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Kongresse
Ein Blick in die (digitale) Zukunft
12. Kooperationsgipfel thematisiert das E-Rezept und die bald möglichen Apotheken-Impfungen
„Impfen ist eine Jahrhundertchance“
Für Dr. Stefan Hartmann, dem Vorsitzenden des Bundesverbands Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK), bedeutet die Möglichkeit, in Apotheken bald gegen Grippe impfen zu können, eine „Jahrhundertchance“. Der Blick in viele andere Länder zeige, dass das Impfen in Apotheken dort schon seit einigen Jahren erfolgreich praktiziert werde mit dem Ergebnis, dass die Durchimpfungsrate in der Bevölkerung deutlich gestiegen sei. Hartmann ist Spahn dankbar, diese Modellvorhaben gegen die anfänglichen Bedenken der ABDA und gegen den Widerstand der Ärzte durchgesetzt zu haben. Impfen in der Apotheke bedeute nach Ansicht Hartmanns eine strategische Chance für die Zukunft, „denn das können DocMorris und alle anderen Versender nicht“, so der BVDAK-Vorsitzende. Er stellt sich vor, dass die Apotheke für das Impfen ein Honorar von 15 Euro plus den Preis für den Impfstoff abrechnen könne.
Weniger erfreut zeigte sich Hartmann über die fehlenden Komponenten im Spahnschen Apotheken-Stärkungsgesetz: Was die Apotheke wirklich hätte stärken können, finde sich da nicht, beispielsweise eine Honorarerhöhung für Apotheken und ein Rx-Versandverbot, so Hartmann. Das Apotheken-Stärkungsgesetz ziele nur auf eine Gleichpreisigkeit im GKV-Bereich. Da im PKV-Bereich ein Preiswettbewerb möglich sei, könne, so Hartmann, langfristig die Preisbindung auch im GKV-Bereich infrage gestellt sein.
Erfreut zeigte sich der BVDAK-Vorsitzende über die Liberalisierung im Botendienst. Er sieht diese Möglichkeiten allerdings eher als aktives Wettbewerbsinstrument: „Wir wollen nah am Patienten sein. Click & Collect wird nicht reichen. Mit dem Botendienst können wir dem Kunden zeigen, dass wir rasch liefern können, auch wenn er sein E-Rezept an uns schickt: Wir sind besser und schneller als Amazon und DocMorris.“
Was das E-Rezept betrifft, so seien hier noch viele Fragen offen, so Hartmann, z. B. das Makelverbot.
Mit Blick auf die Berufsvertretung wünschte sich Hartmann Strukturreformen: „Der ABDA fehlt es an Visionären, Strategen und Profis. Wir müssen vorausdenken, um Zukunftschancen nicht zu verpassen.“
So läuft die Grippeschutzimpfung
Bundesgesundheitsminister Spahn hat den Weg frei gemacht, Grippeschutzimpfungen im Rahmen von Modellversuchen in der Apotheke durchzuführen. Prof. Dr. Uwe May ist davon überzeugt, dass Apotheker ganz maßgeblich zur Erhöhung der Influenza-Impfrate beitragen können: Durch die Möglichkeit, sich in der Apotheke impfen zu lassen, wird die Zahl der Neuimpfungen steigen, einige Impfungen, die früher in der Arztpraxis vorgenommen wurden, werden dann in der Apotheke durchgeführt. Darüber hinaus wird es aber auch weiterhin Impfungen bei Ärzten geben aufgrund einer besseren öffentlichen Wahrnehmung der Impfthematik. Durch die höhere Durchimpfungsrate werden Morbidität und Mortalität sinken und damit die volkswirtschaftlichen Kosten, die diese Erkrankung verursacht. Das Impfen erschließt für die Apotheke ein völlig neues Feld präventiver Leistungen und stellt auch in der öffentlichen Wahrnehmung eine bedeutsame Kompetenzerweiterung für die Offizin dar. May hat sich bereits damit beschäftigt, einen Konzeptrahmen zur praktischen Umsetzung der Grippeschutzimpfung in Apotheken zu erarbeiten. Für die Umsetzung der Grippeschutzimpfung in der Apotheke empfiehlt May eine aktive Begleitung in den Apotheken durch Informations- und Beratungsangebote sowie einen gezielten Abbau bestehender Informationsdefizite bei Apothekern und Verbrauchern bezüglich der Risiken eines Impfvorgangs. Außerdem sollte die Impfung in der Apotheke der Impfung in Arztpraxen im Hinblick auf den Erstattungsumfang der GKV gleichgestellt werden.
Zur Umsetzung der Apothekenimpfung hat May Regelungsvorschläge und -bereiche erarbeitet. Dazu gehört beispielsweise der Befähigungsnachweis für eine Impfberechtigung (zum Beispiel durch E-Learning-Veranstaltungen und Präsenzveranstaltungen mit praktischen Übungen), außerdem sind die apothekenbetrieblichen Anforderungen zu definieren (Raum, verfügbare Notfallmedikation). Des Weiteren müssen die Abrechnung und Erstattung in der GKV geregelt werden, es müssen Zielgruppen (z. B. Personen ab 18 Jahre ohne Kontraindikationen) und medizinische Einschränkungen definiert werden ebenso wie der Leistungsumfang (Beratung, Dokumentation, Impfung und Abrechnung) und die Honorierung der Apotheken (z. B. 15 Euro plus MwSt.) sowie Versicherungs- und Haftungsfragen (ausreichende Deckungssumme der Apothekenhaftpflicht).
