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Edikt von Salerno? Gekündigt!
Rx-Arzneimittel ohne Rezept ganz legal online bestellbar
Das Konstrukt hinter diesen Zwitter-Unternehmen ist immer ähnlich: Die Firmen sitzen meistens im (EU-)Ausland, wie beispielsweise in Großbritannien, denn dort ist das Ausstellen eines Rezeptes nur auf Grundlage eines Fragebogens ohne direkten Arzt-Patienten-Kontakt erlaubt. Eine EU-weite Bedeutung bekommt dieser landesspezifische Rechtsrahmen durch die Patientenmobilitätsrichtlinie, die es jedem EU-Bürger erlaubt, medizinische Leistungen in einem anderen Land in Anspruch zu nehmen.
Wer nun glaubt, dieses Geschäftsmodell erledige sich mit dem EU-Austritt des Vereinigten Königreiches, der irrt sich. So hat beispielsweise die Seite „GoSpring“, die sich auf „Männerprobleme“ spezialisiert hat, bereits ihren Sitz im britischen Nachbarland Irland.
Viele Indikationen, viele kritische Wirkstoffe
Die Indikationsgebiete der Plattformen sind weit gefächert. Im Fokus stehen jedoch Präparate, für die der Patient bereit ist, die Kosten selbst zu tragen. Bei Erektionsproblemen, Haarausfall und Sexualkrankheiten schaffen alle Plattformen Abhilfe, damit der Gang zum Arzt unnötig wird. Das Portfolio der Plattformen umfasst aber auch Medikamente zur Therapie von Asthma, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Malariaprophylaxe und vieles mehr.
Der Blick auf die Arzneimittel, die nun online verhältnismäßig einfach zu ordern sind, sollte einem Sorgen bereiten. Denn neben erwarteten Wirkstoffen wie Sildenafil, Dapoxetin, Finasterid und oralen Kontrazeptiva, finden sich auch Substanzen, die nicht nur dem Patienten falsch angewendet schaden, sondern auch gesamtgesellschaftlich Probleme verursachen können. Insbesondere die zur Therapie gegen Sexualkrankheiten oder Reisedurchfall angebotenen verschiedenen Antibiotika fallen sofort ins Auge. Auf den Portalen sind u. a. Azithromycin, Doxycyclin, Metronidazol und Fosfomycin erhältlich. Über eine verschlechterte Resistenzlage braucht sich in Zukunft also nicht gewundert werden.
Genauso sind Blutdrucksenker verschiedenster Substanzfamilien, Cholesterinsenker und Antidiabetika mittels Fragebogen online zu erwerben. Vermutlich wird auf Privatpatienten abgezielt, die nur wenige Präparate brauchen und einen hohen Selbstbehalt besitzen. Noch größere Sorgen machen beratungsintensive Präparate wie diverse Dosieraerosole und (Cortison-haltige) Inhalatoren zur Behandlung von Asthma und COPD. Medikamente bei denen schon nach intensiver Einweisung durch Arzt und Apotheker häufig noch Anwendungsfehler gemacht werden.
Mit ein paar Fragen zum Arzneimittel
Ein besonderes Highlight ist die „Pille danach“. Nach deren OTC-Switch im Jahr 2015 hat der deutsche Gesetzgeber mit § 17 Abs. 2b der Apothekenbetriebsordnung versucht, eine Abgabe dieser durch Versandapotheken zu verhindern. Auch diese Hürde wird jetzt mit Arzt-Apotheken-Portalen genommen. Insgesamt können je nach Anbieter sogar bis zu drei Packungen auf einmal bestellt werden.
Die endgültige Kündigung des Ediktes von Salerno zeigt sich aber im Verschreibungsprozess. So sehen die Bestellplattformen wie herkömmliche Versandapotheken aus. Nachdem zunächst das Wunschprodukt oder die Erkrankung ausgewählt wurden, beginnt der fragwürdige Weg zum Rezept. Anstatt mit kompetenter Diagnose und persönlicher Beratung wird der Verschreibungsprozess einfach durch einen Fragebogen ersetzt. Begonnen wird immer mit Fragen zum Alter, Geschlecht, Körpergröße und Gewicht, bevor Arzneimittel bzw. indikationsspezifische Fragen gestellt werden. Als Antwortmöglichkeiten, sofern eine Frage nicht mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten ist, werden maximal zwei bis drei vorgebende Möglichkeiten angezeigt. Für den Fall, dass eine Antwort gewählt wurde, die gegen eine Verordnung spricht, wird häufig offensichtlich darauf hingewiesen, dass eine andere Antwort nötig ist. Trotz anfänglicher Angabe, dass man ein Mann ist, wird regelmäßig nach einer Schwangerschaft gefragt, was nicht gerade auf eine intensive Qualitätskontrolle bei der Erstellung der interaktiven Fragebögen schließen lässt.
Bequemlichkeit ist nicht billig
Zusammenfassend, nach Durchsicht einer Vielzahl von Fragebögen, kann gesagt werden, dass Patienten, die ein Arzneimittel haben möchten, dieses auch problemlos bekommen werden.
Während die grafischen und strukturellen Gestaltungen der Websites eine hohe Ähnlichkeit untereinander aufweisen, unterscheiden sich die Preise doch teils deutlich. Die Preise reichen für zwölf Tabletten Viagra mit 50 mg Sildenafil, abgesehen von einer Ausnahme zum Apothekenverkaufspreis von 140 Euro, über 165 Euro bis zu einem stolzen Preis von 315 Euro. Ein Salbutamol Dosierspray mit einem Apothekenverkaufspreis (AVP) von 15 Euro kostet auf den verschiedenen Portalen 27 bis 63 Euro und Metronidazol 400 mg 14 Tabletten (AVP 14,97 Euro) zwischen 30 bis 44 Euro. Notfallkontrazeptiva mit Ulipristalacetat kosten zwischen 48 bis 99 Euro, sind aber nur auf einem Teil der Portale verfügbar. Sofern die Rezeptgebühr ausgewiesen wird, liegt diese je nach Indikation und Portal variierend zwischen 9 bis 29 Euro.
Nachdem das letzte Jahrzehnt von „Geiz ist geil“ geprägt war, scheinen Patienten nun bereit zu sein, für die steigende Bequemlichkeit tief in die Tasche zu greifen. Jedoch verbergen sich hinter diesem Geschäftsmodell, je nach Wirkstoff, für den Laien und die Gesellschaft nicht abschätzbare Gefahren und Folgen. Interessant wird auch die Haltung der Ärzteschaft dazu sein. Abschließend bleibt festzuhalten, dass nur ein Rx-Versandverbot diesen nahezu unkontrollierten Zugang zu Arzneimitteln über das Internet verhindern kann. |
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