Pandemie Spezial

Remdesivir auf dem Prüfstand

Praxiswissen für einen experimentellen Wirkstoff gegen COVID-19

Remdesivir gilt als einer der Hoffnungsträger in der Therapie von Patienten mit schwerwiegenden COVID-19-Verläufen (s. a. DAZ 2020, Nr. 13, S. 42). Sein Einsatz ist derzeit weitestgehend nur im Rahmen randomisierter klinischer Studien möglich. In Deutschland sind an diesen Studien das Universitäts­klinikum Düsseldorf, das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sowie in München das Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität und die München Klinik Schwabing beteiligt.

Das Nukleotidanalogon Remdesivir wurde von Gilead Sciences zur Therapie von Ebola entwickelt. Seitdem hat es sich in In-vitro- und In-vivo-Tiermodellen gegen SARS (schweres akutes respiratorisches Syndrom) und MERS (nahöstliches respiratorisches Syndrom) als vielversprechend erwiesen [1-3]. Remdesivir ist jedoch ein experimenteller Wirkstoff, dessen Sicherheit oder Wirksamkeit für die Behandlung einer Erkrankung bislang nicht nachgewiesen worden ist. Lediglich die bislang begrenzten präklinischen Daten und positive Fallberichte lassen darauf schließen, dass Remdesivir auch gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 wirksam sein könnte.

Ende Februar startete der Biotech-Konzern Gilead zwei globale multizentrische, randomisierte klinische Phase-3-Studien (Studien 5 und 6, s. Kasten „Klinische Studien mit Remdesivir“), um die Sicherheit und Wirksamkeit von Remdesivir bei der Behandlung von Erwachsenen mit COVID-19 zu bewerten. In der ersten Studie wird die Sicherheit und Wirksamkeit eines fünftägigen und eines zehntägigen Dosierungsschemas von Remdesivir untersucht, das bei Patienten mit schweren Manifestationen von COVID-19 intravenös verabreicht wird. Ungefähr 400 Teilnehmer werden im Verhältnis 1 : 1 randomisiert, um am ersten Tag 200 mg Remdesivir zu erhalten, gefolgt von 100 mg Remdesivir pro Tag bis zum fünften oder zehnten Tag zusätzlich zur Standardtherapie. Der primäre Endpunkt der Studie ist die Bewertung der Wirkung von Remdesivir, gemessen anhand der Normalisierung von Fieber und Sauerstoffsättigung.

In der zweiten Studie werden die Sicherheit und Wirksamkeit bei moderaten Manifestationen von COVID-19 bewertet. Auch hier wird ein fünftägiges und ein zehntägiges Dosierungsschema von intravenös verabreichtem Remdesivir mit der Standardtherapie verglichen. Ungefähr 600 Teilnehmer werden im Verhältnis 1 : 1 : 1 randomisiert, um am ersten Tag 200 mg Remdesivir zu erhalten, gefolgt von 100 mg Remdesivir zusätzlich zum Standard der täglichen Behandlung bis zum fünften oder zehnten Tag, verglichen mit der alleinigen Standard­behandlung. Auch hier ist der primäre Endpunkt die Bewertung der Wirkung von Remdesivir, die hier am Anteil der Teilnehmer in jeder Gruppe, die bis zum 14. Tag aus dem Krankenhaus entlassen wurden, gemessen wird.

Es gibt weitere RCTs, die ebenfalls die Wirksamkeit und Sicherheit von intravenösem Remdesivir bei COVID-19 untersuchen (s. Kasten „Klinische Studien mit Remdesivir“).

