Praxis

Keine Angst vor Retaxationen?!

Ein Gastkommentar

Dipl.-Math. Uwe Hüsgen, Essen, war langjähriger Geschäftsführer des Apothekerverbandes Nordrhein

Die öffentlichen Apotheken rechnen Monat für Monat durchschnittlich gut 56 Mio. Packungen an Fertigarzneimitteln mit den gesetzlichen Krankenkassen ab. Von diesen Packungen entfallen aktuell fast 35 Millionen auf rabattbegünstigte Fertigarzneimittel.

Auch um sich vor unliebsamen (und häufig Rendite vernichtenden) Retaxationen durch die Krankenkassen zu schützen, beachten die Mitarbeiter der Apotheken die Vorgaben des Rahmenvertrages über die Arzneimittelversorgung nach § 129 SGB V grundsätzlich äußerst penibel. Pharmazeutische Bedenken (gekennzeichnet mit der Sonder-PZN 02567024 und dem Faktor 8 oder 9) haben die Apotheken in den Monaten Juli bis November 2019 (nur) in 76 von 10.000 Abgabevorgangen dokumentiert (Quelle: Insight Health). Dabei darf angezweifelt werden, ob die Apotheken in jedem begründeten Einzelfall pharmazeutische Bedenken angemeldet haben – oder der Patient nicht doch bewogen (bzw. überredet) werden konnte, das qua Vertrag zur Abgabe vorgesehene Arzneimittel in Empfang zu nehmen. Bleibt zu hoffen, dass in solchen Einzelfällen der Patient dieses Arzneimittel auch wie vorgesehen eingenommen bzw. angewendet hat.

Ebenfalls nicht dokumentiert sind solche Fälle, in denen der Arzt gebeten werden musste, eine neue Verordnung auf den Patienten auszustellen, weil das ursprünglich Verordnete defekt war. Wenn gerade in solchen Fällen einzelne Krankenkassen (wie die KKH) noch Ärzte auffordern, kein „Aut-Idem-Kreuz“ zu setzen, da in der Apotheke stattdessen doch „teure Originalpräparate durch wirkstoffgleiche preisgünstige (zum Beispiel rabattierte) Arzneimittel ersetzt werden [können]“, muss die Frage gestellt werden, ob diese Krankenkassenvertreter noch das Wohl der ihnen anvertrauten Versicherten im Auge haben, oder ob hier die Prinzipien der Ökonomie Vorrang vor Versorgungssicherheit und -qualität haben.

Auch deshalb wäre es aus Gründen der Versorgungssicherheit und -qualität zumindest für die Zukunft angezeigt, jene Fälle zu dokumentieren, in denen der Patient sein Arzneimittel nicht erhält oder der Arzt mithilfe einer „Ersatzverordnung“ ein anderes als das ursprünglich verordnete Medikament rezeptieren muss.

Die Furcht vor einer Retaxation durch die Krankenkasse sollte die Apotheker jedenfalls nicht davon abhalten, die ihnen anvertrauten Patienten ordnungsgemäß – unter besonderer Beachtung von § 17 Abs. 5 Apothekenbetriebsordnung – zu versorgen und bei berechtigten Zweifeln pharmazeutische Bedenken geltend zu machen. So viel Selbstbewusstsein und Rückgrat ist den Apothekern und ihren Mitarbeitern schon zuzutrauen.

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