Arzneimittel und Therapie

Reichen ein paar Tropfen Blut?

Liquid Biopsy: Ein neues Konzept in der Frühdiagnose und Nachsorge von Tumorpatienten

Die ursprünglich für nicht-invasive Pränataltests entwickelte Liquid Biopsy gewinnt in der Onkologie zunehmend an Bedeutung und ergänzt die klassische Gewebebiopsie. Etablierte Anwendungsbereiche sind vor allem die Vorhersage des Therapieansprechens und die Verlaufskontrolle einer Tumorerkrankung. Der präventive Einsatz der Flüssigbiopsie im Screening ist – obwohl von großem allgemeinem ­Interesse – noch nicht praxisreif.

Klassische Gewebebiopsien sind die Basis der pathologischen Routine­diagnostik, mit der nicht nur histologische Subtypen, sondern auch therapierelevante Veränderungen charakterisiert werden. Allerdings sind dieser Diagnostikart Grenzen gesetzt, vor allem bei der Notwendigkeit, molekulare Karzinomeigenschaften oder das Auftreten von Resistenzvarianten zu identifizieren. Mit der Liquid-Biopsy-Analyse (Flüssigbiopsie; blutbasierte Analytik zum Nachweis von Tumorzellen beziehungsweise Tumor-DNA) ist es erstmals möglich, minimal-invasiv sowohl die Tumorheterogenität als auch die klonale Entwicklung eines Malignoms im Zeitverlauf zu untersuchen. Ferner lassen sich minimale Resterkrankungen und Therapieresistenzen weitaus früher als mithilfe bildgebender Verfahren nachweisen. Ein weiteres Plus der Liquid Biopsy ist die nicht-invasive Gewinnung des Tumormaterials, was bei ungünstiger Lokalisation des Tumors (z. B. bei Lungen- oder Hirntumoren) oder schlechtem Allgemeinzustand des Patienten von Vorteil ist [1].

Anwendungsgebiete der Liquid Biopsy

  • Frühdiagnose
  • Verlaufskontrolle, Überwachung des Therapieerfolgs
  • Erkennen eines Rezidivs
  • Identifikation von Resistenz-Mechanismen
  • Stratifizierung, Identifizierung von Zielstrukturen
  • Prognoseeinschätzung
  • Prävention

Was weist man nach?

Das Ausgangsmaterial ist mehrheitlich Blut (5 bis 7 ml), mitunter werden auch andere Körperflüssigkeiten wie Urin, Liquor oder Speichel herange­zogen. Meist werden zirkulierende ­Tumorzellen oder freies Tumor-Erbgut nachgewiesen:

  • Zirkulierende Tumorzellen (CTCs) sind einzelne Krebszellen, die vom Tumor in die Blutbahn gelangen. Nach Abtrennung und Anreicherung kann ihr Erbgut analysiert werden.
  • Bei zirkulierender freier Tumor-DNA (cfDNA) handelt es sich um kurze Erbgut-Abschnitte, die von absterbenden Tumorzellen ins Blut freigesetzt werden und die sich von der DNA gesunder Zellen unterscheiden. Diese cfDNA enthält Mutationen, Genfusionen oder veränderte DNA-Methylierungsmuster. Da cfDNA nur in sehr geringen Mengen vorkommt, sind zu ihrer Detektion spezielle Analysenmethoden erforderlich (droplet digital PCR und molekulare Barcode-basierte next generation sequencing-Assays mit extrem hoher Messtiefe) [2, 3].

Klinische Anwendung

Die Freisetzung von Tumor-DNA hängt wesentlich von der Entität, Lokalisation, Größe, dem Tumorstadium sowie der Vaskularisierung des Malignoms ab. Daher eignet sich der Nachweis von cfDNA nicht für alle Tumorentitäten. Derzeit wird die Liquid Biopsy vor allem für das Monitoring der Therapie metastasierter kolorektaler Karzinome und nicht-kleinzelliger Lungenkarzi­nome eingesetzt. Des Weiteren können einige Tests zur Therapieentscheidung bei bestehenden Tumorerkrankungen herangezogen werden [4] (s. Tabelle).

Tab.: Tests zur Therapieentscheidung und zur Früherkennung von Tumoren [5]
Test
Anwendung
Tests zur Therapieentscheidung
cobas® EGFR Mutation Test v2
(Roche), FDA-Zulassung 2016
Der EGFR-Mutationsnachweis hilft bei der Vorhersage des Ansprechens auf eine Tyrosinkinase-Inhibitor-Therapie beim fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC).
Guardant360® (Guardant Health), FDA-Zulassung 2018
Zur Therapieentscheidung bei fortgeschrittenen soliden Tumoren in der first-line-Situation und im Progress. Außerdem kann Guardant360® zur Überwachung und Nachsorge einer Krebstherapie verwendet werden.
FoundationOne® Liquid (Foundation Medicine), FDA-Zulassung 2018
Zur Therapieentscheidung bei fortgeschrittenen soliden Tumoren.
Resolution HRD™ (Resolution Bioscience),FDA-Zulassung 2019
Zur Bestimmung von Mutationen, u.a. beim NSCLC.
Tests zur Früherkennung von Tumorerkrankungen
Epi proColon® Test oder Septin9-Test (Epigenomics), FDA-Zulassung 2016
Zur Früherkennung von Darmkrebs; der Test weist methylierte DNA des SEPT9-Gens im Blutplasma mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) nach.
CancerSEEK (Thrive Earlier Detection Corp.), FDA-Zulassung 2018
Detektion von Mutationen und Tumorproteinen bei acht verschiedenen Tumorarten (Eierstockkrebs, Leberkrebs, Magenkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Speiseröhrenkrebs, Dickdarmkrebs, Lungen- und Brustkrebs).
ArcherDX (Archer), FDA-Zulassung 2019
Blut- und gewebebasierte Diagnostika; unter anderem zur Analyse von Genmutationen bei soliden Tumoren.
GRAIL multi-cancer early detection test (GRAIL)
FDA-Zulassung 2019
Zur Früherkennung von mehr als 50 Tumorarten im Blut.

