Aus den Ländern

„Die Zukunft wird großartig werden“

Yogeshwar bei der 3. Digitalkonferenz „Fokus Patient“ / Burs: „Patienten brauchen Navigationshilfe“

Die Apothekerkammer Niedersachsen beschäftigt sich schon lange und intensiv mit dem Themenkomplex „Gesundheit und Digitalisierung“ und setzte 2018 erstmals mit der 1. Digitalkonferenz „Fokus Patient“ den Auftakt für den interdisziplinären Austausch. Auf der nunmehr 3. Digitalkonferenz brachte die Apotheker­kammer Niedersachsen erneut namhafte Expertinnen und Experten ­zusammen, die die Chancen, aber auch Herausforderungen für alle Akteure im Gesundheitswesen beleuchteten.
Foto: AK Niedersachsen/Ole Spata

Cathrin Burs, AK Niedersachsen: „Die Apotheker wollen den richtig Informierten Patienten“.

Cathrin Burs, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen, eröffnete die Konferenz. „Alle Akteure des Gesundheitswesens sollten sich gemeinsam und kontinuierlich darüber austauschen, was die Digitalisierung bedeutet, welche Chancen sich daraus entwickeln, aber auch, welche Herausforderungen bewältigt werden müssen“, sagte sie. „Wenn wir uns alle ­kooperativ vernetzen, können wir im Schulterschluss zum Wohle des Patienten handeln. Denn eines zeigt unsere Erfahrung aus dem Apothekenalltag: Patienten brauchen eine Navigation durch die dichtbefahrenen Datenautobahnen und -nebenstraßen.“ So gelte es beispielsweise in der aktuellen Krisenzeit, ihn darin zu bestärken, die von der Bundesregierung herausgegebenen Verhaltensregeln wie Abstand halten, Maske tragen, Hygieneregeln beachten und regelmäßig lüften einzuhalten.

In seinem einleitenden Grußwort sagte Staatssekretär Heiger Scholz, Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung: „Wir sind in einem Dilemma: Es gibt eine große Anzahl von digitalen Informationsangeboten im Gesundheitsbereich und auch zur aktuellen COVID-19-­Pandemie, allerdings haben gerade die Menschen, für die diese Informationen besonders wichtig sind, oftmals nur einen erschwerten Zugang zu den digitalen Angeboten. Es fehlt an technischer Ausstattung, Medienkompetenz und auch an Kompetenz, die Informationen zu verstehen, zu gewichten und schließlich anzuwenden.“ Viele Bevölkerungsschichten müssten mit der Technik stärker vertraut gemacht und die Akzeptanz verbessert werden. Im Masterplan Digitalisierung habe sich das Land anspruchsvolle Ziele ­gesetzt. Bis 2022 sollen die hochleistungsfähigen Datenübertragungsnetze ausgebaut und weitere Digitalisierungsmaßnahmen finalisiert werden.

Digitalisierung: Krise als Chance

Das Coronavirus hat das öffentliche Leben tiefgreifend verändert. Dass die Pandemie auch Chancen eröffnet, davon ist Keynote-Speaker Ranga ­Yogeshwar überzeugt. Der Physiker und Wissenschaftsjournalist zeigte unter anderem auf, dass Technikskeptiker in dieser Krise „mitgenommen“ und Vorbehalte entkräftet werden konnten. „Wir wohnen und leben in seltsamen Zeiten. Und viele stellen sich die Frage, in welcher Welt unsere Kinder und Kindeskinder leben werden. Sie werden in der Welt leben, die wir heute bestimmen und deren Stellschrauben wir heute setzen. Wir erleben eine Zeit großer Entwicklungen, die COVID-19-­Pandemie wirkt auf viele Innovationen als Beschleuniger. Im Gesundheitsbereich findet aktuell eine Änderung der Grammatik statt. Die Aufgaben der Heilberufler werden sich durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz verändern“, erklärte Yogeshwar in seinem Vortrag.

Foto: AK Niedersachsen/Ole Spata

Bianca Uekermann, Moderatorin und Vorstandsmitglied der AK Niedersachsen, im ­Gespräch mit Ranga Yogeshwar, der zur Zuversicht in die Technik rät.

Daten sind das neue Gold

„Dank Machine Learning und Künst­licher Intelligenz können wir genetische Analysen machen, unser biologisches Alter bestimmen und Krankheiten in frühen Stadien erkennen“, fuhr Yogeshwar fort. „Daten, die leicht mit dem Smartphone und technischen Sprachassistenten gesammelt werden können, sind das neue Gold. Anhand von diesen Daten können wir schon heute Vorhersagen treffen. Doch was bedeutet dies für unsere Gesellschaft? Im Versicherungswesen gilt bis heute der Solidargedanke, der durch zunehmende Individualisierung aufgelöst werden könnte, wenn beispielweise der Patient einen Rabatt erhält, wenn er seine Fitnessdaten liefert. Dies hätte die Kraft, Verhaltensweisen zu beeinflussen: ‚Ich muss heute joggen gehen, sonst steigt mein Tarif‘.“ Bei allen Risiken rät Ranga Yogeshwar zur Zuversicht in die Technik: „Die Zukunft wird großartig werden. Wir brauchen aber eine Debatte. Innovationen können eine Gesellschaft instabil machen, das lehrt uns die Vergangenheit. Schon jetzt haben wir eine große Polarisation auch im Gesundheitsbereich. Was machen wir in einer Welt, in der ein Patient den Fachleuten wie Virologen, Ärzten und Apothekern von sich aus nicht mehr glaubt? Die wichtigste Vokabel heißt hier: Vertrauen.“

