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Arzneimittel und Therapie
Zuckersüße Schwangerschaft
Fertigpräparat für oralen Glucosetoleranztest außer Handel – worauf die Apotheke achten muss
Im Jahr 2016 lag nach Daten des Instituts für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) die Inzidenz von Schwangerschaftsdiabetes bei deutschen werdenden Müttern bei etwas über fünf Prozent. Die Literatur berichtet sogar von bis zu 25%. Auch die Prävalenz des Gestationsdiabetes ist in den letzten 15 Jahren weltweit gestiegen. Das ist teilweise auf ein verstärktes Screening zurückzuführen, aber auch die Verbreitung von Adipositas und ein höheres Durchschnittsalter der Mütter tragen zu diesem Anstieg bei. Bei den betroffenen Patientinnen bestehen oft schon vor der Schwangerschaft eine verminderte Insulinsensitivität und eine gestörte Beta-Zellfunktion, also ein Prä-Diabetes Typ 2. Hinzu kommt die in der zweiten Schwangerschaftshälfte physiologisch einsetzende Insulinresistenz, die dann zu einem relativen Insulinmangel mit Hyperglykämie führt. Schwangerschaftsdiabetes hat Folgen für Mutter und Kind. Studien zeigen bei der Mutter ein stark erhöhtes Risiko für Candida- und Harnwegsinfektionen. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit für Frühgeburten, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie und Präeklampsie. Langfristig wurden vermehrtes Auftreten des metabolischen Syndroms und kardiovaskulärer Erkrankungen beobachtet. Beim Kind kann die erhöhte intrauterine Glucosekonzentration ein schwereres Geburtsgewicht und Glykogeneinlagerungen im Herzmuskel zur Folge haben. Zudem steigt der fetale Hämatokrit, und die Surfactantbildung sinkt. Das kann bei der Geburt zu Hypoglykämien, Atemstörungen, Polyglobulie, Mangel an Calcium und Magnesium sowie Hyperbilirubinämie führen. Zusätzlich gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 im weiteren Lebenslauf der Kinder.
Flächendeckendes Screening
Um den aufgeführten Folgen von Gestationsdiabetes vorzubeugen, sieht die deutsche Mutterschaftsrichtlinie seit 2012 vor, dass bei Schwangeren zwischen der 24. und 28. Schwangerschaftswoche ein Suchtest mit 50 g Glucose (Glucose Challenge Test, GCT) durchgeführt wird. Dazu trinkt die werdende Mutter im nicht nüchternen Zustand eine Zuckerlösung aus 50 g wasserfreier Glucose in 200 ml Wasser. Nach einer Stunde wird der Blutglucosewert gemessen. Ist dieser auffällig (≥ 135 mg/dl), folgt ein standardisierter oraler Glucosetoleranztest mit 75 g Glucose (oGTT, s. Kasten).
Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft hat dieses zweistufige Vorgehen kritisiert, weil der Glucose Challenge Test nur mäßig reproduzierbar ist. Das ist auf die im Gegensatz zum oralen Glucosetest nicht standardisierten Bedingungen, insbesondere die variable Tageszeit und Abstand zur letzten Nahrungsaufnahme, zurückzuführen. Zudem existiert für die benötigte Lösung mit 50 g Glucose kein Fertigpräparat.
oGTT – dem Schwangerschaftsdiabetes auf der Spur
Der orale Glucosetoleranztest (oGTT)dient der Früherkennung eines Gestationsdiabetes und wird morgens nach einer Nüchternperiode von mindestens acht Stunden durchgeführt. Aufgrund der tageszeitlich unterschiedlichen Glucosetoleranz beginnt der Test zwischen 6 und 9 Uhr. Um ein aussagekräftiges Ergebnis zu bekommen, sollte die Schwangere in den drei Tagen vor dem Test die für sie übliche Menge an Kohlenhydraten zu sich nehmen und auf außergewöhnliche körperliche Belastung verzichten. Vor dem Testbeginn wird die Nüchternblutglucose bestimmt. Anschließend muss die Schwangere innerhalb von fünf Minuten schluckweise eine Lösung aus 75 g Glucose in 300 ml Wasser trinken. Ein und zwei Stunden danach wird der Blutzucker gemessen. Während des Tests sollte die Schwangere sitzen, um valide Werte zu erhalten. Ein Gestationsdiabetes liegt laut Leitlinie vor, wenn einer der folgenden Werte erreicht ist:
- nüchtern: > 92 mg/dl
nach 1 Stunde: ≥ 180 mg/dl
nach 2 Stunden: > 153 mg/dl
Verunreinigte Glucoseabfüllung
Im Jahr 2019 kam es in einer Kölner Apotheke zur Abgabe von mit Lidocain verunreinigter Glucose für einen oralen Glucosetoleranztest. Eine 28-Jährige und ihr Kind verstarben, nachdem sie in der Arztpraxis die Lösung eingenommen hatte. Eine andere Schwangere überlebte, wahrscheinlich weil sie die Einnahme wegen des unerwartet bitteren Geschmacks vorzeitig abbrach. Der tragische Vorfall heizte die Diskussion um die Erstattungsfähigkeit fertiger oGTT-Lösungen an. Diese werden von den meisten Krankenkassen aus Wirtschaftlichkeitsgründen nur in Ausnahmefällen erstattet. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft hat diesen Zustand bereits im Jahr 2019 kritisiert. Dabei wurde vor allem das Risiko für Ungenauigkeiten und Verunreinigungen und damit verbundene falsche Testergebnisse hervorgehoben und zur Verwendung von Fertigarzneimitteln geraten. Das letzte dieser Präparate, die Accu-Chek® Dextrose O.G.T. Lösung von Roche, ist jedoch seit diesem Jahr außer Vertrieb.