Die Früherkennung von Tumoren oder das präventive Screening mithilfe eines Bluttests – eine wohl von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptierte und bevorzugte Methode – ist derzeit noch eine Zukunftsvision. Seit wenigen Jahren werden entsprechende Tests angeboten, über deren Aussagekraft noch zu wenig Daten vorliegen. Der Epi proColon® Test kann möglicherweise zur Früherkennung von Darmkrebs eingesetzt werden, er erhebt aber nicht den Anspruch, eine Koloskopie zu ersetzen.

Erste Studiendaten zum ­präventiven Screening

Ob der Einsatz eines Bluttests im präventiven Screening aussagekräftig ist, wurde in einer prospektiven Studie (DETECT-A; Detecting cancers Earlier Through Elective mutation-based blood Collection and Testing) mit rund 10.000 Frauen im Alter zwischen 65 und 75 Jahren untersucht. Bei den Probandinnen lag keine bekannte Tumorerkrankung vor; die Auswahl fiel auf Frauen, da es für das häufig tödliche Ovarialkarzinom keine Früherkennung gibt. Das Screening mithilfe des CancerSEEK-Tests [6, 7] verlief in mehreren Stufen: Zuerst wurde der Bluttest durchgeführt. Dieser zeigte bei 490 Frauen ein positives Ergebnis. In diesen Fällen wurde der Test ein zweites Mal durchgeführt, um einen falsch-positiven Laborbefund auszuschließen, ferner wurden mögliche Fehlerquellen eliminiert. Die Zahl der Frauen, bei denen der Krebsverdacht weiter bestand, sank dadurch auf 134. Von diesen unterzogen sich 127 einer gezielten Krebssuche mithilfe bildgebender Verfahren (Positronen-Emissions-Tomografie und/oder Computertomografie).

Danach konnten folgende Aussagen getroffen werden: Bei 46 Frauen wurde ein möglicher Tumor entdeckt, der sich bei 26 Frauen in einer Biopsie ­bestätigte. Unter den 26 Tumoren befanden sich sechs Ovarialkarzinome, davon eines im Frühstadium. Weitere 16 Frauen hatten andere Krebserkrankungen in einem Anfangsstadium, so dass diese Patientinnen von dem Test profitiert haben könnten. Bei insgesamt 108 Frauen hat CancerSEEK zu einem falsch-positiven Ergebnis ­geführt, das durch die anschließende Positronen-Emissions-Tomografie und/oder Computertomografie revidiert wurde. Der CancerSEEK-Test kann aber auch falsch-negativ ausfallen: So wurde bei 46 Frauen eine Krebserkrankung erst dann entdeckt, als sie sich zwischenzeitig aufgrund von Beschwerden ärztliche Hilfe gesucht hatten. Bei weiteren 24 Frauen wurde bei einem konventionellen Screening ein Malignom (Brust-, Lungen- oder Dickdarmkrebs) entdeckt [8].

Wie Kommentatoren der Studie betonen, kann derzeit der Stellenwert einer Liquid Biopsy im präventiven Bereich noch nicht eingeschätzt werden. Der in obiger Studie eingesetzte Test wurde zwischenzeitlich weiterentwickelt, und neue Tests sind auf dem Markt. Um das klinische Potenzial der Liquid ­Biopsy optimal nutzen zu können, ­erscheint die Aufnahme der Tests in ­einen Therapiealgorithmus sinnvoll, damit das gesamte therapeutische und prognostische Instrumentarium ausgeschöpft werden kann [9]. |

 

Literatur

[1] Vollbrecht, C. Liquid Biopsy – Erweiterung des molekularpathologischen Spektrums. best practice onkologie 15, 230–238 (2020). doi:10.1007/s11654-020-00222-7

[2] Stögbauer, F. „Liquid biopsy“ – Einsatzmöglichkeiten in der molekularen Tumordiagnostik. Onkologe 26, 53–59 (2020). doi:10.1007/s00761-019-00684-7

[3] LIQUID BIOPSY: Flüssige Biopsie. Informationen des deutschen Krebsinformationsdienstes. www.krebsinformationsdienst.de/service/iblatt/iblatt-liquid-biopsy.pdf, Abruf am 14. Juli 2020

[4] Obrist P et al. Die Rolle der Liquid Biopsy in der Diagnostik von Tumorerkrankungen. JATROS 26. Dezember 2019. Informationen der Universimed Cross Media Content GmbH, www.universimed.com.

[5] Cowling T et al. An Overview of Liquid Biopsy for Screening and Early Detection of Cancer. www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK555478/#:~:text=Liquid%20biopsy%20is%20a%20minimally,in%20the%20late%2019th%20century

[6] Cancer Seek. Informationen der Thrive Earlier Detection Corp. https://thrivedetect.com/cancerseek/, Abruf am 14. Juli 2020

[7] Cohen J et al. Detection and localization of surgically resectable cancers with a multi-analyte blood test. Science 2018; 359(6378):926-930; doi: 10.1126/science.aar3247

[8] Lennon A et al. Feasibility of blood testing combined with PET-CT to screen for cancer and guide intervention. Science 2020; doi: 10.1126/science.abb9601).

[9] Jiang, T et al. Multi-cancer blood testing combined with PET-CT: road for hope to screen for cancer and guide intervention. Sig Transduct Target Ther 5, 95 (2020). https://doi.org/10.1038/s41392-020-0210-2.

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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