Arzneimittel und Therapie

Geht auch weniger?

Britische Hausärzte testen Deprescribing bei älteren Hypertonikern

Für rund zwei Drittel älterer Hypertoniker scheint eine Verringerung der Anzahl an Antihypertonika möglich zu sein, ohne das angestrebte Therapieziel zu gefährden. Eine bessere Verträglichkeit war damit allerdings nicht verknüpft. Wie lange der Erfolg des Deprescribing anhält und welche langfristigen Auswirkungen daraus resultieren, ist derzeit nicht bekannt.

Rund die Hälfte der über 80-Jährigen erhält eine antihypertensive Behandlung, meist in Form einer Kombinationstherapie. Hinzu kommt in der Regel die Einnahme weiterer Wirkstoffe, sodass vermehrt unerwünschte Wirkungen auftreten können, die bei älteren multimorbiden Patienten besonders ausgeprägt sind. Die Entscheidung, ob eine Therapie erforderlich ist oder nicht, entspricht häufig einer Gratwanderung zwischen Nutzen und Risiko. In britischen Hausarztpraxen wurde nun untersucht, ob die Zahl der Antihypertonika bei älteren Patienten reduziert werden kann, ohne das Therapieziel zu gefährden – in diesem Fall einen systolischen Blutdruckwert unter 150 mmHg.

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An dieser randomisierten Studie nahmen 69 Hausarztpraxen in England teil. Der Hausarzt wählte Patienten aus, die 80 Jahre oder älter waren und aufgrund einer blutdrucksenkenden Therapie mit mindestens zwei verschiedenen Wirkstoffen einen systo­lischen Blutdruck von weniger als 150 mmHg aufwiesen. War der Arzt der Meinung, ein Absetzen eines der Blutdruckmittel sei möglich, konnten die Senioren an der Studie teilnehmen. Sie wurden im Verhältnis 1 : 1 randomisiert, und bei den 282 Probanden der Interventions-Gruppe wurde ein Blutdrucksenker abgesetzt, bei den 287 Teilnehmern der Vergleichs-Gruppe wurde die Anzahl der Antihypertonika beibehalten. Der primäre Studienendpunkt war ein systolischer Blutdruck von < 150 mmHg nach zwölf Wochen. Sekundäre Endpunkte erfassten unter anderem die Lebensqualität, unerwünschte Wirkungen, das Ausmaß der Gebrechlichkeit und den Anteil der Probanden, die eine verringerte Medikamentenzahl beibehielten. Die Studie war als Nicht-Unterlegenheitsstudie konzipiert worden. Bei ­diesem Studientyp wird vor Studienbeginn ein Wert festgelegt, bei dessen Unterschreitung eine klinisch relevante Unterlegenheit vorliegen würde. In diesem Fall betrug die zuvor ­festgelegte Non-Inferioritätsmarge für das relative Risiko (RR) 0,90. Um eine Nichtunterlegenheit nachweisen zu können, sollte das Studienergebnis (inklusive Streuwerte) über diesem Wert liegen.

Kein großer Unterschied

Von den 569 Probanden im medianen Alter von 84,8 Jahren und einer Anfangsverordnung von zwei verschiedenen Antihypertonika und einem systolischen Blutdruck von rund 130 mmHg beendeten knapp 94% die Studie. Nach zwölf Wochen hatten 86,4% der Probanden der Interventions-Gruppe und 87,7% der Kontroll-Gruppe einen systolischen Blutdruck < 150 mmHg. Die Differenz lag mit einem relativen Risiko von 0,98 innerhalb der Non-Inferioritätsmarge. Das heißt, mit einem Wirkstoff wurden annähernd gleich gute Therapieergebnisse erzielt wie mit zwei Wirkstoffen.

Nach zwölf Wochen konnte die Medikamentenreduktion bei 66,3% beibehalten werden. Es zeigte sich jedoch, dass der systolische Blutdruck im Durchschnitt um 3,4 mmHg gestiegen war. Auch beim diastolischen Wert wurde ein signifikanter Anstieg um 2,2 mmHg verzeichnet. Die Medikamentenverringerung ging mit mehr unerwünschten Wirkungen einher: So klagten 49,3% in der Interventions-Gruppe und 39,4% in der Vergleichs-Gruppe über unerwünschte Wirkungen, vornehmlich über steife Gelenke, Schmerzen und Müdigkeit. Was schwere Nebenwirkungen anbelangt, so berichteten 4,3% der Pro­banden in der Interventions-Gruppe über mindestens eine schwere Nebenwirkung, in der Vergleichs-Gruppe war dies bei 2,4% der Teilnehmer der Fall.

Das Ergebnis dieser Studie wurde auch in einem Editorial diskutiert. Eine zentrale Frage war hierbei, welche langfristigen Konsequenzen das Absetzen eines Blutdrucksenkers haben wird. Nach zwölf Wochen war der Blutdruck in der Interventions-Gruppe um 3,4 mmHg angestiegen. Obwohl dieser Zuwachs gering ist, könnte dies – vor allem bei weiterem Anstieg – langfristige Konsequenzen ­haben. Auch erscheint den Kommentatoren dieser Studie der akzeptierte systolische Blutdruckwert von 150 mmHg etwas zu hoch. So fordern US-amerikanische Richtlinien alters­unabhängige Werte < 130/80 mmHg. Des Weiteren wird auf die erhöhte ­Nebenwirkungsrate in der Interventions-Gruppe hingewiesen. Auch ­müsse hinterfragt werden, ob die ­Studienergebnisse, die mit einer ­selektionierten Studienpopulation ­gewonnen wurden, auf eine breitere Gruppe übertragen werden können. Als proof of concept erscheint ein ­Deprescribing vielversprechend, der Beweis seiner Praxistauglichkeit steht noch aus. Bis dahin muss im Einzelfall entschieden werden, wann eine Reduktion sinnvoll erscheint, so die Kommentatoren. |

Literatur

Jaehde U, Radziwill R, Kloft C. Klinische Pharmazie. 3. Auflage 2010, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart

Sheppard JP et al. Effect of Antihypertensive Medication Reduction vs Usual Care on Short-term Blood Pressure Control in Patients With Hypertension Aged 80 Years and Older: The OPTIMISE Randomized Clinical Trial. JAMA. 2020;323(20):2039–2051. doi:10.1001/jama.2020.4871

Peterson ED et al. Deprescribing Antihypertensive Medications for Patients Aged 80 Years or Older: Is Doing Less Doing No Harm? JAMA. 2020;323(20):2024–2026 doi:10.1001/jama.2020.4841

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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