Klinische Studien mit Remdesivir

Aktuelle klinische Studien, die zurzeit Patienten rekrutieren (Stand 27.03.2020):

  • 1. Severe 2019-nCoV Remdesivir RCT China-Japan Friendship Hospital – Beijing, China
  • 2. Mild/Moderate 2019-nCoV Remdesivir RCT Jin Yin-tan Hospital – Wuhan, China
  • 3. Adaptive COVID-19 Treatment Trial University of Nebraska Medical Center – Omaha NE, USA
  • 4. Expanded Access Remdesivir (RDV; GS-5734™) U.S. Army Medical Research and Development Command
  • 5. Study to Evaluate the Safety and Antiviral Activity of Remdesivir (GS-5734™) in Participants With Severe Coronavirus Disease (COVID-19) Gilead Sciences, Inc.
  • 6. Study to Evaluate the Safety and Antiviral Activity of Remdesivir (GS-5734™) in Participants With Moderate Coronavirus Disease (COVID-19) Compared to Standard of Care Treatment Gilead Sciences, Inc.
  • 7. Adaptive COVID-19 Treatment Trial National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)
  • 8. The Efficacy of Different Anti-viral Drugs in (Severe Acute Respiratory Syndrome-Corona Virus-2) SARS-CoV-2, Oslo University Hospital, bisher noch keine Rekrutierung
  • 9. Investigational Therapeutics for the Treatment of People With Ebola Virus Disease, National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)
  • 10. Trial of Treatments for COVID-19 in Hospitalized Adults, Institut National de la Santé Et de la Recherche Médicale, Frankreich, Inserm Discovery
  • 11. Adverse Events Related to Treatments Used Against Corona­virus Disease 2019, Groupe Hospitalier Pitie-Salpetriere, Frankreich

Informationen zu aktuellen klinischen Studien zur Verwendung von Remdesivir bei COVID-19 findet man unter dem Link: https://clinicaltrials.gov/

WHO: Globale Studien gestartet

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das Fehlen qualitativ hochwertiger, verlässlicher Studien zu den experimentellen Therapien bei COVID-19 bemängelt und die NOR (norwegische) SOLIDARITY Multicenter Trial on the Efficacy of Different Anti-viral Drugs in SARS-CoV-2 Infected Patients initiiert. Die auch als Solidarity bezeichnete Studie ist eine multizentrische, adaptive, randomisierte, offene klinische Studie, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Hydroxychloroquin, Remdesivir und des Therapiestandards bei erwachsenen Patienten im Krankenhaus, bei denen die Diagnose COVID 19 gestellt wurde zu bewerten. Der primäre Endpunkt ist die Gesamtmortalität im Krankenhaus.

Eine von Frankreich aus koordinierte Add-on-Studie namens DISCOVERY, die von dem Französischen Nationalen Institut für Gesundheit und medizinische Forschung (INSERM) [5] koordiniert wird, wird dem Studiendesign der WHO folgend ausschließlich europäische Patienten einschließen und die gleichen Medikamente untersuchen. Es ist geplant, 3200 europäische Patienten aus Belgien, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, den Niederlanden, Spanien, Schweden und Großbritannien einzubeziehen.

Sie umfasst fünf Studienarme:

  • Standardtherapie
  • Standardtherapie plus Remdesivir
  • Standardtherapie plus Lopinavir und Ritonavir
  • Standardtherapie plus Lopinavir, Ritonavir und Interferon Beta
  • Standardtherapie plus Hydroxy­chloroquin

Die Analyse der Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung wird 15 Tage nach Einbeziehung jedes Patienten bewertet. Diese Studie folgt dem Kernprotokoll der WHO, bietet jedoch zusätzliche Wirksamkeits-, Sicherheits- und explorative Endpunkte. Die Studie wird die Daten von Solidarity ergänzen.

Vor zwei Wochen wurde der COVID-19 Solidarity-Response-Fund ins Leben gerufen. Zwischenzeitlich wurden schon mehr als 95 Millionen US-Dollar gespendet.

Nach Informationen des Deutschen Ärzteblatts hofft die WHO, die für die Studie notwendigen Dokumentations- und Datenmanagementzentren in der nächsten Woche in Betrieb nehmen zu können. Anschließend soll es für Ärzte problemlos möglich sein, einen Patienten in die Studie einschließen zu lassen.

