Infektiologie

„Viele Patienten fühlen sich allein“

Christopher Klettermayer über seine HIV-Infektion und Wünsche an die Apotheke

mp | Im Januar 2014 wurde bei Christopher Klettermayer eine Infektion mit dem humanen Immundefizienz-Virus (HIV) festgestellt. Seither verarbeitet er seine Erkrankung, Sexualität und das gesellschaftliche Bild in Fotografien und Texten. Mittlerweile geht er offen mit seiner Erkrankung um und arbeitet für Aufklärungsprojekte mit den Aidshilfen der DACH-Region zusammen. Im Gespräch mit der DAZ erläutert Christopher Klettermayer, welche Beratung er sich von Apothekerinnen und Apothekern wünscht.

DAZ: Herr Klettermayer, wie haben Sie damals auf Ihre Diagnose reagiert?

Klettermayer: Das war eine Katastrophe für mich. Besonders als hetero­sexueller Mann hatte ich nicht geglaubt, dass es mich treffen würde, bis es mich dann doch getroffen hat. Das musste ich herunterschlucken und verarbeiten, was seine Zeit gebraucht hat.

DAZ: Konnte Sie Ihr Arzt bei der Erstdiagnose aufklären und Ihnen die Angst nehmen?

Klettermayer: Nicht wirklich. Die Diagnose wurde mir in einem Aschram in Indien gestellt, in dem alle Besucher routinemäßig auf Infektionskrank­heiten untersucht wurden. Die Ärztin, die mir meinen positiven Test erklärte, sagte mir schon, dass die HIV-Diagnose kein Todesurteil ist. Einerseits ist es leicht, theoretisch zu wissen, dass die Diagnose kein Weltuntergang ist. Doch andererseits war es ein riesiger Unterschied, spürbar zu begreifen, dass ich mit der Therapie nicht ansteckend bin. Größen wie der Nachweisgrenze habe ich zwei Jahre lang nicht recht trauen können.

Foto: Christopher Klettermayer

Christopher Klettermayer wurde 1982 in Wien geboren. Er arbeitete mehrere Jahre als Fotojournalist und Modefotograf, bis die Infektion mit dem HI-Virus sein Leben veränderte. Seither reflektiert und verarbeitet er seine Erfahrungen in der Kunst. Seine Texte und Fotografien veröffentlicht er unter dem Pseudonym Philipp Spiegel (www.philipp-spiegel.com).

DAZ: Wie war das für Sie, mit der antiretroviralen Therapie zu beginnen?

Klettermayer: Für mich war das ein großer Schritt. Ich habe mir wochenlang Zeit gelassen, weil ich wusste: wenn ich jetzt anfange, wird das für den Rest meines Lebens so sein. Zusätzlich war ich verunsichert, weil ich nicht wusste, welche Nebenwirkungen auftreten würden. Bei diesem ersten Schritt ist viel Angst im Spiel.

DAZ: Als Apotheker muss ich das fragen: Sind Sie mit der Einnahme vertraut?

Klettermayer: Ja, ziemlich! Bei meinen Arzneimitteln hat sich viel geändert. Meine Therapie hat mit Stribild® begonnen, später habe ich Genvoya® erhalten. Diese Arzneimittel, vor allem Stribild®, sollten noch mit viel und fettreichem Essen zusammen eingenommen werden. Jetzt bekomme ich Biktarvy®, das ich unabhängig von den Mahlzeiten einnehmen kann. Ungewöhnlich war für mich, dass sich die Größe der Tabletten stark verändert hat. Früher war das ein richtiger Brocken, auf einmal habe ich dieses Tic-Tac-große Ding. Das hat eine enorme psychologische Wirkung. Ich fand es sogar schlecht, dass die Tabletten so klein wurden. Ich fürchtete, so würde ich die Einnahme schneller vergessen.

DAZ: Kam das schon einmal vor?

Klettermayer: Nein, niemals, da bin ich strikt. Mich belastete anfangs, dass wenn ich die Tablette eingenommen hatte, ich ein paar Stunden später unsicher wurde, ob ich nicht doch vergessen hatte, sie einzunehmen. Mittlerweile ist es zur völligen Routine geworden, dass ich meine Arznei­mittel einnehme. Trotzdem stelle ich mir auf dem Handy immer noch einen Alarm. Auch meine Arzneimitteldosen unterstützen mich. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich besser fühle, wenn ich die Pillen immer bei mir habe. So wurde meine Tablettendose zu einem Schmuckstück. Mittlerweile kaufe ich mir jedes Jahr eine neue, die etwas anderes aussagt.

DAZ: Sind bei Ihnen Nebenwirkungen aufgetreten?

Klettermayer: Bei Genvoya® musste ich häufig auf die Toilette, da hatte ich das Gefühl, dass meine Nieren stark arbeiteten. Was mir jetzt Sorgen be­reitet, ist die Gewichtszunahme. Ich kämpfe so schon dagegen an, man kann nur schwer sagen, was das Alter und was die Arzneimittel sind. Aber zum Glück hatte ich nie wirklich schwere Nebenwirkungen.

DAZ: Welche anderen Sorgen bereiten Ihnen Ihre Arzneimittel?