Digitale Welt: Vor- und ­Nachteile

Dr. Alexander Schachinger, Gründer und Geschäftsführer von „EPatient ­Analytics“, erläuterte, welche Vor- und Nachteile der digitale Gesundheitsmarkt von der Gesundheitswebsite hin zu Gesundheits-Apps und digitalen Start-ups für Bürger und Patienten bietet und was dies für die Apotheke vor Ort bedeutet. Der Medienwissenschaftler, der zum Thema „digitaler Patient“ promovierte, stellte fest: „Die Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen entwickelt sich nur langsam. Einfache Anwendungen wie die Online-Buchung von Arztterminen werden von Patienten gut angenommen. Bei komplexen Gesundheits-Apps wie Programmen, die den Patienten bei Rehabilitationsmaßnahmen begleiten, ist eine detaillierte Einführung durch Ärzte und Apotheker wichtig. Untersuchungen stellen fest, dass die Abbruchrate bei Patienten, die durch Fachleute in die Nutzung der Apps eingeführt worden sind, wesentlich geringer ist.“

Einfluss durch Beratung

Ob und wie Patienten das breite Online-Angebot nutzen, um die eigene Gesundheitskompetenz zu schärfen, damit beschäftigte sich Professorin Dr. Marie-Luise Dierks, stellvertretende Leiterin des Instituts für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung der Medizinischen Hochschule Hannover, in ihrem Vortrag. Dierks stellte zunächst die Zahlen aus der Gesellschaftsstudie D21-Digital-Index (2019 – 2020) zum Digitalisierungsgrad der Gesellschaft in Deutschland vor. Laut Studie nutzen 18 Prozent der deutschen Bevölkerung überhaupt keine digitalen Informationsangebote, 30 Prozent nur manchmal. Die digitale Nutzung sinkt mit dem Alter und steigt mit dem Bildungsniveau. Frauen beschaffen Informationen seltener digital als Männer. Dierks warnt davor, die Schuld für eine mangelnde Gesundheitskompetenz beim Patienten zu suchen: „Die Heilberufler müssen ihre Angebote daraufhin überprüfen, ob sie adressatengerecht und gesundheitskompetenzfördernd sind.“ Nach einer Studie des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller von 2019 ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Apotheker sehr hoch. „Mit diesem Vertrauen können die Apotheker weiterhin ihrer Funktion als Navigator im Gesundheitsbereich gerecht werden und in der Apotheke vor Ort Patienten beraten und Hilfestellung zur Bewertung von Informationen aus dem Internet geben.“ Eine Orientierung, um gute Informationen im Gesundheitsbereich zu finden, bietet auch der „Pfad-Finder Gesundheit“ auf der Website der Patientenuniversität der Medizinischen Hochschule Hannover.

Eine Aufzeichnung der 3. Digital-Konferenz findet sich auf der Website der AK Niedersachsen unter www.apothekerkammer-niedersachsen.de

Nationales Gesundheitsportal informiert unabhängig

Der Zugang zu Gesundheitsinformationen im Netz birgt Gefahren. Eine große Herausforderung: zwischen fachlich richtigen und falschen In­formationen zu unterscheiden. Das neue Nationale Gesundheitsportal des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) soll mit einem qualitätsgesicherten Angebot gegensteuern. Auf gesund.bund.de können Verbraucher auf wissenschaftlich belegte, leicht verständliche Gesundheitsinformationen zugreifen. „Aktuell ist die Qualität von Online-Informationen sehr unterschiedlich, was auch die Gesundheitskompetenz beeinträchtigt. Laut World Health Organization (WHO) führt dieses mangelnde Wissen zu 3 bis 5 Prozent Mehrkosten im Gesundheitsbereich“, berichtet Mina Ahmadi, Stellvertretende Referatsleiterin Nationales Gesundheitsportal im BMG. Ahmadi betonte, dass das Portal ein agiles System ist und immer weiter ausgebaut werden soll. Auch Apotheker könnten in Zukunft gerne ihr Wissen und ihre Kompetenzen stärker in die Gesundheitsplattform einbringen.

Schulterschluss – zum Wohle des Patienten

Eines hat die Pandemie verdeutlicht: Auf die Apotheker ist Verlass – sie sind persönlich und flächendeckend vor Ort für die Bevölkerung da. Und die 3. Digitalkonferenz zeigte wieder, wie wichtig die Vernetzung aller Heilberufler für die Gesundheit der Patienten ist. Die Digitalisierung hält viele Chancen bereit, ist Cathrin Burs sich sicher, doch: „Der Schlüssel für eine gute Patientenkommunikation ist Vertrauen. Unser Anliegen ist nicht nur der informierte Patient, wir wollen den ‚richtig informierten Patienten‘. Erst dann kann er selbstbestimmt handeln und die Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen.” |

Quelle: AzetPR/AK Niedersachsen

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