Hat sich die Diagnose COVID-19 bestätigt, gibt der Arzt die Daten des Patienten inklusive aller Vorerkrankungen wie Diabetes mellitus oder HIV auf einer Webseite ein. Die Einwilligungsbestätigung des Patienten wird eingescannt und elektronisch an die WHO übermittelt. Nach Eingabe der Daten gibt der Arzt noch an, welche Medikamente an seinem Krankenhaus zur Verfügung stehen. Danach randomisiert die Webseite den Patienten auf eines der Medikamente oder die vor Ort geltende Standardtherapie für COVID-19.

Verfügbarkeit von Remdesivir

Gilead hatte bereits noch vor der staatlichen Zulassung den Wirkstoff in Notfällen nach Einzelfallprüfung einzelnen Patienten zur Verfügung gestellt (sog. Compassionate Use), obwohl Sicherheitsdaten der Phase 1 noch nicht veröffentlicht waren. Doch seit letztem Sonntag wurde aufgrund der hohen Nachfrage aus Europa und den logistischen Problemen, die dies mit sich führte, das „Compassionate-Use-Programm“ vorübergehend eingestellt. Ausnahmen werden zurzeit nur für schwangere Frauen oder Kinder unter 18 Jahren mit bestätigtem COVID-19 und schweren Manifestationen der Erkrankung gemacht.

Für Fragen jeglicher Art zu Remdesivir stellt die Firma einen E-Mail-Link auf ihrer Webseite zur Verfügung (coronavirus.response@gilead.com).

Gilead berichtet, dass derzeit an einem erweiterten Zugangsprogramm gearbeitet wird. Wann und unter welchen Bedingungen auf ein solches Programm aus Deutschland zugegriffen werden kann, ist noch nicht bekannt. Die Firma weist auf ihrer Webseite (https://rdvcu.­gilead.com) darauf hin, dass weitere Einzelheiten zur Teilnahme an den erweiterten Zugangsprogrammen in Kürze bekannt gegeben werden. Alle bisher gestellten Anfragen werden laut Gilead noch bearbeitet. Weiterhin appelliert die Firma, angesichts der großen Bedeutung der Datengenerierung, daran, Patienten in klinische Studien einzuschreiben, wenn dies möglich ist, anstatt eine Notfallbehandlung anzufordern.

Bisherige Empfehlungen für den Einsatz von Remdesivir

Dosierung (Datenlage aus Studien):

Initialdosis 200 mg an Tag 1, dann einmal täglich 100 mg für neun Tage.

Derzeit ist nicht klar, ob eine Dosis­reduktion bei einer schweren Nierenfunktionsstörung erfolgen soll. Empfehlungen zum klinischen Umgang sind Tabelle 1 zu entnehmen.

Interaktionspotenzial:

Das Interaktionspotenzial von Remdesivir ist deutlich geringer als das anderer experimenteller Therapien. Die Universität Liverpool hat unter www.covid19-druginteractions.org eine Aufstellung wahrscheinlicher pharmakokinetischer Interaktionen mit experimentellen Therapien bei Covid-19 veröffentlicht, die sehr hilfreich für den praktischen Einsatz ist. Daraus geht hervor, dass es zu einer möglichen verringerten Exposition von Remdesivir kommt bei gleichzeitigem Einsatz von Oxcarbazepin, Rifabutin oder Rufinamid. Hier wird ein eng­maschiges Monitoring empfohlen. Gegebenenfalls können Änderungen der Dosierung oder des Einnahmezeitpunktes erforderlich sein. Die gleichzeitige Anwendung von Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, Vasopressin, Johanniskraut, Primidon, Phenobar­bital, Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin und Rifapentin wird nicht empfohlen.

