Praxis

Ein Trojanisches Pferd

Warum regionalisierte pharmazeutische Dienstleistungen keine gute Idee sind

tmb/cm | In den vergangenen Wochen mehrten sich die Rufe vonseiten der Politik und der Verbände nach einer Regionalisierung der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen. Auch wenn Verträge mit ein­zelnen Krankenkassen zunächst verlockend wirken, bergen sie doch eine Reihe von Gefahren – nicht nur für die Apotheken, sondern vor allem für die Versorgung der Menschen vor Ort.

Nicht erst seit der Verbändeanhörung zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungs­gesetz (VOASG) im Gesundheitsausschuss des Bundestags ist klar: Der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist so gar nicht begeistert von der Idee, dass die Kassen für neue pharmazeutische Dienstleistungen bezahlen sollen. Sollte die Apothekenreform also wie geplant noch im Oktober in ihrer aktuellen Fassung den Bundestag passieren, drohen zähe Verhand­lungen mit dem Dachverband der Kosten­träger.

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Nur auf den ersten Blick könnten Verhandlungen mit einzelnen Krankenkassen schnellere und weitreichendere Ergebnisse liefern als Gespräche auf Bundesebene. Selektivverträge bergen jedoch die Gefahr, einige unerwünschte andere Wirkungen mit sich zu bringen, die letztlich vor allem die Versicherten treffen würden.

Verzögerung droht

Das könnte für das Konzept zur Stolperfalle werden: Schafft es der GKV-Spitzenverband, eine Einigung bis zur Bundestagswahl zu verschleppen, fürchten Beobachter, dass mögliche Spargesetze der neuen Regierung in der kommenden Legislaturperiode die pharmazeutischen Dienstleistungen auf Eis legen könnten. Mehr guten Willen als vom GKV-Spitzenverband erhofft sich manch ein Poli­tiker von einzelnen Krankenkassen, die über Selektivverträge auf regionaler Ebene mit den Apotheken zusammenfinden könnten.

Das klingt zunächst nach einer guten Idee. Immerhin zeigen einzelne Kassen deutliches Interesse daran, die Apotheken als niedrigschwellige Anlaufstellen für ihre Versicherten stärker in die Gesundheitsversorgung einzubinden als bisher. Das verspricht spürbar mehr Dynamik als der Versuch, mit dem GKV-Spitzenverband übereinzukommen – die Blockadehaltung des obersten Kassengremiums ist offensichtlich. Doch die ABDA warnt davor, von einem bundesweiten Konzept abzurücken, und das zu Recht.

Regional heißt selektiv

Was so sympathisch als flexibles regionales Konzept angepriesen wird, erweist sich bei näherem Hinsehen als Selektivvertrag. Denn letztlich ginge es darum, dass verschiedene Krankenkassen unterschiedliche Verträge abschließen. Doch der kollektivvertragliche Ansatz im bisherigen Gesetzentwurf ist gut durchdacht. Er setzt einen wichtigen Anreiz: Wenn alle Kassen für die neuen Leistungen zahlen müssen, sollten sie auch ein Interesse haben, dass ihre Versicherten profitieren. Die gemeinsame Finanzierung legt einheitliche Leistungen nahe. Selektivverträge würden diesem Ansatz widersprechen. Selektivvertragliche Vereinbarungen hätten zur Folge, dass aus einem Topf, in den alle Kostenträger einzahlen, lediglich ein Teil der Kassen Gelder abziehen könnte, die dann allein deren Mitgliedern zugutekämen. Zu befürchten wäre zudem ein Hauen und Stechen um die mit 150 Millionen Euro ohnehin sehr knapp bemessenen finanziellen Mittel. Denn würde zum Beispiel eine Krankenkasse in Bayern eine attraktive, aber kostenintensive pharmazeutische Dienstleistung vergüten, die vielfach in Anspruch genommen würde, bliebe für Versicherte in Schleswig-Holstein alsbald kein Geld mehr übrig.

Pharmazie statt Convenience

Noch deutlicher zeigt sich das drohende Ungleichgewicht auf Patienten­ebene: Das Angebot etwa einer Medikationsanalyse oder einer intensivierten Chroniker-Betreuung würde sich nicht nach dem tatsächlichen medizinischen Bedarf richten, sondern nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kasse. Das dürfte auch aus Sicht des Gesetzgebers nicht wünschenswert sein. Die Honorierung einer pharmazeutischen Betreuung ist weder ein Almosen an die Apotheken noch ein Luxusgut: Sie kann Fehl­anwendungen von Arzneimitteln, Neben- und Wechselwirkungen verhindern und sich so positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken, Krankenhauseinweisungen vorbeugen und in einzelnen Fällen vielleicht sogar Leben retten. Dass Krankenkassen sie zu Werbezwecken instrumentalisieren, gilt es zu verhindern. Die Apotheken sollten auch nicht zum ver­längerten Arm des Krankenkassenmarketings werden. Das würde das heilberufliche Selbstverständnis der Apotheker untergraben. Dass solche Ideen überhaupt in die Diskussion gekommen sind, dürfte leider wesentlich an den diffusen Vorstellungen über die Dienstleistungen liegen. Vermutlich geistert in den Köpfen von Politikern und Krankenkassenvertretern immer noch der Gedanke herum, dies seien Angebote für die Convenience der Patienten. Da Leistungen der pharmazeutischen Betreuung bisher in Deutschland allenfalls in Modellprojekten bekannt sind, fehlt den meisten Betrachtern wohl eine Idee, was die Apotheker überhaupt meinen. Leider hat die ABDA dieses Problem mit dem Schweigen über die möglichen Dienstleistungen verschärft. Gerade das lange Warten auf das Gesetz hätte die Chance geboten, mögliche neue Leistungen bekannt zu machen, das Interesse der Patienten zu wecken und vor allem dem Publikum endlich zu erklären, was pharmazeutische Betreuung überhaupt ist. Das gelingt am besten mit dem Hinweis auf konkrete Angebote. Doch stattdessen macht die ABDA noch immer ein riesiges Geheimnis um die möglichen Leistungen.

