Arzneimittel und Therapie

Nadeln setzen zur Migräneprophylaxe

Placebokontrollierte Akupunktur-Studie sorgt für Diskussionen

Eine kürzlich veröffentlichte klinische Studie aus China sorgt für Aufsehen: Die Ergebnisse zeigen einen klaren Nutzen der Akupunktur bei der Migräneprävention. Migräne­attacken und Migränetage konnten bei einem Großteil der Patienten deutlich reduziert werden. Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie sieht diese Studienergebnisse jedoch kritisch.

Angesichts der hohen Migräneprävalenz spielen präventive Maßnahmen eine wichtige Rolle. Ein nicht medikamentöser Ansatz ist die Akupunktur. Um deren Wirksamkeit einzuschätzen und Verum- von Placebo-Effekten zu unterscheiden, wurde in einer chinesischen Studie eine Scheinakupunktur mit einer echten manuellen Akupunktur verglichen. An der randomisierten, kontrollierten Studie nahmen 150 Patienten im Alter zwischen 15 und 65 Jahren teil, die unter einer mittelschweren episodischen Migräne ohne Aura litten und zuvor keine Akupunktur erhalten hatten. Sie wurden einer der drei folgenden Behandlungsgruppen zugeteilt:

  • Akupunktur-Gruppe: 20 halbstündige Sitzungen mit manueller Akupunktur echter Akupunkturpunkte über einen Zeitraum von acht Wochen plus unterstützende Maßnahmen
  • Scheinakupunktur-Gruppe: 20 halbstündige Sitzungen über einen Zeitraum von acht Wochen mit einer nicht penetrierenden Scheinakupunktur (stumpfe Nadelstiche mit einer Streitberger-Placebonadel in Nicht-Akupunkturpunkte) plus unterstützende Maßnahmen
  • Standard-Gruppe: unterstützende Maßnahmen

Unterstützende Maßnahmen umfassten eine Änderung der Lebensgewohnheiten, Verhaltenstherapie und ein Selbstmanagement der Migräne. Der primäre Studienendpunkt war die Reduktion der Migränetage und Migräneattacken pro Monat im Vergleich zu den Ereignissen vor Studienbeginn. Über fünf Monate wurden von den Studienteilnehmern Daten erhoben.

Streitberger-­Placebonadeln

Die Streitberger-Placebonadel wurde nach ihrem Erfinder Dr. med. Konrad Streitberger benannt. Es handelt sich dabei um eine Tele­skop-Akupunkturnadel. Beim Einstechen schiebt sie sich teleskopartig ineinander, ohne die Haut zu durchdringen (A und B). Für den Patienten ist beim Aufdrücken ebenso ein Stich fühlbar wie bei den echten Akupunkturnadeln (C). Um zu verhindern, dass sie gleich wieder abfällt, muss sie durch ein Pflaster durchgestochen werden, das auf der Haut klebt und die Nadel festhält. Durch den aufgelegten Plastikring um die Einstichstelle ist für den Patienten dabei nicht erkennbar, ob es sich um eine echte Akupunktur- (C) oder eine Placebonadel (B) handelt. Die Streitberger-Placebonadel kann von dem Akupunkteur grundsätzlich auch an echten Akupunkturpunkten angewandt werden.

Streitberger-­Placebonadel (B) und normale Akupunkturnadel (C) [Darstellung nach Asia-Med GmbH]

Seltener Migräne

Unter jeder Art der Behandlung wurde die Zahl der Migränetage und -attacken reduziert. Die Unterschiede zur Standard-Gruppe waren bereits in der vierten Woche signifikant. Ein Unterschied zwischen der Akupunktur und der Scheinakupunktur zeigte sich erst in den letzten acht Behandlungs­wochen auf signifikantem Niveau. So gingen die Migränetage in den Wochen 13 bis 16 unter der Akupunktur um 3,5 Tage und unter der Scheinakupunktur um 2,4 Tage zurück. In den Wochen 17 bis 20 wurde ein Rückgang von 3,9 Tagen unter der Akupunktur im Vergleich zu 2,2 Tagen unter der Scheinakupunktur verzeichnet. Unter der Standard-Therapie wurde ein Rückgang von 1,4 Tagen registriert. Die Anzahl der Migräneattacken sank unter Akupunktur um 2,3 und unter der Scheinakupunktur um 1,6 in den Wochen 17 bis 20. Darüber hinaus wurde errechnet, bei wie vielen Studienteilnehmern sich die Migränetage oder -anfälle in den Wochen 17 bis 20 um 50% reduzierten. In der Akupunktur-Gruppe waren das 82,5%, in der Scheinakupunktur-Gruppe 45,8% und in der Standard-Gruppe 17,9%. Es traten keine unerwünschten Wirkungen auf. Die Patienten empfanden keinen Unterschied zwischen der Placebo- und der Akupunkturnadel.

Foto: lightwavemedia – stock.adobe.com

Fachgesellschaft äußert Zweifel

Die Deutsche Neurologische Gesellschaft (DNG) bewertet diese Studienergebnisse kritisch. Größere Studien hatten zu diesem Thema keine signifikante Überlegenheit der Akupunktur gezeigt. Insbesondere fiel den DNG-Autoren der hohe Anteil der Patienten auf, bei ­denen sich die Anzahl der Mi­gränetage oder -anfälle in den Wochen 17 bis 20 um 50% reduzierte. „Die Rate der 50%-Responder hinsichtlich der Reduktion der Migränetage erscheint so spektakulär hoch, dass sie die ganze Studie etwas fragwürdig erscheinen lässt“. Im Vergleich hierzu gäbe es keine einzige Arbeit, in der mehr als die Hälfte der Patienten eine 50%-Responderrate aufwiesen. Hinzu käme, dass die bisher publizierten randomisierten klinischen Studien, bei ­denen die Akupunktur und die Scheinakupunktur miteinander verglichen wurden, keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Verfahren feststellen konnten, so die DNG-Autoren. Ihr Fazit: Die Ergebnisse der chinesischen Studie erscheinen noch nicht ausreichend valide, um die Akupunktur in die Standardtherapie zur Migräneprophylaxe aufzunehmen. |
 

Literatur

Xu S et al. Manual acupuncture versus sham acupuncture and usual care for prophylaxis of episodic migraine without aura: multicentre, randomised clinical trial. BMJ 2020;368:m697

Efficacy Study of Acupuncture in the Prevention of Migraine Without Aura. clinicaltrials.gov; zuletzt aktualisiert am 9. September 2019

Akupunktur zur Migräneprophylaxe: Sind die Ergebnisse der neuen Studie aus China „zu gut“?, Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie e. V., www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/70-pressemitteilung-2020/3935-akupunktur-zur-migraeneprophylaxe-sind-die-ergebnisse-der-neuen-studie-aus-china-zu-gut, Abruf am 20. Mai 2020

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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