Arzneimittel und Therapie

Keine Angst vor Fluorchinolonen

Neue Daten entkräften Sorge um Aortenaneurysmen und -dissektionen

Vor etwa zwei Jahren hat ein Rote-Hand-Brief auf das Risiko für Aortenaneurysmen und Aortendissektionen unter systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen hingewiesen. Doch wie gefährlich ist diese Antibiotikaklasse tatsächlich? Zwei neue Fall-Kontroll-Studien geben nun Entwarnung.

Studien zufolge haben Patienten, die systemisch mit Fluorchinolonen behandelt werden, ein etwa zweifach erhöhtes Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen (s. Kasten) im Vergleich zu Patienten, die keine oder andere Antibiotika einnehmen. Insbesondere ältere Menschen sollen davon betroffen sein. Aufgrund dieses potenziellen Risikos wurden Ärzte in einem Rote-Hand-Brief aufgefordert, den Einsatz von Fluorchinolonen sorgfältig abzuwägen. Zwei im September dieses Jahres publizierte Studien haben das Risiko genauer untersucht.

Gefährliche Gefäßdehnung

Das Aortenaneurysma ist eine Aussackung der Gefäßwand der Aorta. Unterschieden werden thorakale und abdominelle Aortenaneurysmen. Meist sind Aortenaneurysmen asymptomatisch und machen sich erst durch akute und lebensbedrohliche Komplikationen wie Dissektion oder Ruptur bemerkbar. Im Gegensatz zu einer Ruptur, bei der es zum kompletten Zerreißen des Gefäßes kommt, reißt bei einer Dissektion die innere Gefäßschicht, die Gefäßschichten spalten sich auf, und es kommt zu einer Einblutung. Aortenaneurysmen und -dissektionen sind selten, man schätzt eine Inzidenz von ca. 3 bis 30 Fällen pro 100.000 Personen pro Jahr. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen. Zu den Faktoren, die das Risiko erhöhen, gehören unter anderem eine Aneurysma-Erkrankung in der Familienanamnese, ein bereits bestehendes Aortenaneurysma oder eine bestehende Aortendissektion, Hypertonie und Atherosklerose.

Sind die Infektionen schuld?

Den Autoren einer in Taiwan durchgeführten Studie ist das erhöhte Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen unter Fluorchinolonen bekannt, sie geben indes zu bedenken, dass die Rolle bereits vorhandener Infektionen und die Rolle der Fluorchinolone im Verhältnis zu anderen Antibiotika nicht ausreichend untersucht wurde. Sie führten daher eine Fall-Kontroll-Studie mit folgender Fragestellung durch: Wie hoch ist das Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen im Zusammenhang mit einer Infektion und wie hoch ist das Risiko für diese Ereignisse unter der Einnahme von Fluorchinolonen im Vergleich mit anderen Antibiotika bei ähnlichen Indikationen? Bei der Auswertung von 28.948 Fällen und 289.480 Kontrollen als Vergleichsgruppe ließ sich kein erhöhtes Risiko unter der Fluorchinolon-Einnahme nachweisen, wenn auf die zugrunde liegende Infektion und deren Schweregrad adjustiert wurde. Die Gabe von Fluorchinolonen war in dieser Hinsicht nicht gefährlicher als eine Therapie mit Amoxicillin/Clavulansäure, Cephalosporinen oder Ampicillin/Sulbactam. Selbst bei älteren Personen über 65 Jahren, Patienten mit Bluthochdruck oder kardiovaskulären Erkrankungen konnte keine Gefährdung durch Fluorchinolone festgestellt werden. Daraus schließen die Autoren, dass die in vergangenen Studien zu beobachtende Risikoerhöhung für Aortenaneurysmen und -dissektionen unter einer Fluorchinolon-Einnahme auf die Infektion und nicht auf die antibiotische Therapie zurückzuführen war.

Benefit überwiegt

Eine in Boston durchgeführte Studie ging der Frage nach, ob die Einnahme von Fluorchinolonen zur Behandlung einer Pneumonie oder eines Harnweginfekts mit einem erhöhten Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen einhergeht. Dazu wurden die Daten von 279.554 Patienten herangezogen, die aufgrund einer Pneumonie Fluorchinolone oder Azithromycin erhalten hatten. Hier war das Risiko unter Fluorchinolonen mehr als verdoppelt; es lag bei 0,03% vs. 0,01% unter Azithromycin. Bei den 948.364 Patienten, die aufgrund einer Harnwegsinfektion entweder Fluorchinolone oder Trimethoprim und Sulfamethoxazol erhalten hatten, zeigte sich im Hinblick auf die Häufigkeit von Aortenaneurysmen und -dissektionen kein Unterschied; diese lag in beiden Gruppen unter 0,01%. Die Autoren schließen nicht aus, dass die erhöhte Rate von Aortenaneurysmen bei mit Fluorchinolonen behandelten Patienten auf einem Bias beruht, und weisen auf die insgesamt geringe Risikoerhöhung hin. Liegt eine klare Indikation für den Einsatz von Fluorchinolonen vor, so überwiegt der Benefit der Antibiotikatherapie wahrscheinlich das geringe potenzielle Risiko für Aortenaneurysmen und -dissektionen. |
 

Literatur

Rote-Hand-Brief zu systemisch und inhalativ angewendeten Fluorchinolonen: Risiko für Aortenaneurysmen und Aortendissektionen, Informationen des BfArM, 26. Oktober 2018

Dong YH et al. Association of Infections and Use of Fluoroquinolones With the Risk of Aortic Aneurysmor Aortic Dissection. JAMA Intern Med. DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.4192

Gopalakrishnan C et al. Association of Fluoroquinolones With the Risk of Aortic Aneurysm or Aortic Dissection. JAMA Intern Med. DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.4199

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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