Der Blick in die Nachbarländer (z. B. Großbritannien, Frankreich, Schweiz) zeigt, dass Grippeschutzimpfungen in der Apotheke die Zahl der Grippeinfektionen und Grippetoten deutlich senken konnte. May: „Das Gefährlichste wäre, nicht in der Apotheke zu impfen.“
Health Innovation Hub des BMG
Apotheker Ralf König, Nürnberg, ist Mitglied im Health Innovation Hub (HIH) des Bundesgesundheitsministeriums. Mit König arbeiten in diesem Gremium elf Experten aus den Bereichen Medizin und Digital Health zusammen, sie stehen dem BMG als Sparringspartner und Umsetzungsunterstützer zur Seite. Ihre Aufgabe ist es, Innovationen frühzeitig zu erkennen, ihren Nutzen zu bewerten und ihre Umsetzung in die Regelversorgung zu befördern. Sie suchen nach Lösungen, die den Alltag von Patienten, Pflegenden und Behandelnden spürbar verbessern sollen. König: „Wir sind ein ‚Think Tank‘ und wir sind Trüffelschweine auf der Suche, welche Innovationen für Deutschland passen könnten.“ Das HIH-Gremium befasst sich mit Fragen der Digitalisierung (Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein) und mit der Frage, wer über Innovationen entscheidet (Politik? Healthcare Professionals? Verbraucher?). Als Beispiel für eine Innovation im Gesundheitsbereich nannte König das telemedizinische Gerät Tytocare, mit dem sich Daten zur Funktion von Lungen, Herz-Kreislauf, Haut, Ohren und Hals erheben und an den Arzt übertragen lassen. König sieht darin eine Chance für Apotheken, einige französische Apotheken arbeiten bereits mit Tytocare.
Zum Thema E-Rezept merkte König an, dass die Gematik eine eigene App entwickelt: „Die DAV Web-App wird nicht das Monopol für die E-Rezeptübertragung sein“, prognostizierte er. Der Patient wird sein E-Rezept dann aus der Gematik-App abholen und an die Apotheke seiner Wahl weiterleiten.
König freut sich darüber, dass die Apotheke bei der Pflege der elektronischen Patientenakte mit eingebunden ist, „das ist sehr wichtig, sonst wären wir in Zukunft außen vor“. Leider ist die Apotheke nicht bei der Erst-Anlage einer elektronischen Patientenakte dabei, der Grund: „Wir haben nur ein Packungsvergütungssystem“, so König, kein echtes Honorarsystem.
Königs Fazit: „Mit den digitalen Möglichkeiten wie E-Rezept, E-Patientenakte und E-Medikationsplan, aber auch mit der Möglichkeit, in Zukunft impfen zu dürfen, haben wir die Chance, vom Logistiker zum Pharmazeuten zu werden. Allerdings“, so betonte König, „müssen wir endlich Verantwortung für unser Tun übernehmen, sonst schaffen wir uns rückstandslos selbst ab.“
E-Rezept: Es kommt Schritt für Schritt
Über den aktuellen Stand beim E-Rezept informierten Lars Polap (Bundesverband Deutscher Apotheken Softwarehäuser, ADAS) und Christian Krüger (Netzwerkgesellschaft Deutscher Apotheken, NGDA). Im Juni 2020 wird die Gematik die Spezifikationen für das E-Rezept bekannt geben. Erste Erfahrungen werden derzeit z. B. mit dem Pilotprojekt GERDA (Geschützter E-Rezeptdienst der Apotheken) in Baden-Württemberg und Berlin gesammelt. Die ersten echten E-Rezepte über die Telematik-Infrastruktur werden dann Ende 2021/Anfang 2022 erwartet. Bei der Umstellung auf das E-Rezept wird es allerdings keinen Stichtag geben, E-Rezepte und Papier-Rezepte wird es noch eine Zeitlang nebeneinander geben. Da Stand heute noch der Arzt entscheiden kann, ob er eine Verordnung elektronisch oder auf Papier ausstellt, rechnet man mit einer langen Übergangszeit.
Die Referenten machten deutlich, dass sich mit dem E-Rezept einige Vorteile für die Apotheken ergeben. Der Aufwand im Umgang mit den Rezepten wird geringer, das Einscannen und Bedrucken des Rezepts fällt weg, die Aufbewahrung und alle Abläufe bis hin zur Abrechnung werden schneller, einfacher und sie sind weniger fehleranfällig.
