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DAZ aktuell
„Internationale Lieferketten halten auch unter Stress“
Pharmaunternehmen für mehr Globalisierung
Am 1. Juli 2020 übernahm Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Als gesundheitspolitische Ziele definiert Gesundheitsminister Jens Spahn, dass neben der Liefersicherheit für die gesamte EU die Wirkstoffproduktion wieder vermehrt in Europa stattfinden soll. Ein Motto der EU-Ratspräsidentschaft soll „European Health Souverenity“, also mehr Souveränität im Europäischen Gesundheitswesen lauten; weniger Abhängigkeit und dafür mehr eigene Stärke. Dazu äußerte sich Spahn im Interview mit der Südwest Presse: „Die Krise zeigt, dass unsere zu große Abhängigkeit von China nicht gut ist. Das betrifft nicht nur Masken oder Medizin.“
Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa), die wirtschaftliche Interessensvertretung von 45 Pharmaunternehmen in Deutschland, tritt diesem Ziel skeptisch entgegen. „Wir verteidigen beherzt die Globalisierung“, betont ein Pressesprecher gegenüber der DAZ. In einem Gastbeitrag „Warum das Gerede vom Ende der Globalisierung ungesund ist“ für die Wirtschaftswoche vom 11. Juni 2020 kritisiert vfa-Hauptgeschäftsführer Han Steutel die Bestrebung, bereits ausgelagerte, globale Produktionsstandorte zurückzuholen: „Auch in der Corona-Krise ist die Zahl der Lieferengpässe trotz erhöhter Nachfrage nicht übermäßig stark gestiegen. Daraus kann man für die weitaus überwiegende Zahl von Medikamenten schließen, dass internationale Lieferketten auch unter Stress halten.“
Apotheker und andere Beteiligte des Gesundheitssystems schätzen die Lage anders ein. Im April und Mai 2020 hatten sich vermehrt Klinikapotheker darauf eingestellt, Arzneimittel für intensivmedizinische COVID-19-Patienten selbst herstellen zu müssen. „Wenn es die zweite Welle gibt, werden wir mit unseren Vorräten ganz schnell ins Minus laufen“, warnte der Chef-Apotheker des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gegenüber der Deutschen Presse-Agentur.
Pharmaunternehmen profitieren von intensiven Handelsbeziehungen mit den beiden größten Märkten der Welt. Nach Angaben des vfa betrug der Wert an Arzneimittelexporten aus Deutschland nach China und Indien 2019 rund vier Milliarden Euro, während aus diesen Ländern Arzneimittel im Wert von nur zwei Milliarden Euro importiert wurden. Aus Deutschland und anderen europäischen Ländern werden vor allem patentgeschützte Arzneimittel an das Ausland verkauft, während aus Indien und China vor allem Generika importiert werden. Wie ein Pressesprecher des vfa der DAZ mitteilte, plädiert die Interessensvertretung der pharmazeutischen Hersteller dafür, dass vorhandene Strukturen weiter ausgebaut werden sollen, anstatt eine „bereits verlorene Produktion zurückzuholen“.
Politik setzt Lieferengpässe auf die Agenda
Die Bundesregierung wird wahrscheinlich noch diese Legislaturperiode bewirken, dass die Arzneimittelproduktion im Lokalen gefördert wird. Aus einer Koalitionsvereinbarung vom 3. Juni 2020 geht der Beschluss hervor, dass „ein Programm zur Förderung der flexiblen und im Falle einer Epidemie skalierbaren inländischen Produktion wichtiger Arzneimittel und Medizinprodukte“ mit einer Milliarde Euro gefördert werden soll.
Auch der Jour fixe zu Lieferengpässen, neuerdings offizieller Beirat des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, diskutiert, wie Anreize für die Rückholung der Wirkstoffproduktion geschaffen werden und Dialoge mit relevanten Akteuren gelingen können.
Bei einer informellen Tagung der EU-Gesundheitsministerinnen und -minister am 16. Juli 2020 betonte Spahn seine Arzneimittelstrategie auf europäischer Ebene: „Es soll definiert werden, welche Arzneimittel auch wieder in Europa produziert werden müssen. Aber auch das gehört zur Wahrheit: Wir werden nicht alle Wirkstoffe in Europa produzieren können und müssen. Wir müssen diejenigen identifizieren, die in der Intensivmedizin besonders kritisch sind.“ |
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