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Arzneimittel und Therapie
Dos und Don‘ts bei Leberzirrhose
Welche Arzneimittel bei geschädigter Leber sicher eingesetzt werden können
Die häufigste Ursache für eine Leberzirrhose sind Alkoholmissbrauch, chronische Hepatitis B oder C oder nichtalkoholische Fettlebererkrankungen. Doch auch Autoimmun- oder Stoffwechselkrankheiten sowie Medikamente können die Leber schädigen.
Eine verminderte Funktion der Leber beeinflusst das Schicksal von Arzneimitteln im Körper auf verschiedenste Weise. Zum einen sinkt der hepatische First-Pass-Effekt und die Aktivität einiger Metabolisierungs-Enzyme. Zum anderen kann das verringerte Serum-Albumin zu einer geringeren Proteinbindung führen, und ein vorliegender Aszites (Ansammlung von Flüssigkeit in der Bauchhöhle) kann das Verteilungsvolumen erhöhen. Daher ist bei den betroffenen Patienten verstärkt auf die Auswahl des richtigen Arzneistoffes und die richtige Dosierung zu achten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Nierenfunktion beeinträchtigt wird, gastrointestinale Blutungen auftreten oder eine hepatische Enzephalopathie begünstigt wird. Eine niederländische Arbeitsgruppe hat daher über 200 Arzneimittel und deren Anwendung bei Patienten mit Leberzirrhose unter die Lupe genommen und in verschiedene Sicherheitskategorien eingestuft (s. Kasten „Sicherheitskategorien“). Der Fokus lag dabei auf weit verbreiteten Arzneistoffen und denen, die oft zur Behandlung von Komplikationen bei Leberzirrhosen eingesetzt werden.
Analgetika
Unter den analysierten schwach wirksamen Analgetika wurde nur eine Substanz als sicher eingestuft: Paracetamol. Was überrascht, da bei zu hohen Dosierungen toxische Metabolite wie N-Acetylchinonimin entstehen, die an Proteine der Hepatozyten binden und zu Leberzellnekrosen führen. Die maximale Tagesdosis (vier Gramm bei Erwachsenen) muss folglich auch bei Patienten mit Leberzirrhose beachtet werden. Liegen weitere Risikofaktoren für Hepatotoxizität vor (z. B. Alkoholkonsum), sollte eine Dosis von zwei Gramm pro Tag nicht überschritten werden. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzte (AkdÄ) empfiehlt, auch bei Patienten im Stadium Child-Pugh C (s. Kasten „Child-Pugh-Score“) diese Grenze einzuhalten.
Für den Einsatz von Tramadol bei Leberzirrhose gibt es zwar nur begrenzt Daten, bei angepasster Dosis sind jedoch keine zusätzlichen Risiken bekannt. Dagegen gelten COX-2(Cyclooxygenase 2)-Hemmer und nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) als nicht sicher (Cave Nierenschäden). Codein sollte nur im Stadium Child-Pugh A angewendet werden.
Sicherheitskategorien
- sicher: Sicherheit durch valide Daten belegt
- keine zusätzlichen Risiken bekannt: Daten nur begrenzt vorhanden, jedoch ohne Hinweise auf zusätzliche Risiken
- zusätzliche Risiken bekannt: Daten nur begrenzt vorhanden, zeigen Hinweise auf zusätzliche Risiken bei Leberzirrhose
- nicht sicher: Daten belegen, dass die Anwendung bei Leberzirrhose nicht sicher ist
Opioid-Analgetika können unter engmaschiger Beobachtung und mit langsamem Einschleichen angewendet werden. Bei zu schneller Aufdosierung besteht das Risiko, eine hepatische Enzephalopathie auszulösen. Für die Wirkstoffe Buprenorphin, Morphin und Oxycodon sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Beim Einsatz von Methadon bestehen dagegen zusätzliche Risiken für die Entwicklung eines hepatopulmonalen Syndroms und eine Verlängerung der QT-Zeit.
Antibiotika
Die Antibiotika Amoxicillin, Ciprofloxacin, Ofloxacin, Norfloxacin und Rifaximin werden von der niederländischen Arbeitsgruppe als sicher eingestuft. Auch für Piperacillin, Moxifloxacin, die Makrolide, Sulfamethoxazol, Trimethoprim, Clindamycin und perorales Fosfomycin sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Bei Tigecyclin ist in Stadium Child-Pugh C eine Dosisanpassung erforderlich.
Antidiabetika
Unter den Antidiabetika werden Insulin und Acarbose als sicher betrachtet. Bei SGLT-2(Sodium dependent glucose transporter 2)-Hemmern und Sulfonylharnstoffen – ggf. in angepasster Dosierung – sowie den meisten betrachteten Gliptinen sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Nur Sitagliptin sollte nicht im Stadium Child-Pugh C angewandt werden. Für Metformin wird die Anwendung bei Diabetespatienten mit kompensierter Leberzirrhose explizit empfohlen – vorausgesetzt, es liegen keine Risikofaktoren für eine Laktatazidose vor (Alkoholkonsum oder eingeschränkte Nierenfunktion). Im Stadium Child-Pugh C sollten möglichst sichere Alternativen eingesetzt oder die Metformin-Dosis halbiert werden.
