Arzneimittel und Therapie

Dement durch Anxiolytika?

Neue Daten deuten sogar auf protektiven Effekt hin

Benzodiazepine und Z-Substanzen gehören trotz bekanntem Abhängigkeitspotenzial zu den weltweit meistverschriebenen Arzneimitteln. Seit geraumer Zeit stehen sie im Verdacht, das Demenz-Risiko zu erhöhen. Doch ist das wirklich so? Neue Daten aus Dänemark stellen den Zusammenhang infrage.

Benzodiazepine binden hochaffin an den GABAA-Rezeptor und verstärken so allosterisch die Bindung und Wirkung des inhibitorischen Neurotransmitters γ–Aminobuttersäure (GABA). GABAA

-erge Neuronen vermindern durch den Einstrom von Chlorid-Ionen die Erregbarkeit ihrer Zielzellen. Benzodiazepine weisen ein breites Wirkungsspektrum auf, in Abhängigkeit von Potenz und insbesondere Pharmakokinetik der Wirkstoffe werden sie zur Angstlösung, zur Narkoseeinleitung, als Ein- oder Durchschlafmittel sowie zur Senkung des Muskeltonus eingesetzt. Die sogenannten Z-Substanzen (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon) unterscheiden sich strukturell von Benzodiazepinen, bedienen jedoch denselben Wirkmechanismus. Vor dem Hintergrund der breiten Verwendung dieser Wirkstoffe und Berichten über kognitive Beeinträchtigungen ergibt sich die Frage nach möglichen Langzeiteffekten, insbesondere dem Risiko einer Demenzentwicklung.

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Ob der Nutzen oder der Schaden von Anxiolytika überwiegt, wer­den weitere Studien zeigen müssen.

Demenzrisiko vermutet

Aktuelle Metaanalysen lassen in der Tat einen Zusammenhang vermuten, wobei bisherige Studien eventuell nicht angemessen auf mögliche Störfaktoren wie das jeweilige Anwendungsgebiet adjustiert wurden („confounding by indication“). Insbesondere affektive Störungen sind häufig mit Demenzerkrankungen assoziiert, was zu Fehlinterpretationen hinsichtlich der Verschreibung von Anxiolytika und einem möglichen Zusammenhang einer Demenzentwicklung führen könnte. Dieser Fragestellung sind dänische Forscher daher nun nachgegangen [1] und werteten dafür die nationalen Daten aus Verschreibungs- und Gesundheitsregistern zwischen 1996 bis 2015 aus. Daten zu 235.465 Patienten, die in diesem Zeitraum erstmalig wegen einer affektiven Störung ein Krankenhaus aufsuchten, wurden in die Studie aufgenommen. Verordnungen von Benzodiazepinen, Z-Substanzen oder anderen Anxiolytika wurden dokumentiert, als Zielparameter wurde die Inzidenz von Demenzerkrankungen definiert. Demenzen wurden hierbei entweder über die Diagnose der Erkrankung oder die Verordnung von Acetylcholinesterase-Hemmstoffen erfasst. 75,9% (171.287) der Patienten nahmen mindestens einmal Benzodiazepine oder Z-Substanzen ein, und 4,2% der Patienten (n = 9776) der Kohorte entwickelten innerhalb einer medianen Nachverfolgung von 6,1 Jahren eine Demenz.

Kein Zusammenhang erkennbar

Weder in der adjustierten Kohorten-Analyse noch bei einer nested case-control-Analyse wurde ein Zusammenhang zwischen der Einnahme von Benzodiazepinen oder Z-Substanzen und einer Demenzentwicklung gefunden. In der nested case-control-Analyse, bei der die Demenzfälle mit einer Kontrollgruppe innerhalb des Studienkollektivs (Patienten mit affektiven Störungen, aber ohne Demenz; Stichprobe n = 39.104) verglichen wurden, wurde bei Patienten mit der geringsten Dosierung der Anxiolytika ein leicht erhöhtes Risiko einer Demenzentwicklung gegenüber keiner Einnahme ermittelt (Odds ratio [OR] = 1,08; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,01 bis 1,15).

Vielleicht sogar nützlich?

Bei der Gruppe mit den höchsten Dosierungen an Benzodiazepinen oder Z-Substanzen wurde hingegen sogar ein verringertes Demenzrisiko errechnet (OR = 0,83; 95%-KI: 0,77 bis 0,88). Die Autoren kommen daher zu dem Schluss, dass der Einsatz von Anxiolytika keinen Risikofaktor für die Entwicklung einer Demenz darstellt und bei Patienten mit affektiven Störungen gegebenenfalls sogar protektive Effekte entwickeln könnte. Letzteres könnte auf die Verminderung exzitotoxischer Effekte, also nervenzelltoxischer Wirkungen aufgrund einer andauernden Reizüberflutung, zurückgehen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die Studie liefert neue Erkenntnisse, insbesondere zur Anwendung von Benzodiazepinen und Z-Substanzen bei Patienten mit affektiven Störungen, und stützt den rationalen Einsatz dieser Arzneimittel. Aufgrund der bekannten Risiken – z. B. Abhängigkeitspotenzial, Sturzrisiko – und auch der uneinheitlichen Vorerkenntnisse rückt eine Anwendung zur Demenzpräven­tion allerdings in weite Ferne. |

Literatur

[1] Osler M et al. Associations of Benzodiazepines, Z-Drugs, and Other Anxiolytics With Subsequent Dementia in Patients With Affective Disorders: A Nationwide Cohort and Nested Case-Control Study. Am J Psychiatry 2020;177(6):497-505

Apotheker Dr. Peter Meiser

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