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Retaxationswelle ab Herbst denkbar

Ein Gastkommentar

Foto: DAZ/tmb

Dr. Jörn Graue, Vorsitzender des Hamburger Apothekervereins

In der öffentlichen Berichterstattung findet dies – von Ausnahmen abgesehen – bestenfalls am Rande Erwähnung: SARS-CoV-2 führt auch in den Apotheken zu einer massiven Belastung von Mitarbeitern wie ­Inhabern.

Von daher nimmt man gern wahr, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) angesichts von Corona Flexibilität bewiesen hat. Nahezu über Nacht gab es Verordnungen und Erlasse, die hilfreich waren. So kann zum Beispiel aktuell dank novellierter Abgabebestimmungen einfacher auf mögliche Lieferengpässe reagiert werden. Ebenso ist hier die Vergütung des Botendienstes sowie die Erhöhung der Pflegehilfsmittelpauschale zu nennen. Das BMG hat nicht nur schnell, sondern auch praxistauglich gehandelt.

Allerdings ist dieses Entgegenkommen zeitlich befristet. Sein Verfallsdatum: September 2020. Ob die Politik in einem weiteren Schritt der ­berechtigten Forderung nach Beibehaltung der neuen Bestimmungen folgt, daran darf gezweifelt werden.

Denn die administrativen Reaktionen sind den extremen Herausforderungen einer Pandemie geschuldet – wobei die Krankenkassen selbst in dieser Situation der Politik lediglich nolens volens nachgegeben haben. Und es ist nicht davon auszugehen, dass die Kassen, die seit Jahrzehnten gesetzliche wie vertragliche Regelungen immer wieder zu ihren eigenen Gunsten auslegen, nun zu finanziellen Zugeständnissen bereit sind.

In diesem Zusammenhang zwei Stichworte: Formfehler und Ermessensspielraum. Die Tatsache, dass Formfehler gemäß geltenden Verträgen nicht Grund für eine Retaxation sein dürfen, hat Krankenkassen bislang nicht daran gehindert, auf dieser Basis Zahlungen will­kürlich zu verweigern. An dieser Praxis haben auch Gerichtsurteile wenig geändert. Ich erinnere an ein Verfahren aus jüngster Zeit, bei dem es um die Retaxation eines BtM-Rezepts wegen der darauf fehlenden A-Kennzeichnung des verordnenden Arztes ging. Das Gericht hob in seinem Urteil auf den Ermessensspielraum der Kasse ab: Sie hätte abwägen müssen, ob dieser Formfehler eine Nullretaxation rechtfertige oder nicht, zumal der Versicherte sein Arzneimittel er­halten habe und der Kasse kein ­materieller Schaden entstanden sei.

Vor diesem Hintergrund sollten wir uns auf eine Retaxationswelle einstellen. Denn zahlreiche Kassen und ihre Substitute dürften versucht sein, selbst aus den kleinsten in der Krise unterlaufenen Formfehlern Kapital zu schlagen.

Ich appelliere an die Krankenkassen, ihre Ermessensspielräume im Sinne wirtschaftlicher Vernunft zu nutzen und Formfehler zu heilen – besonders wenn weder der Versicherte noch seine Kasse geschädigt worden sind.

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