Tab. 1: Anleitung zur Behandlung von stationären COVID-19-Patienten der University of Michigan [nach 6]
antivirale Therapie
Dosierung und Therapiedauer
Kommentare
Bevorzugte Therapie für Kinder und schwangere Frauen, die aufgrund von COVID-19 ins Krankenhaus eingeliefert werden
Dosierung für Erwachsene:
  • 200 mg i. v. als loading dose, danach 100 mg i. v. alle 24 Stunden
Dosierung für Kinder:
  • < 40 kg: 5 mg/kg i. v. als loading dose, dann 2,5 mg/kg alle 24 Stunden
  • ≥ 40 kg: 200 mg i. v. als loading dose, dann 100 mg i.v. alle 24 Stunden
Therapiedauer: gemäß Protokoll
Zurzeit ist das Medikament über Gilead nur für schwangere Frauen oder Kinder unter 18 Jahren mit bestätigtem COVID-19 und schweren Manifestationen der Erkrankung erhältlich. Patienten, die in Studien eingeschrieben sind, erhalten es über die Studie.
UAW
  • erhöhte Leberenzyme
  • Es besteht auch die Möglichkeit, dass Wechselwirkungen mit Medikamenten auftreten, die über das Cytochrom-System metabolisiert werden.

Wie sicher ist Remdesivir?

Die verwendete Dosierung basiert auf dem Wissen über die Sicherheit und Wirksamkeit von Remdesivir in klinischen Studien bei Patienten mit Ebola-Virus-Infektion (z. B. der PALM-Studie [7]) sowie auf pharmakokinetischen und Sicherheitsdaten, gewonnen mithilfe von präklinischen Tiermodellen und Daten aus Phase-1-Studien mit gesunden Freiwilligen.

Zurzeit existieren noch keine spezifischen Studien mit Remdesivir bei Patienten mit Nieren- und/oder Leberfunktionsstörung. Ein erheblicher Anteil der Patienten mit akuter Ebola-Erkrankung, die im Rahmen der Studien mit Remdesivir behandelt wurden, wies schon vor der Behandlung mittelschwere bis schwere Leber- und Nierenanomalien auf. Remdesivir wurden daher keine Nieren- oder Leberschädigungen zugeschrieben. Die Weltgesundheitsorganisation weist jedoch in einer Anmerkung zum Protokoll des Consultation on Monitored Emergency Use of Unregistered and Investigational Interventions for Ebola Virus Disease (MEURI) darauf hin, dass eine Überwachung der Transaminasen ALT/AST als Mittel zur Risikominimierung sinnvoll ist. |

Literatur

[1] Wang M, Cao R, Zhang L et al. Remdesivir and chloroquine effectively inhibit the recently emerged novel coronavirus (2019-nCoV) in vitro. Cell research 2020;30:269-271

[2] Sheahan TP, Sims AC, Leist SR et al. Comparative therapeutic efficacy of remdesivir and combination lopinavir, ritonavir, and interferon beta against MERS-CoV. Nature communications 2020;11:222

[3] de Wit E, Feldmann F, Cronin J et al. Prophylactic and therapeutic remdesivir (GS-5734) treatment in the rhesus macaque model of MERS-CoV infection. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America; 2020; doi: 10.1073/pnas.1922083117

[4] Surviving Sepsis Campaign Guidelines on the Management of Critically Ill Adults with Coronavirus Disease 2019 (COVID-19) erreichbar unter https://www.esicm.org/wp-content/uploads/2020/03/SSC-COVID19-GUIDELINES.pdf, zuletzt abgerufen am 27.03.2020

[5] Press Release – INSERM Press RoomLaunch of a European clinical trial against COVID-19; Link: https://presse.inserm.fr/en/launch-of-a-european-clinical-trial-against-covid-19/38737/

[6] University of Michigan Inpatient Guidance for Treatment of COVID-19 in Adults and Children available at http://www.med.umich.edu/asp/pdf/adult_guidelines/COVID-19-treatment.pdf. Aufgerufen am 24.03.2020

[7] New England Journal of Medicine 2019;381:2293-303

Apothekerin Ina Richling, PharmD

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