Arzneimittel und Therapie

Atypische Frakturen unter Bisphosphonaten

Individuelle Faktoren sind nicht zu unterschätzen

Atypische Femurfrakturen sind eine seltene Nebenwirkung der Bisphosphonate, die sich erst nach der Markteinführung zeigte. In einer groß angelegten US-amerikanischen Studie wurde erneut bestätigt, dass der Nutzen der Substanzen zur Verhinderung von Hüftfrakturen und osteoporotischen Brüchen dieses Risiko bei Weitem überwiegt. Individuelle Faktoren wie beispielsweise die ethnische Herkunft könnten jedoch eine größere Rolle spielen als bisher bekannt war.

Die ersten Fallberichte über ungewöhnliche, meist beidseitige Fragilitätsfrakturen im Bereich des Roll­hügels (Trochanter) und entlang des Schaftes des Oberschenkelknochens (Diaphyse) bei Patienten mit Bisphosphonat-Therapie tauchten vor etwa 15 Jahren auf. Es handelt sich dabei um Frakturen nach einer leichten Verletzung, die bei normaler Knochenstruktur ohne Folgen geblieben wäre. Aufgrund dieser Beobachtung hatte das CHMP (Committee for Medicinal Products for Human Use) bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA 2011 eine umfassende Bewertung des möglichen Zusammenhangs von atypischen Femurfrakturen mit der Gabe von Bisphosphonaten durchgeführt und veröffentlicht. Die Analyse ergab, dass diese Knochenbrüche bei langjähriger Anwendung von Bisphosphonaten zur Osteoporosebehandlung wahrscheinlich ein Klasseneffekt sind. Als Ursache vermutet man, dass die Wirkstoffe die Heilung von Stressfrakturen verzögern. Es handelt sich aber um ein seltenes Phänomen, das auch ohne Bisphosphonat-Therapie auftreten kann. In der aktuellen S3-Leitlinie zur Osteoporosetherapie wird die Häufigkeit mit sechs bis 30 pro 10.000 Patientenjahren angegeben. Demgegenüber steht der in zahlreichen kontrollierten Studien nachgewiesene Nutzen der Bisphosphonate bei der Erhöhung der Knochendichte und der Verminderung des Risikos für Hüft- und Wirbelsäulenfrakturen. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Medikamente wird daher in allen zugelassenen Indikationen weiterhin als günstig eingestuft.

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Schmerzen in der Leiste, der Hüfte und im Oberschenkel können auch Anzeichen für eine atypische Femurfraktion sein.

Risiko besser bewerten

Zusätzliche Informationen zu dieser Thematik liefert eine großangelegte Studie einer amerikanisch-englischen Arbeitsgruppe, die kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlich worden ist. Die Autoren verfolgten darin das Ziel, die Rolle weiterer Risikofaktoren wie Alter, ethnische Herkunft, Cortison-Einnahme, Gewicht oder Raucherstatus bei der Entstehung atypischer Femurfrakturen unter Bisphosphonat-Einnahme zu identifizieren.

Eingeschlossen wurden Frauen mit einem Mindestalter von 50 Jahren, die vom Gesundheitsunternehmen Kaiser Permanente in Südkalifornien betreut wurden. Sie nahmen fast ausschließlich Alendronsäure ein, was die Autoren bei der Auswertung als Limitation der Studie bewerteten. Primärer Endpunkt war die Diagnose einer atypischen Femurfraktur. Im Beobachtungszeitraum zwischen Januar 2007 und November 2017 wurde diese bei 196.129 untersuchten Frauen 277-mal gestellt, das entspricht 1,74 Frakturen pro 10.000 Patientenjahre (PJ). Allerdings hatten Frauen zwischen 65 und 74 bzw. 75 und 84 Jahren höhere Frakturraten (2,24 bzw. 2,35 pro 10.000 PJ) als jüngere (50 – 64 Jahre) und Ältere (≥ 85 Jahre). Sie lagen jeweils nur bei 0,83 bzw. 0,99 pro 10.000 PJ.

Außerdem war das Risiko für eine atypische Fraktur signifikant höher bei Asiatinnen, bei Frauen mit geringerer Körpergröße, höherem Körpergewicht sowie bei Cortison-Einnahme über ein Jahr.

Die Studie bestätigte außerdem die bisherige Erkenntnis, dass das Risiko für atypische Femurfrakturen mit der Dauer der Einnahme steigt.

Im Vergleich mit einer Anwendungsdauer unter drei Monaten erhöhte sich die Hazard Ratio (HR) von 8,86 (95% KI 2,79 – 28,20) bei 3- bis 5-jähriger Anwendung auf 43,51 (95% KI 13,70 – 138,15) bei Einnahme über acht Jahre und länger. Die Studie ergab außerdem, dass bei Absetzen der Bisphos­phonate das Risiko für atypische Femurfrakturen rasch sank.

Auf Anzeichen achten

Anzeichen für eine atypische Femurfraktur können Schmerzen oder Schwäche in der Leiste, der Hüfte oder im Oberschenkel sein. Patienten sollten bei solchen Beschwerden unbedingt ihren Arzt aufsuchen. In den Fachinformationen der Bisphosphonate, die zur Osteoporose-Therapie eingesetzt werden, findet sich der Hinweis, dass die Notwendigkeit einer Weiterbehandlung in ­regelmäßigen Abstanden auf Grundlage des Nutzens und potenzieller Risiken für jeden Patienten individuell beurteilt werden sollte, insbesondere bei einer Anwendung über fünf oder mehr Jahre.

Nutzen überwiegt Risiko

Die Studienergebnisse bestätigten außerdem das positive Nutzen-­Risiko-Profil der Bisphosphonate. So standen in einem Zeitraum von fünf Jahren bei Patientinnen weißer Herkunft acht atypischen Femur­frakturen 286 verhinderte Hüftfrakturen und 859 verhinderte ­klinische Frakturen gegenüber. Bei Asiatinnen war das Nutzen-Risiko- Verhältnis etwas ungünstiger: Im gleichen Zeitraum traten 38 ­atypische Femurfrakturen auf, 174 bzw. 524 wurden verhindert. Diese Zahlen ermittelte man durch Vergleich mit einer großen Kohorte von Frauen, die vor der Einführung der Bisphosphonate untersucht ­worden waren. In der Diskussion der Ergebnisse sprechen sich die Autoren unter anderem dafür aus, bei der klinischen Entscheidung für oder gegen den Einsatz von ­Bisphosphonaten individuelle Risikofaktoren stärker als bisher zu berücksichtigen. |

Literatur

Black DM et al. Atypical femur fracture risk versus fragility fracture prevention with bisphosphonates. N Engl J Med 2020;383:743-53

Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose bei postmenopausalen Frauen und bei Männern. S3-Leitlinie des Dachverbands der Deutschsprachigen Wissenschaftlichen Osteologischen Gesellschaften e. V., AWMF-Registernummer 183 – 001, gültig bis Dezember 2022, Stand: 27. Februar 2019

Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft: Bisphosphonate und atypische Femurfrakturen. AkdÄ Drug Safety Mail Nr. 158 vom 16. Juni 2011; www.akdae.de/Arzneimittelsicherheit/DSM/Archiv/2011-158.html, Abruf am 31. August 2020

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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