Aus den Ländern

„Jeder Patient mit mehr als drei Arzneimitteln hat ein Recht auf AMTS“

Migasa- und Alphanet-Apotheker tagen gemeinsam und fordern, AMTS zu leben

BAD DRIBURG (wes) | Die Mitglieder der Apothekenkooperationen Migasa und Alphanet investieren massiv in ein „360 Grad-Medikationsmanagement“ mit eigener AMTS-Software, Schulungsakademie und vor allem in Zusammenarbeit mit Hausärzten. Finanzieren sollen das Projekt Selektivverträge mit den Krankenkassen. Bei der Vorstellung am 18. Februar 2020 forderten die anwesenden Apotheker ein „Recht auf AMTS“ für jeden Patienten, der mehr als drei Arzneimittel einnimmt.
Foto: Viandar

Voller Saal bei der ersten gemeinsamen Tagung der Kooperationsmitglieder der Viandar GmbH.

Berufsgruppenübergreifend abgestimmte Workflows, eine gemeinsame Plattform und ein gemeinsames Netzwerk für Hausarztpraxen und teilnehmende Apotheken, eine intuitiv zu bedienende und lernende AMTS-Software, die als Medizinprodukt zugelassen ist, Selektivverträge zwischen Apothekern, Hausärzten und Krankenkassen sowie eine Fortbildungsakademie mit Präsenz- und Online-Schulungen – das sind die Bausteine des „Viandar Medikationsmanagements 360°“. Ausgedacht haben sich dieses umfassende Projekt zur Ver­besserung der Arzneimitteltherapie­sicherheit zwei Apothekenkooperationen mit regionalem Schwerpunkt in Nordwestdeutschland: Die rund 200 Apotheken umfassende Migasa und das Alphanet mit rund 40 Mitgliedern. Beide Kooperationen vereinen überdurchschnittlich große Apotheken, von denen sich viele in besonderen Versorgungsformen wie Verblistern, Zytostatikaherstellung oder in der Pflege engagieren.

Foto: Viandar

Im westfälischen Bad Driburg trafen sich die Kooperationsmitglieder der Viandar GmbH.

Für ihr AMTS-Konzept haben sie ein gemeinsames Unternehmen gegründet, die Viandar GmbH, an der sich inzwischen auch der Hausärzteverband Nordrhein beteiligt. Auf einer ersten gemeinsamen Tagung am 18. Februar im westfälischen Bad Driburg wurde das Konzept den Kooperationsmitgliedern im Detail vorgestellt.

Herzstück des „360° Medikationsmanagements“ ist die Viandar-AMTS-Software, die neu entwickelt wird. Diese vom Berliner Arztsoftware-Anbieter DocCirrus programmierte Software verbindet einen strukturierten AMTS-Prozess mit den Arzneimittel- und Wechselwirkungsinformationen aus der „Scholz Datenbank“.

Foto: Viandar

Über das Viandar-AMTS-Konzept diskutierten in Bad Driburg (v. l.): Rainer ­Seiler (solutions Beratung GmbH), Gabriele Regina Overwiening (AK Westfalen-Lippe), Dr. Benjamin Wessinger (Moderation, Deutscher Apotheker Verlag), Dr. Oliver Funken (Hausärzteverband Nordrhein), Ralf König (Health Innovation Hub des BMG).

Polymedikation ist Problem in der hausärztlichen Versorgung

Auf der Veranstaltung erläuterte Dr. Oliver Funken, 1. Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein, warum sein Verband als (Minderheit-)Gesellschafter eingestiegen ist: „Polymedikation ist ein zentrales Problem in der hausärztlichen Versorgung“. Außerdem werde die Zahl der Hausärzte in Nordrhein in den kommenden Jahren massiv sinken, bei gleichzeitigem Anstieg der Patientenzahlen. Der einzige Weg, um ein Ansteigen der Fehler­quote durch die zunehmende Arbeitsverdichtung der Hausärzte zu verhindern, sei die sektoren- und professionsübergreifende Zusammenarbeit.

AMTS aktiv nach vorne treiben

Foto: Viandar

Gabriele Regina Overwiening – hier im Gespräch während der Pause – appellierte an ihre Kollegen, die Patientenzentrierung auch im Berufsalltag zu leben.

Ein flammendes Plädoyer für ein Engagement der Apotheker im AMTS-Bereich hielt Gabriele Regina Overwiening, die Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe: „Jeder Patient – wenn ich ihn denn würdevoll behandeln will – hat ein Recht auf AMTS“, betonte sie. Eine Formulierung, die sich in der später am Tag von den Anwesenden unter großem Beifall verabschiedeten „Bad Driburger Erklärung“ niederschlug. In ihr fordern die beiden Apothekenkooperationen den Gesetzgeber auf, die rechtlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jeder multimorbide Patient in Deutschland das Recht auf eine Medikationsanalyse bekommt. Der Appell richtet sich aber auch an die Apothekerinnen und Apotheker in Deutschland. Diese werden aufgefordert, sich auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapiesicherheit zu engagieren und sie aktiv nach vorne zu treiben.

Die „Bad Driburger Erklärung“ im Wortlaut

„Angesichts von 20.000 UAW-Toten (unerwünschte Arzneimittelwirkung) pro Jahr fordern die Teilnehmer des 1. Viandar-Symposiums am 18. Februar 2020 alle Ärzte und Apotheker auf, AMTS (Arzneimittel-Therapie-Sicherheit) zu leben und aktiv nach vorne zu treiben. Alle multimorbiden Patienten haben ein Recht auf eine Medikationsanalyse. Dazu müssen alle Heilberufler zur Zusammenarbeit bereit sein. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, die rechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und die finanziellen Mittel bereitzustellen.“

Auch Overwiening appellierte an die Apotheker. Sie müssten die im Perspektivpapier „Apotheke 2030“ propagierte Patientenzentrierung auch im Berufsalltag leben. Immer wieder zeigten Studien, wie viele arzneimittelbezogene Probleme die Patienten haben und welchen posi­tiven Einfluss die Apotheke darauf nehmen kann. Dafür sei aber eine Kulturänderung notwendig. „Wir müssen uns von alten Mustern be­freien und mehr Verantwortung übernehmen. Daraus wird eine neue Haltung entstehen“, rief Overwiening den Anwesenden zu. „Dann werden wir das Perspektivpapier gemeinsam zum Fliegen bringen!“ |

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