Aber auch die Interaktionen zwischen dem Patienten und der Apotheke werden sich fundamental ändern. So wird die Übergabe der Verordnung nicht mehr zwingend persönlich stattfinden, die „Apothekentür“ wird zukünftig digital abgebildet. Die Apotheke wird dort und dann erreichbar sein müssen, wo und wann der Kunde sich gerade befindet, persönlich oder online. Das bedeutet, es wird auf die Servicequalität der Apotheke ankommen. Die Apotheke wird dem Patienten auf der gesamten digitalen Strecke entgegenkommen müssen. Und das sind die kritischen Faktoren, die noch bearbeitet werden müssen: Die Apotheken müssen sich vorbereiten. Die rechtlichen Rahmenbedingungen (Makelverbot) müssen festgelegt werden. Die technologischen Grundlagen für eine digitale Erreichbarkeit aller Apotheken müssen geschaffen werden.
Versand und SSD
Walter Pechmann vom Marktforschungsinstitut GfK befasste sich mit aktuellen Zahlen zum Versandhandel und zur Frage, ob die Vor-Ort-Apotheke bei Online-Bestellungen durch eine Belieferung am gleichen Tag (Same Day Delivery, SDD) punkten kann. Der Apotheken-Versandhandel ist in den letzten Jahren nur mäßig gewachsen, 2019 lag die Versandhandelsquote von Arzneimitteln bei 21% (zum Vergleich: Bei Büro- und Schreibwaren betrug die Versandquote 19%, bei Büchern 31% und im Bereich von Consumer Electronic 38%). Von den 42,7 Millionen Kunden, die 2019 Apotheken (stationär und online) besuchten, kauften 27,5 Millionen nur in stationären Apotheken, 11,7 Millionen sowohl online und stationär und 3,5 Millionen Kunden kauften nur in Online-Apotheken. Der Umsatz der stationären Apotheke im Segment OTC und freiverkäufliche Arzneimittel betrug rund 7,4 Mrd. Euro und konnte ein Umsatzplus von 3,9 im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen. Der Umsatz im Versandhandel betrug dagegen rund 2 Mrd. Euro mit einer Umsatzsteigerung von 2,9%. Pechmann zeigte, dass die Umsatzsteigerung in der stationären Apotheke in erster Linie aus höheren Preisen resultierte, während das Umsatzplus im Versandhandel eher auf höhere Absatzmengen zurückzuführen war.
Könnte eine einzelne Apotheke durch eine Same Day Delivery-App punkten? Eher weniger, so Pechmann, denn, so zeigt es die Marktforschung, die primäre Zielgruppe für SDD sind eher die stationär einkaufenden Kunden. Diejenigen Kunden, die in Versandapotheken einkaufen, sind in der Regel preisbewusster – und hier hat die stationäre Apotheke in der Regel Preisnachteile.
In der Politik ist der Teufel los
Eine erfrischend offene Analyse der aktuellen politischen Lage brachte Hans-Ulrich Jörges, Journalist und Stern-Kolumnist, mit. Nach dem politischen Beben in Thüringen habe es nach dem Krieg noch nie eine so brenzlige Situation in der Innenpolitik gegeben. Alle politischen Parteien hatten gewusst, was passiert, wenn ein FDP-Kandidat sich zur Wahl stellt, so Jörges. FDP-Chef Christian Lindner habe dazu beigetragen, die AfD in Thüringen freizusetzen. Überhaupt, so Jörges, zeige sich in Ostdeutschland ein fließender Übergang von der CDU zur AfD. „Die Koalition ist am Ende, aber noch nicht zu Ende“, formulierte es Jörges, „Annegret Kramp-Karrenbauer ist die Konkursverwalterin ihrer Amtszeit, und die SPD ist instabil.“ Die Trennung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft habe die CDU geschwächt. Hinzu kam ein Machtkampf zwischen Merkel und AKK hinter den Kulissen, AKK wurde für Merkel zur Rivalin, beide sind tief verfeindet: „Merkel saß ihre eigene Nachfolgerin platt“.
Derzeit erleben wir einen Umbruch der Parteiensysteme: Einen extremen Verfall der Zustimmungswerte für Union und SPD, Zuwächse für die Grünen im Westen und für die AfD im Osten. Jörges: „In München Mitte erreichten die Grünen sogar schon 44%, seitdem hängt Söder keine Kruzifixe mehr auf, sondern stellt Bienenkörbe auf.“ Deutschland brauche einen Neuanfang, auch ein Kabinett mit neuen Ministerien, z. B. ein Ministerium für Digitales, ein Ministerium für Migration, aber auch ein Ministerium für die Region, denn die Infrastruktur auf dem Land muss dringend besser werden. Er könne sich vorstellen, so Jörges, dass SPD und Linke zur großen SPD fusionieren. Spätestens noch in diesem Sommer sollte auch der Parteivorsitz und die Kanzlerkandidatur in einer Hand liegen. Neuwahlen kann sich Jörges bereits im Februar 2021 vorstellen, denn: „Ein Parteitag erst im Dezember wäre ein weiterer Schritt in Richtung Weimar.“ Wer als Kanzlerkandidat echte Chancen hat, lässt sich nur schwer vorhersagen. Nach Ansicht von Jörges wäre Laschet ein tatkräftiger Kandidat, der mit den Grünen koalieren könnte; Merz kann er sich als Wirtschaftsminister vorstellen und Spahn als Kandidat für den Fraktionsvorsitz. |
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