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Wirtschaft
Cannabis aus der Apotheke
Chancen und wirtschaftliche Perspektiven
Bei der Versorgung mit Cannabis-Produkten haben Rezepturen und unverarbeitete Blüten, die als Rezepturarzneimittel oder unverarbeiteter Stoff taxiert werden, eine größere Bedeutung als Fertigarzneimittel. Die Apothekenrezeptur ist damit eine wichtige Voraussetzung für diesen neuen Aspekt der Arzneimittelversorgung. Dies zeigen Daten des GKV-Spitzenverbandes, die die ABDA in ihrer Broschüre „Zahlen, Daten, Fakten 2020“ veröffentlicht hat (siehe Tabelle 1 auf der nächsten Seite). Im Jahr 2019 wurden demnach bei der GKV 210.100 Verordnungen über Rezepturarzneimittel oder Blüten und 57.248 Verordnungen über Fertigarzneimittel mit Cannabis abgerechnet. Beim Umsatz ist der Unterschied sogar noch größer. Rezepturarzneimittel mit Cannabis und Cannabis-Blüten sind demnach bei dieser vordergründigen Betrachtung im Durchschnitt teurer als Fertigarzneimittel. Doch dieser Vergleich hinkt, weil diese Statistik nichts über die Mengen und Reichweiten der Verordnungen aussagt. Allerdings erklären diese Daten, weshalb die Preisbildung für Cannabis-Produkte in Apotheken so aufmerksam betrachtet wurde.
Cannabis-haltige Zubereitungen und unverarbeitete Cannabis-Blüten | Cannabis-haltige Fertigarzneimittel | |
---|---|---|
Anzahl der Verordnungen | ||
2018 | 135.083 | 50.287 |
2019 | 210.100 | 57.248 |
Umsatz | ||
2018 | 58.612.971 € | 15.068.376 € |
2019 | 103.918.879 € | 19.076.670 € |
Neue Preisregelung über die Hilfstaxe
Daraufhin hatte die Politik den Vertragspartnern eine deutliche Senkung der Ausgaben der GKV für solche Cannabis-Produkte verordnet, die in Apotheken taxiert werden. Das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) enthielt den Auftrag, diese Ausgaben der GKV für Cannabis um 25 Millionen Euro jährlich zu verringern. Daraufhin vereinbarten der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband Ende März die neue Anlage 10 zur Hilfstaxe, die rückwirkend zum 1. März 2020 in Kraft trat (siehe „Neue Anlage zur Hilfstaxe für Cannabispreise“, DAZ 2020, Nr. 15, S. 18 f.). Diese neue Preisregelung hat die wirtschaftlichen Bedingungen für die Cannabis-Versorgung in den Apotheken wesentlich verändert. Kurzfristig ist die Versorgung mit Cannabis aus Apotheken nach diesen Einbußen nicht zusammengebrochen. Das heißt jedoch nicht, dass diese Honorierung langfristig eine stabile Basis sichert. Bietet die Cannabis-Versorgung noch angemessene Erträge? Oder wird sie nun als bestenfalls kostendeckende Versorgungsaufgabe ein neuer Fall für die Quersubventionierung, so wie es die meisten klassischen Rezepturarzneimittel seit jeher sind? Um dies zu beantworten, fehlen bisher aussagekräftige Daten. Doch ein Blick auf die wesentlichen Kosteneinflussgrößen zeigt, wovon die Antwort und damit eine langfristig gesicherte Cannabis-Versorgung durch die Apotheken abhängt.