Kein Vergleich mit den Ärzten

Oft ziehen die Befürworter der regionalisierten pharmazeutischen Dienstleistungen das Modell der Selektiv­verträge aus dem kassenärztlichen Bereich heran. Dieser Vergleich hinkt jedoch: Für die Ärzte sind solche Verträge lediglich ein kleiner zusätzlicher Anreiz, bestimmte Leistungen zu erbringen. Für die Apotheker will die Politik jedoch ein zusätzliches finanzielles Standbein schaffen, auf das sich bei einer Regionalisierung jedoch nicht alle Betriebe stützen könnten.

Dazu kommt noch ein weiterer Punkt: Anders als bei den Ärzten gibt es bei den Apothekern keine Bedarfsplanung, sondern eine Niederlassungsfreiheit. Es erscheint naheliegend, dass Kollegen, die eine Apotheke gründen oder übernehmen möchten, sich auf Gebiete konzentrieren, in denen sie attraktive Leistungen für gutes Geld anbieten können – und sich damit übrigens gleichzeitig einen Vorteil bei der Personalakquise verschaffen. Für Regionen, in denen solche Leistungen nicht oder nur in geringem Umfang verfügbar sind, könnte sich dies negativ auf die Apothekendichte auswirken.

Gefährliche Langzeitwirkung

Außerdem muss bei jeder Art von selektiven Verträgen die gefährliche Langfristwirkung bedacht werden. Wenn solche Verträge gut angenommen werden, stellen sich die Leistungserbringer darauf ein, tätigen Investitionen und passen ihre Strukturen an. Damit machen sie sich zugleich ein Stück weit abhängig von den Verträgen und der Honorierung. Das wissen auch die Krankenkassen, die aber am längeren Hebel sitzen. In der nächsten Verhandlungsrunde können sie dann ein niedrigeres Honorar durchsetzen. Denn ganz auf die jeweilige Leistung zu verzichten, käme für die Anbieter noch teurer. Der Wett­bewerb der Selektivverträge geht dann einseitig zulasten der Leistungserbringer. Schlimmstenfalls könnte mit Selektivverträgen für Dienstleistungen sogar eine Tür für weitere Selektivverträge in der Arzneimittelversorgung geöffnet werden. Manche Krankenkassenvertreter fordern dies schon lange. In Verbindung mit den europarechtlichen Auseinandersetzungen um die Gleichpreisigkeit könnte dies zu einem weiteren Angriff auf die Grundfesten der Apotheken­honorierung werden.

Grundidee sichern und umsetzen

Auch wenn zu erwarten ist, dass Verhandlungen mit einzelnen Krankenkassen wohl schnellere und weitreichendere Ergebnisse liefern würden als Gespräche mit dem GKV-Spitzenverband: Den Widerstand des Kassengremiums mithilfe von Selektivverträgen zu umschiffen, greift zu kurz und könnte einige unerwünschte andere Wirkungen mit sich bringen, die letztlich vor allem die Versicherten treffen würden. Letztlich könnten diese Selektivverträge damit wie ein Trojanisches Pferd wirken. Das Ziel muss daher sein, zunächst einige grundlegende Angebote im Leistungskatalog der Kassen zu verankern.

Denn auch wenn noch nicht klar ist, um welche pharmazeutischen Dienstleistungen es geht: Die ABDA wird nicht müde zu betonen, dass sie alle so geartet sein werden, dass sie niemandem vorenthalten werden können. Erst wenn dieser Schritt geschafft ist, sind möglicherweise darauf aufbauende regionale Einigungen denkbar. Bis zur Bundestagswahl im kommenden Jahr gilt es jedoch, mit aller Kraft und Rückendeckung aus der Politik darauf hinzuwirken, eine bundesweite Regelung zu erzielen. Dazu muss das derzeit geplante kollektivvertragliche Konzept für die Dienstleistungen im VOASG erhalten bleiben. Sobald das VOASG verabschiedet ist, liegt der Ball bei der ABDA. Bleibt zu hoffen, dass sie in der Nachspielzeit endlich ein Tor schießt. |

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