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Gefahr durch ACE-Hemmer?

Foto: DAZ/Kahrmann

Dr. Doris Uhl, Chefredakteurin der DAZ

Die Coronavirus-Epidemie nimmt für viele immer dramatischere Züge an. Insbesondere Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes werden als besonders ge­fährdet eingestuft. Warum das so ist, dazu gibt es eine Vielzahl von ­Hypothesen. Ein besonders beunruhigender Verdacht ist der, dass dafür eine ACE-Hemmer-Therapie verantwortlich sein könnte. Ein Blick hinter die ­Kulissen der Pathomechanismen einer Coronavirus-Infektion verrät, wie es zu diesem Verdacht kommen konnte (s. S. 36).

SARS-Viren und auch das neue SARS-CoV-2 nutzen das transmembranäre Enzym ACE2 (Angiotensin Converting Enzyme 2) als Rezeptor, um in ihre Wirtszellen zu gelangen und ihre Replikation zu starten. Das haben Prof. Dr. Josef Penninger, damals noch am Institut für molekulare Biotechnologie (IMBA) in Wien, und Kollegen zu Zeiten der SARS-Epidemie 2002/2003 erforscht (s. S. 36). ACE-Hemmer, die ihrerseits das ACE2 selbst nicht inhibieren, sollen dazu führen, dass verstärkt ACE2-Rezeptoren gebildet werden und damit den Viren besonders viele Eintrittspforten in die Zellen geboten werden.

Sind die Viren dann erst einmal in den Zellen, so die Forscher um Penninger, wird mit dem Start der Virusreplikation die ACE2-Expression heruntergefahren. Das ist besonders fatal, weil ACE2 als ACE-Gegenspieler potenziell zellschädigende ACE-Auswirkungen antagonisiert (s. S. 36) und somit eine Schutzwirkung ausübt, die durch die ACE2-Downregulation bei einem Virusbefall der Zelle verloren geht. ACE-Hemmer könnten hier als Brandbeschleuniger wirken.

Entsprechend kursiert der unbestätigte Verdacht, dass in Italien die Todesrate mit aktuell 4 bis 5% so hoch ist, weil hier besonders häufig ACE-Hemmer eingesetzt werden sollen.

Und was machen Sartane? Im Gespräch mit der DAZ sieht Prof. Dr. Josef Penninger hier eher eine Schutzfunktion (s. S. 36), allerdings steht auch hier der Verdacht im Raum, dass sie ebenfalls ACE2 hochregulieren könnten.

An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass die Hochregulation von ACE2 durch den Eingriff in das Renin-Angiotensin-System eine interessante Hypothese ist, die aber auf eine Be­stätigung wartet. So beispielsweise durch Auswertung der schwer bis ­tödlich verlaufenen COVID-19-Fälle, in der die Pharmakotherapie entsprechend unter die Lupe genommen werden muss. Eine Empfehlung, jetzt ACE-Hemmer abzusetzen und auf Sartane oder andere Wirkstoffe auszuweichen, kann derzeit keinesfalls ausgesprochen werden.

Unabhängig von der ACE-Hemmer-Hypothese gibt es noch Vermutungen, nach denen im Alter die Zahl der ACE2-Rezeptoren auf den Zellen zunimmt, weshalb Ältere schwerer erkranken sollen als jüngere Menschen und Kinder. Oder dass es genetische Unterschiede gibt, die für fatale Verläufe prädisponieren. Alles Hypothesen, zu denen es teils widersprüch­liche oder gar keine Daten gibt. Sie warten auf eine Verifizierung und zeigen einmal mehr, dass wir immer noch zu wenig über die durch das neue Coronavirus ausgelöste Erkrankung COVID-19 wissen.

So ist es beispielsweise nach wie vor ein großes Rätsel, wann ein (noch) symptomfreier aber schon infizierter Mensch andere anstecken kann oder wie lange ein schon symptomfreier COVID-19-Patient noch infektiös ist. Offene Fragen, die die Entscheidungen hinsichtlich Dauer einer Quarantäne oder Arbeitsunfähigkeit auch für Sie in den Apotheken so schwer machen.

Doris Uhl

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