Identitätsprüfung als Kostenfaktor
Eine wesentliche Kostenposition der Apotheken bei der Cannabis-Versorgung bildet die Identitätsprüfung, weil diese einen beträchtlichen Zeitaufwand erfordert. Der Aufwand hängt auch von der Anzahl der Proben ab. Bei handelsüblichen 5-Gramm-Dosen mit Cannabis-Blüten erfordert schon ein Rezept mehrere solcher Dosen. Denn übliche Abgabemengen für die Blüten aufgrund einer einzelnen Verordnung liegen in der Größenordnung von 30 Gramm. Der Aufwand für die Prüfung hängt wesentlich davon ab, wie viele Dosen geprüft werden müssen. Betroffene Apotheker berichten dazu über unterschiedliche Sichtweisen der Aufsichtsbehörden in verschiedenen Bundesländern. In einigen Ländern werde es akzeptiert, aus vielen Dosen derselben Charge einige Stichproben zu ziehen. Denn die Ware wurde üblicherweise bereits zweimal beim Hersteller und beim Importeur überprüft. Gemäß dieser Sichtweise sollten Dosen derselben Charge anders behandelt werden als Packungen von unterschiedlichen Lieferanten. Andere Aufsichtsbehörden erwarten jedoch, die Identität jeder einzelnen Dose zu prüfen. Denn die Prüfung soll Verwechslungen beim Abfüllen und Etikettieren ausschließen. Dabei könnten auch verschiedene Blütensorten verwechselt werden. Diese Argumentation stützt sich auch auf den EU-GMP-Leitfaden der Guten Herstellungspraxis (Teil I, Nr. 5.30). Demnach „sollte“ bei der Arzneimittelherstellung die Identität eines jeden Behältnisses mit Ausgangsstoffen sichergestellt werden.
Vorschläge für Alternativen
Vor diesem Hintergrund fordert der Verband der Cannabis versorgenden Apotheken (VCA), die Prüfung und Dokumentation zu vereinfachen und zu standardisieren. Dazu kursieren verschiedene Ansätze. Neben der Beschränkung der Identitätsprüfung auf Stichproben aus einigen Dosen einer Charge sind dies beispielsweise Schnelltests mit Teststreifen, die dafür als zusätzliche Prüfungsvariante in den Monographien anerkannt werden müssten.
Manche Beobachter propagieren eine Registrierung von Cannabis-Produkten als Fertigarzneimittel ohne den bei einer Zulassung nötigen Wirksamkeitsnachweis. Befürworter sehen darin eine Innovationschance, weil damit auch Cannabis-Präparate in neuen Darreichungsformen eingeführt werden könnten. Dagegen sprechen jedoch grundsätzliche Erwägungen zur Arzneimittelsicherheit und zum Vertrauen in die etablierten Vorgehensweisen. Zudem fürchten Kritiker, eine Ausnahme bei Cannabis könnte die geltenden Standards insgesamt aufweichen und damit einen Boden für fragwürdige Produkte bereiten.
Viel einfacher als diese Ansätze dürfte eine Änderung der Packungsgrößen aufseiten der Lieferanten sein. Wenn sich diese Größen am tatsächlichen Bedarf der Apotheken orientieren würden, könnte der Aufwand für die Prüfungen deutlich reduziert werden und die Kosten der Apotheken würden ohne irgendwelche Qualitätseinbußen sinken. Wenn sich dabei grundlegend veränderte Einkaufsbedingungen ergeben, könnte dies jedoch neue Regelungen zur Preisbildung erforderlich machen.
Kosten bei der weiteren Bearbeitung
An anderen Stellen im Arbeitsablauf der Apotheken ist dagegen kaum Rationalisierungspotenzial erkennbar. Zumindest der Umgang mit Cannabis-Blüten stellt in Apotheken einen speziellen Arbeitsablauf mit eigenen Herausforderungen dar. Die Blüten gehören als Teedroge auf den ersten Blick nicht in die Rezeptur, können aber nicht an einer Teewaage abgewogen werden. Da sie sehr lipophil sind und an vielen Geräten haften bleiben, empfiehlt sich spezielles Arbeitsgerät nur für diese Blüten. Diese Besonderheiten erfordern eine eigene Arbeitsorganisation und verursachen zusätzliche Kosten über den normalen Rezepturbetrieb hinaus. Wenn Cannabis häufig abgegeben wird, relativiert dies zwar die Kosten für die Organisation, aber dies ändert nichts an den Mühen durch Lieferengpässe und individuelle Verordnungen unterschiedlicher Blütensorten. Dieser Variantenreichtum erhöht auch das bei Betäubungsmitteln ohnehin größere Lagerrisiko, insbesondere wenn eine Apotheke nur wenige Patienten mit Cannabis versorgt.
Weitere erhebliche Kosten entstehen durch die Anforderungen an die Aufbewahrung und Dokumentation von Betäubungsmitteln und den großen Beratungsbedarf im Patientengespräch. Dies betrifft allerdings nicht nur Cannabis. Für alle diese Kosteneinflussgrößen gilt, dass Einsparungen bei gleichbleibender Qualität kaum möglich sind.