Klettermayer: Das schlimmste ist die Abhängigkeit. Ich möchte gern nach Spanien auswandern, doch dabei ist unsicher, ob dort meine Arzneimittelversorgung problemlos funktionieren würde. Außerdem wurde während der Corona-Pandemie für mehr Menschen sichtbar, dass fast alle Wirkstoffe aus China importiert werden. Das ver­unsichert mich.

Foto: Christopher Klettermayer

Arzneimitteldose für Christopher Klettermayers kombinierte antiretrovirale Therapie.

DAZ: Haben Sie eine Stammapotheke?

Klettermayer: Ja, die Marien Apotheke in Wien, die sich auf HIV und andere eher außergewöhnliche Themen spezialisiert hat. Wenn andere Arzneimittel hinzukommen, werden immer die Wechselwirkungen geprüft, und es wird Rücksprache mit den Ärzten gehalten. Ich kann mir vorstellen, dass sich manche Apotheken im eher konservativen Wien das Thema HIV nicht unbedingt auf die Fahne schreiben wollen, weil das Thema stigmatisierend ist.

DAZ: Was wird in Ihrer Stamm­apotheke anders gemacht als in anderen Apotheken?

Klettermayer: Die Arzneimittel die ersten paar Male abzuholen war für mich mit Scham und Ängsten ver­bunden. Da hat die Apotheke ein angenehmes System, bei dem so viel wie nötig ‒ aber auch nicht mehr ‒ beraten und besprochen wird. Selbstverständlich erhoffe ich mir Feedback, z. B. wenn ich Johanniskraut kaufe. Auf solche Themen wird in meiner aber sicher auch in anderen Apotheken viel Wert gelegt. Die Marien Apotheke scheint aber auch viele Arbeiten zur Aufklärung zu übernehmen. Meiner Meinung nach sollten die Aidshilfen besser mit Apothekern und Ärzten zusammenarbeiten.

DAZ: Sie sind gut informiert über Ihre Erkrankung. Kam es vor, dass Ihnen in der Apotheke ausführlich Ihre Erkrankung erläutert wurde und Sie sich bevormundet gefühlt haben?

Klettermayer: Das ist schon vorge­kommen. Das nervt immer ein bisschen, doch ich verstehe, warum das nötig ist. Prinzipiell finde ich gut, wenn aufgeklärt wird, egal wie die Reaktion ist. Ein gewisser Prozentsatz der Leute wird immer genervt sein. Aber übervorsichtig zu sein und nochmal nachzufragen ist besser, als die Leute einfach ziehen zu lassen. Gerade bei mit Scham behafteten Themen wie HIV ist das wichtig, auch wenn es unangenehm ist. Die ­Patienten können sich zu ihrer Krankheit oft gar nicht austauschen, weil sie mit Freunden und Familie meist nicht über ihre Infektion sprechen. Viele Patienten fühlen sich allein. Die Kommunikation und das Wissen über HIV scheint in vielen Fällen in den 1980er-Jahren hängengeblieben zu sein.

DAZ: Was könnten Apotheker Ihrer Meinung nach besser machen?

Klettermayer: Apotheker sollten ihre Kompetenz zeigen. Ein Teil der Patienten nimmt die Apotheke nicht wirklich als Ort war, an dem gut ausge­bildete Fachkräften beraten. Außerdem könnten Apotheker ein Netzwerk von spezialisierten Standorten auf­bauen, die intensiver zu bestimmten Themen beraten. Eventuell könnte in der Offizin ein Schild ausgehangen werden: „Wenn Sie Fragen zu dieser Erkrankung haben, wenden Sie sich an uns“. Auch könnte eine anonyme Beratung angeboten werden, zum Beispiel per E-Mail.

DAZ: Die Zahl der jährlichen HIV-Neuinfektionen ist in Deutschland seit Jahren gesunken. Hingegen ist die Zahl der Late-Presenter, also der­jenigen, bei denen HIV erst in einem Stadium fortgeschrittener Immun­defizienz festgestellt wird, seit Jahren konstant geblieben. Der größte Teil dieser Patienten sind Menschen mit heterosexuellem Transmissionsrisiko. Wie könnte man diese Menschen sensibilisieren?

Klettermayer: Besonders in Österreich wurde lange Zeit nur die Zielgruppe der homosexuellen Männer ange­sprochen – alle anderen sahen sich nicht als Risikopatienten. Zu sexuell übertragbaren Krankheiten und ­Sexualität sollte auch bei Erwachsenen mehr aufgeklärt werden. Der ­Safer-Sex-Appell ‒ „benutzt Kondome“ ‒ ist zu einer abgestumpften Nachricht geworden. Die deutsche Aidshilfe geht mittlerweile dazu über, HIV über Umwege zu erklären. Sie erzählen zum Beispiel die Geschichte einer Insel in New York zur Hochzeit der HIV-Epidemie. Viele Tote wurden auf dieser Insel begraben und die Menschen hatten große Angst, da noch niemand wusste, wie das Virus übertragen wird. Durch diese wahnsinnig spannende Geschichte können Menschen effektiv aufgeklärt werden, indem sich der „Aha!“-Effekt zunutze gemacht wird.

DAZ: Herr Klettermayer, vielen Dank für das Gespräch. |

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