Herz-Kreislauf-Medikamente
Die Betablocker Atenolol, Carvedilol und Propranolol werden als sicher eingestuft. Nichtselektive Betablocker werden bei Leberzirrhose standardmäßig zur Verhinderung der Varizenblutung eingesetzt und sollten außer bei starken Nebenwirkungen oder eingeschränkter Nierenfunktion nicht abgesetzt werden. Für Bisoprolol, Amlodipin, Diltiazem und Nifedipin sind bei entsprechender Dosisanpassung keine zusätzlichen Risiken bekannt. Dagegen gelten Nebivolol und Nitrendipin als nicht sicher bei Leberzirrhose. ACE-Hemmer, Sartane, Lercanidipin und Verapamil sollten nicht im Stadium Child-Pugh C angewendet werden.
Diuretika
Der Einsatz von Furosemid und Spironolacton wird als sicher eingestuft. Für Hydrochlorothiazid und Eplerenon sind keine weiteren Risiken bekannt. Triamteren ist nicht sicher bei Leberzirrhose.
Antithrombotische Mittel
Bei Acetylsalicylsäure (ASS), Dalteparin, Enoxaparin, Nadroparin und Phenprocoumon gibt es keine Hinweise auf zusätzliche Risiken in angepasster Dosierung. Bei Heparin besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko. Clopidogrel gilt als unsicher im Stadium Child-Pugh C. Für Ticagrelor und Prasugrel sind für den Einsatz im Stadium Child-Pugh A bzw. A und B keine weiteren Risiken bekannt.
Child-Pugh-Score
Mithilfe des Child-Pugh-Scores lassen sich Fälle von Leberzirrhose anhand von fünf Kriterien in drei Stadien einteilen (Child-Pugh A bis C). Die Kriterien sind erhöhtes Serum-Bilirubin, verringertes Serum-Albumin, ein höherer INR-Wert (International Normalized Ratio), Aszites und hepatische Enzephalopathie. Patienten im Stadium A haben eine durchschnittliche Einjahresüberlebensrate von 100%. Im Stadium C liegt diese bei nur noch 35%.
Lipidsenker
Gallensäurebinder können bei Patienten mit Leberzirrhose eingesetzt werden: Colestyramin wird als sicher eingestuft, für Colesevelam sind keine zusätzlichen Risiken bekannt. Die Statine Simvastatin, Pravastatin und Rosuvastatin sollten nicht im Stadium Child-Pugh C und in den Stadien A und B nur mit angepasster Dosis eingesetzt werden. Atorvastatin wird in allen Stadien als unsicher bewertet, Ezetimib in den Stadien Child-Pugh B und C. Zu Fenofibrat erlaubt die Datenlage keine Bewertung.
Protonenpumpeninhibitoren
Nur Esomeprazol kann mit reduzierter Dosis in allen drei Stadien der Leberzirrhose eingesetzt werden. Omeprazol gilt in Stadium Child-Pugh C als unsicher, Lansoprazol und Pantoprazol in allen Stadien.
Andere
Weitere als sicher eingestufte Arzneistoffe sind Lactulose, Prednisolon und Prednison. Auch für Metoclopramid, Ranitidin, Macrogol und Bisacodyl gibt es keine Hinweise auf zusätzliche Risiken. Azathioprin hat bei Leberzirrhose ein höheres Risiko für hämatologische Nebenwirkungen. Budesonid wird in allen Stadien als unsicher eingeschätzt, Domperidon nur in Stadium Child-Pugh C. Für Acamprosat und Mycophenolatmofetil kann für das Stadium Child-Pugh C wegen mangelnder Daten keine Einschätzung vorgenommen werden. Für Senna und die Antazida liegen für alle Stadien zu wenig Daten vor.
Fazit
Die veränderte Pharmakokinetik und -dynamik bei Patienten mit Leberzirrhose hat Auswirkungen auf den Einsatz vieler Arzneimittel. 14% der von der niederländischen Arbeitsgruppe untersuchten Wirkstoffe wurden als generell unsicher bei Leberzirrhose eingeschätzt, 26% in bestimmten Stadien. Bei 31% ist eine Dosisanpassung erforderlich. In den Niederlanden wurden diese Empfehlungen in die Verordnungssoftwaresysteme integriert. Ein Teil der Ergebnisse wurde auf Englisch veröffentlicht (www.drugsinlivercirrhosis.org). Weitere Empfehlungen sind auf Niederländisch publiziert. |
Literatur
Stammschulte T et al. Niederländische Empfehlungen zur sicheren Anwendung von Arzneimitteln bei Leberzirrhose. Arzneiverordnung in der Praxis, 27. Januar 2020. www.akdae.de
Child-Pugh-Kriterien. DocCheck Flexikon. https://flexikon.doccheck.com; Abruf am 18. Februar 2020
Geneesmiddelen bij levercirrose (Safe medication use in liver cirrhosis). Health Base Foundation. www.geneesmiddelenbijlevercirrose.nl/zorgverleners; Abruf am 18. Februar 2020
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