der Opposition im Deutschen Bundestag kommt die Forderung, die Rezeptabrechnung gesetzlich abzusichern. So soll es für die Anbieter unter anderem verbindlich sein, Treuhandkonten einzurichten. Was halten Sie von den Vorschlägen?
Dick: Dazu muss man die Defini­tion eines Treuhandkontos erst einmal näher beleuchten. Bei einem herkömmlichen Girokonto gehört dem Kontoinhaber das bei der Bank hinterlegte Vermögen. Beim sogenannten Treuhandkonto ist das jedoch anders. Hier sind der Eigentümer des Vermögens – auch Treugeber genannt – und der Inhaber des Kontos nicht ein und dieselbe Person. Letzterer wird auch als Treuhänder bezeichnet und verwaltet das auf dem Konto befindliche Vermögen. Der Eigentümer des Vermögens verliert trotzdem nicht seine Rechte daran. Allen „echten“ Treuhandkonten ist gemein, dass sie nicht überzogen werden dürfen.

AZ: Doch es gibt ja zwei Arten von Treuhandkonten: die verdeckten und die offenen. Was ist der Unterschied?
Dick: Bei einem verdeckten Treuhandkonto ist nach außen hin nicht ersichtlich, dass ein Treuhandverhältnis zugrunde liegt. Allein der Name des Kontoinhabers, also des Treuhänders, wird in der Bezeichnung des Kontos bei der Bank genannt. Verdeckte Treuhandkonten haben einige Nachteile. Die Bank betrachtet es als reguläres Konto und geht davon aus, dass das vorhandene Vermögen dem Treuhänder gehört. Des Weiteren haftet die Bank nicht, wenn der Treuhänder nicht korrekt mit dem Geld umgeht. Unter Umständen muss der Treugeber im Fall einer In­solvenz des Treuhänders davon ausgehen, dass sein Vermögen in Gefahr ist.

AZ: Erklären Sie das bitte genauer.
Dick: Bei einem verdeckten Treuhandkonto besteht kein gesetz­licher Schutz. Kommt es also zur Insolvenz des Treuhänders, kann das Vermögen in die Insolvenzmasse fließen. Schließlich wird er als Kontoinhaber geführt. Um sich zu schützen, sollten Treugeber deshalb vertraglich festlegen, dass der Treuhänder strikt zwischen seinem privaten Vermögen und dem der anderen Person trennen muss. Ein offenes Treuhandkonto bedeutet dagegen, dass das Treuhandverhältnis klar zu erkennen ist. Im Namen des Kontos ist sowohl der Name des Treuhänders als auch der des Treugebers vermerkt. Zusätzlich findet sich häufig eine Information darüber, zu welchem Zweck das Treuhandkonto besteht. Solch ein Konto bedeutet aber sehr viel Adminis­tration seitens des Apotheken­rechenzentrums und der Bank, da sie alle Daten des Berechtigten sorgfältig prüfen und verwalten müssen. Daher führen alle VDARZ-Mitgliedsunternehmen verdeckte Treuhandkonten für die Apotheken und halten gleichzeitig eine strikte Trennung zwischen den Firmenkonten und den Treuhandkonten ein.

AZ: Mit anderen Worten: Die poli­tische Forderung lediglich nach Treuhandkonten scheint aus Sicht des VDARZ keine Problemlösung zu sein?
Dick: Offene Treuhandkonten sind absolut unrealistisch, denn dann könnten die Krankenkassen eher direkt auf die Konten der Apotheken zahlen. Dies ist dann mit mehr Aufwand für die Apotheken und Krankenkassen verbunden und widerspricht auch den bestehenden Rahmenverträgen. Bei der Festschreibung auf offene Treuhandkonten müssten darüber hinaus die Zahlungszeitpunkte verändert werden, da solche Konten niemals ein Sollsaldo auf­weisen dürfen. Die andere Alter­na­tive aus unserer Sicht ist die gesetzliche Verankerung, dass verdeckte Treuhandkonten im Fall einer Insolvenz grundsätzlich ausgesondert werden können.

AZ: Herr Dick, vielen Dank für das Gespräch. |

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.