Beitrag der Importeure
Als größte Chance für Kostensenkungen in der Apotheke bleiben damit praxisgerechte Liefergrößen der Cannabis-Importeure. Dies berührt einen weiteren Aspekt, der die betroffenen Apotheker bewegt. Astrid Staffeldt, die stellvertretende Vorsitzende des VCA, betont, dass Einsparungen über die Hilfstaxe nur zulasten der Apotheken gehen können. Bei den vom Gesetzgeber geplanten Verhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband können nur die Apotheker Einsparungen leisten. „Es ist in diesem Modell schlichtweg nicht vorgesehen, dass Importeure und Hersteller ebenfalls einen Einsparungsbeitrag leisten“, erklärt Staffeldt. Wenn Importeure heute Einsparungsbeiträge durch Preissenkungen leisten, würden sie selbst über die Höhe entscheiden. „Die Apotheker müssen sparen und die anderen Beteiligten können sich aussuchen, ob sie sparen und wenn ja, wie viel“, folgert Staffeldt.
Praktische Fragen zur Hilfstaxe
Neben solchen grundsätzlichen Überlegungen wirft die neue Anlage 10 zur Hilfstaxe weiterhin noch praktische Fragen auf. In einigen Apotheken stellte sich die Frage, wie Rezepturarzneimittel mit mehreren Cannabis-Extrakten zu taxieren sind. Die neue Vereinbarung sieht unterschiedliche Zuschläge unterhalb und oberhalb einer Grenze von 80 Euro vor. Aus Apothekerverbänden ist dazu die Interpretation zu hören, dass diese 80 Euro als Grenze für die jeweilige Zubereitung gemeint sind und dann auch mehrere Extrakte im selben Produkt betreffen würden, also nicht mehrfach für ein Produkt abgerechnet werden könnten. Wenn mehrere Produkte in getrennten Rezeptzeilen verordnet werden, würde dagegen die Grenze mehrfach gelten. Eine weitere Praxisfrage ist, ob Cannabidiol-Reinsubstanz nach der neuen Anlage 10 abzurechnen ist. Von Apothekerverbänden wird dies verneint, weil Cannabidiol-Reinsubstanz in der Anlage 10 nicht ausdrücklich genannt wird und darum wohl nicht von dieser Anlage erfasst wird.
Zukunft der Hilfstaxe-Regelung
Für längerfristige Betrachtungen ist jedoch bedeutsamer, wie zukunftsfest die neue Anlage 10 zur Hilfstaxe ist. Die wesentlichen Preisvereinbarungen der Hilfstaxe sind für beide Seiten mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende kündbar. Dies ist sinnvoll, weil sich Marktpreise verändern können, birgt aber auch die Gefahr für die Apotheken, dass eines Tages keine akzeptablen Preise mehr ausgehandelt werden können. Planungssicherheit für die Versorgung mit den derzeit üblichen Produkten ist damit nicht gegeben.
Viel Potenzial für Cannabis
Doch bei der Cannabis-Versorgung ist ohnehin noch vieles offen und die Preisbildung ist dabei wohl nicht einmal die größte Frage. Die Marktbedingungen können sich ändern, wenn die neuen einheimischen Hersteller ihre erste Ernte anbieten. Erfahrungen aus anderen Ländern mit innovativen Darreichungsformen können einen Anlass bieten, diese weiteren Versorgungsoptionen zu ermöglichen und solche Produkte zu importieren. Möglicherweise würde dann der kostenintensive Umgang mit den Blüten an Bedeutung verlieren. Doch das größte Potenzial dürfte in der Zahl der Patienten liegen, die von den medizinischen Erfahrungen abhängen wird. Die großen Umsatzerwartungen für internationale börsennotierte Cannabis-Produzenten sprechen dafür, dass viele Beobachter künftig noch viel Potenzial für die Therapie mit Cannabis sehen. Größere Absatzmengen und eine breitere Akzeptanz wären auch gute Grundlagen für eine wirtschaftlich stabile Versorgung aus Apotheken. Allerdings sieht Staffeldt derzeit noch relativ viele Vorbehalte gegen den medizinischen Einsatz von Cannabis. Das Vorurteil, die „Kiffer“ würden ihr Rauchmittel nun verordnet bekommen, sei in den Fachkreisen nach ihrer Erfahrung noch verbreitet, während die allgemeine Bevölkerung eher für den medizinischen Einsatz von Cannabis offen sei. |
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