DAZ aktuell

Ein präsidialer Präsident

DAZ-Herausgeber Dr. Benjamin Wessinger blickt zurück auf acht Jahre Friedemann Schmidt

Die ABDA steckte mitten im größten Skandal ihrer Geschichte, als Friedemann Schmidt Anfang 2013 sein Amt als ihr Präsident antrat. Im Dezember 2012 war herausgekommen, dass der ehemalige ABDA-Pressesprecher Thomas Bellartz jahrelang einen „Maulwurf“ im Bundesgesundheitsministerium hatte. Schon vorher hatte es unter den Apothekern gewaltig gebrodelt, die sogenannten „Protestapotheker“ beherrschten die (Online-)Diskussionen. Einer der Hauptgründe dafür: Nach jahrelangen Forderungen war zwar zum Jahresbeginn 2013 endlich eine Honorarerhöhung in Kraft getreten. Diese fiel jedoch mit 25 Cent pro Packung deutlich niedriger aus, als viele erwartet und die ABDA gefordert hatten.

In dieser schwierigen Situation übernahm ein Präsident das Ruder, der vieles anders machen wollte, auch wenn er als langjähriger ABDA-Vize durchaus kein „neues Gesicht“ in der Standespolitik war. Schmidt versprach mehr Transparenz, mehr Kommunikation, er ging auf die „Protestler“ zu, stellte sich auch im Internet der Diskussion (und musste dabei mehr als nur einmal auch weit unter die Gürtellinie gehende Kommentare aushalten).

Mit seinem damaligen Pressesprecher Florian Martius besuchte Schmidt die DAZ-Redaktion in Stuttgart, wo ich kurz vorher mit Doris Uhl zusammen die Chefredaktion übernommen hatte. Uns saß ein charismatischer, äußerst eloquenter Mensch gegenüber, der ­reflektiert und selbstkritisch über die Situation und die Zukunft der Apotheker und die Aufgaben der Standesvertretung sprach. Es war ein eindrucksvoller Auftritt, der Hoffnung machte auf grundlegende Veränderungen.

Und in der Tat war Schmidt mitten in einer „Transparenz-Offensive“. Die in der Apothekerschaft jedoch auf ein durchaus geteiltes Echo stieß. So hatte sich Schmidt im Dezember 2012 im Wirtschaftsteil der „Süddeutschen Zeitung“ für das Format „Reden wir über Geld“ interviewen lassen. Dabei bezeichnete er den Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln als „Geldschneiderei“ und verriet, dass das Durchschnittseinkommen eines selbstständigen Apothekers über dem eines niedergelassenen Allgemeinmediziners liege. In die hitzige Diskussion über diese Aussagen, die sich in den Kommentarspalten von DAZ.online entspann, griff Schmidt immer wieder ein. „Das kam gut an bei den Diskutanten. Der zunächst überwiegend kritische bis ablehnende Ton drehte sich. Es gab zusehends auch Anerkennung und Respekt für den neuen Stil des designierten ABDA-Präsidenten“, schrieb die DAZ damals dazu.

Foto: DAZ/Alex Schelbert

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt während des Deutschen Apothekertags 2017 in Düsseldorf.

Doch schon im Dezember 2013 konstatierte ich in einem Editorial die „Ernüchterung“ (so war die „Seite 3“ überschrieben), die mittlerweile eingetreten war. Zwar wurde dem neuen ABDA-Präsidenten attestiert, einen neuen Stil ins ABDA-Haus gebracht zu haben. Aber: „Die großen Erwartungen und Hoffnungen, die viele Apotheker in ihn gesetzt hatten, sind einer gewissen Ernüchterung ­gewichen.“

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Das große Projekt während Schmidts erster Amtszeit ist die Weiterentwicklung des Apothekerberufes. In vielen Diskussionen, ob nun auf den Bühnen von Landesapothekertagen, bei Kammerversammlungen oder im persönlichen Gespräch, versucht Schmidt die Zweifler an einer Neuausrichtung des Berufsstandes von seiner Vision zu überzeugen: Der Apotheker soll mit seinen „kognitiven Kompetenzen“ punkten, nicht mit der Logistik. Der Patient soll in den Mittelpunkt rücken, wo bisher immer das Arzneimittel als Produkt stand.

Die Diskussionen um ein „neues Leitbild“ gipfelten im Frühjahr und Frühsommer 2014 in einer ausführlichen Online-Diskussionsrunde, einem „Leitbild-Konvent“ und schließlich im Herbst in der Verabschiedung des „Perspektivpapiers Apotheke 2030“ auf dem Deutschen Apothekertag 2014. Alle weiteren Vorhaben der Standesvertretung sollten sich zukünftig daran messen lassen, ob sie den Beruf näher an die im Perspektivpapier formulierte Vision heranführen.