Neue NRF-Rezeptur für Glucoselösung
Glucose-Lösung 250 mg/mL für oGTT (NRF 13.8)
Lösung zum Einnehmen
Zusammensetzung (entspricht 100 ml):
Glucose-Monohydrat 27,5 g
Natriumbenzoat 0,177 g
Citronensäure 0,229 g
Gereinigtes Wasser zu 109,4 g
Hinweise zu den Stoffen
Glucose-Monohydrat: entspricht 25,0 g wasserfreier Glucose
Die angefertigte Lösung kann zur Durchführung des oralen Glucose-Toleranztests (oGTT) genutzt werden. Da die Zuckerlösung in einem Einzeldosisbehältnis verpackt wird, muss keine Aufbrauchsfrist beachtet werden. In einer Braunglasflasche beträgt die Laufzeit der Glucoselösung sechs Monate. Zur Herstellung der Lösung können wahlweise Glucose oder Glucose-Monohydrat in äquivalenter Menge und als Säuerungsmittel Citronensäure oder Citronensäure-Monohydrat in äquivalenter Menge verwendet werden.
Probleme bei der Herstellung
Anlässlich des Lieferstopps hat die Deutsche Diabetes-Gesellschaft ein neues Positionspapier veröffentlicht, das die Probleme der Herstellung von Glucoselösungen in Praxen verdeutlicht. Denn die Herstellung ist weniger trivial als erwartet. Glucose-Monohydrat löst sich besser in Wasser als reine Glucose und eignet sich daher besser zur Herstellung der Glucoselösung. Dabei sind jedoch die Äquivalenzmengen zu beachten, also dass 82,5 g Glucose-Monohydrat 75 g reiner Glucose entsprechen. Zum genauen Abmessen der Glucose und des Wassers sind eine Präzisionswaage und ein geeigneter Messzylinder erforderlich. Zudem muss das Wasser vorgelegt werden und die Glucose langsam unter gründlichem Rühren eingestreut werden, damit sich kein Bodensatz bildet, der das Testergebnis verfälschen könnte. Oft fehlt es in den Praxen an geeigneten und hygienegerechten Arbeitsplätzen und der nötigen Zeit zur sorgfältigen Herstellung. All diese Probleme sprechen für die Verwendung von standardisierten Fertiglösungen, wie sie z. B. in den USA eingesetzt werden. Mit dem Lieferstopp von Accu-Chek® Dextrose O.G.T. ist in Deutschland kein Fertigarzneimittel mit Einzelzulassung mehr verfügbar. Es gibt aber eine Standardzulassung für Glucoselösungen, die von einigen Apotheken bereits genutzt wird. Zusätzlich enthält die Ergänzungslieferung 2020/2 des NRF (Neues Rezeptur-Formularium) eine neue Vorschrift zur Herstellung einer Glucose-Lösung für den oralen Glucosetoleranztest (s. Kasten „Neue NRF-Rezeptur“). Nach dieser normierten Vorschrift könnten Apotheken zukünftig oGTT-Lösungen auf ärztliche Aufforderung herstellen. Eine einheitliche Regelung zur Erstattung dieser Rezeptur steht jedoch noch aus. |
Literatur
Heinemann L. Gemeinsames Positionspapier der Kommission Labordiagnostik in der Diabetologie der DDG und DGKL (KLD) und der Kommission Apotheker in der Diabetologie BAK/DDG zur Herstellung einer oGTT-Lösung für die Diagnose eines Diabetes einschließlich eines Gestationsdiabetes, Oktober 2020
S3-Leitlinie „Gestationsdiabetes mellitus (GDM), Diagnostik, Therapie und Nachsorge“, 2.Auflage, Februar 2018
DAC/NRF, Glucose-Lösung 250mg/ml für oGTT (NRF 13.8), Avoxa Mediengruppe Deutscher Apotheker GmbH, 04. November 2020
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