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Dass das Perspektivpapier heute in der (berufs-)öffentlichen Debatte keine Rolle mehr spielt, dürfte mit dem mit Sicherheit einschneidendsten Ereignis der Ära Schmidt zusammenhängen: Dem EuGH-Urteil zur Preisbindung vom 18. Oktober 2016. An diesem Mittwoch kurz nach zehn Uhr morgens wird bekannt, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt hat, dass die deutsche Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel für Versender aus dem EU-Ausland europarechtswidrig ist.

Die Reaktion aus dem ABDA-Haus ist schnell und scharf: Man werde nun „aus allen Rohren schießen“, kündigt Friedemann Schmidt an. Eine Lösung wird auch schnell präsentiert: Ein Verbot des Versands von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, so wie es in zwei Dritteln der EU-Mitgliedstaaten gilt. Über andere Lösungsvorschläge will die ABDA nicht diskutieren, einen „Plan B“ brauche man nicht, mehr noch, dieser schade der Umsetzung des Rx-VV, wie das geforderte Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel bald genannt wird.

Im Festhalten am Rx-VV wird ein anderer Friedemann Schmidt sichtbar: kämpferisch, fordernd, auf manch einen wirkte er stur in seiner Ablehnung, auch nur über andere Möglichkeiten zu sprechen, die Preisgleichheit wieder herzustellen. Doch das kurze Zeitfenster, in dem ein Rx-Versandverbot möglich schien, verstrich, auf Hermann Gröhe folgte Jens Spahn als Gesundheitsminister.

Was dieser der ABDA im Vorfeld des Deutschen Apothekertags 2019 versprochen hat (oder mit was er drohte), liegt noch immer im Dunkeln. Doch der Auftritt Spahns auf der Hauptversammlung – und die Reaktion Schmidts – ist unvergessen. Was Spahn vor den Delegierten sagt (Entweder ihr akzeptiert, dass das Rx-Versandverbot vom Tisch ist, oder ich tue nichts mehr für die Apotheker), kann man mit Fug und Recht politische Erpressung nennen. Und Schmidt akzeptiert dies nicht nur, er lächelt, er wirbt für Spahns Weg, er umgarnt den Minister. Bis heute hat Friedemann Schmidt nicht wirklich erklärt, wie es zu diesem radikalen Kurswechsel kam.

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Überhaupt erklärte Schmidt im Lauf der Jahre immer weniger. Aus der ursprünglichen Transparenz- und Kommunikationsoffensive wurde bald eine „Omertà-Politik“, wie es ein Kommentar auf DAZ.online Ende Juni 2015 nennt: „Nun versteckt sich der ABDA-Präsident hinter den dicken Mauern des Mendelssohn-Palais“, also des damaligen Apothekerhauses in Berlin, heißt es darin. Begonnen hatte diese Entwicklung schon mit dem überraschenden Weggang des ABDA-Sprechers Martius im Frühjahr 2013. Nachdem der designierte Nachfolger Winkler bereits am ersten Arbeitstag wieder seinen Hut nahm (oder nehmen musste), igelte sich die ABDA-Spitze kommunikativ immer mehr ein – der jetzige Pressesprecher Kern verstärkte diese Tendenzen noch weiter. Dieser Rückblick auf Schmidts Amtszeit zeigt dies eindrücklich: Für ein Gespräch mit der DAZ stand der scheidende ABDA-Präsident nicht zur Verfügung.

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Nach objektiven Kriterien ist die Bilanz Schmidts keine positive: Die Zahl der Apotheken ist auf einem historischen Tiefststand, das Packungshonorar wurde seit 2013 weder dynamisiert noch ein weiteres Mal angehoben. Das Perspektivpapier ist in der Versenkung verschwunden, das Pharmaziestudium immer noch nicht modernisiert. Das Rx-Versandverbot ist nicht gekommen, und ob das völlig entkernte VOASG die Gleichpreisigkeit wieder herstellt, ist mehr als fraglich.

Und doch habe ich das Gefühl, dass diese Bilanz Friedemann Schmidt nicht gerecht wird. Schmidt hat dem Berufsstand viele Impulse gegeben, nicht nur in seinen rhetorisch oft herausragenden Reden auf den Apothekertagen. Er war ein eher intellektueller, ein präsidialer Präsident. Das hat nicht jedem gefallen, gerade in Internetforen und Facebookgruppen wünschten sich viele Apotheker immer wieder einen „Polterer“, „jemanden wie Montgomery“, den stets angriffslustigen Ex-Präsidenten der Bundesärztekammer. Aber ich frage mich, ob ein anderer Präsident unter den gegebenen Umständen wirklich bessere Ergebnisse erzielt hätte. Wie wahrscheinlich ist es, dass die „Abteilung Attacke“ auf Dauer mehr erreicht hätte als der moderierende und moderate Schmidt? |

Dr. Benjamin Wessinger, Herausgeber der Deutschen Apotheker Zeitung, DAZ

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