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Management

Pharmazeutische Dienstleistungen – eine Chance für Apotheken?

Wirtschaftlichkeit und Praktikabilität entscheidend – Frage der Honorierung muss geklärt werden

Für Apotheken ergeben sich immer wieder neue Aufgabenfelder, das wurde besonders durch die Corona-Pandemie deutlich. Eine angemessene Honorierung des zum Teil außergewöhnlichen Einsatzes ist dringend notwendig. Hier ist ein Umdenken erforderlich: Denn wer auf die Expertise von Fachpersonal zurückgreifen möchte, muss auch bereit sein, dafür zu bezahlen.

Bei der Suche nach neuen Konzepten für die Gesundheitsversorgung rückt die stärkere interprofessionelle Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe ebenso wie die Neuordnung ihrer Aufgaben in den Vordergrund. Dabei können sowohl eine Erweiterung der pharmazeutischen Kernkompetenzen als auch eine anerkennende Honorierung der zusätzlichen Leistungen die Vor-Ort-Apotheken stärken. Denn wenn es um die Klärung von Fragen rund um die Arzneimittelversorgung geht, sind Apotheken häufig die erste Anlaufstelle für Patienten.

Doch was für viele Bereiche des täglichen Lebens selbstverständlich ist, nämlich für eine bestimmte Dienstleistung vorab einen Termin auszumachen und sie zu bezahlen, ist vielen Kunden im Zusammenhang mit dem Besuch in einer Apotheke noch fremd. Zu einem Umdenken beitragen könnte hier der mittler­weile in vielen Apotheken angebotene Corona-Schnelltest, der meist mit Termin erfolgt und vor Einführung des Bürgertests direkt bezahlt wurde.

VOASG bringt Anspruch der Versicherten

Das Ende 2020 verabschiedete Vor-Ort-Apotheken-Stärkungs­gesetz (VOASG) ermöglicht einen bundeseinheitlichen Anspruch der Versicherten auf pharmazeutische Dienstleistungen. Die ABDA hat kürzlich ein Grundlagenpapier zu diesen Dienstleistungen, die ab 2022 abgerechnet werden können, erstellt. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband verhandeln derzeit über die Rahmenbedingungen. Aktuell ist noch offen, wer die pharmazeutischen Dienstleistungen initiieren darf.

Laut Definition des neu gefassten Artikels im Sozialgesetzbuch (§ 129 Absatz 5e SGB V) sollen die neuen Dienstleistungen über das normale Maß an Information und Beratung hinausgehen, wozu Apotheken laut § 20 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) ohnehin verpflichtet sind. Insbesondere sollen Apotheken zur „Verbesserung der Sicherheit und Wirksamkeit einer Arzneimitteltherapie“ beitragen und die pharmazeutische Betreuung der Patienten in Gebieten mit geringer Apothekendichte berücksichtigen.

Im Grundlagenpapier der ABDA stehen die folgenden drei Bereiche im Fokus: An erster Stelle sollen die Risiken einer Polymedikation minimiert werden. Es wird eine verbesserte Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) inklusive Medikationsmanagement und -analyse angestrebt. In der zweiten Gruppe von Leistungen soll die mangelnde Therapietreue verbessert werden. So sollen intensivierte Beratungsleistungen bei Neuverordnungen, zu besonderen Therapiesituationen oder bei chronischen und schwerwiegenden Erkrankungen besonders vergütet werden. Beispiele dafür sind Inhalativa gegen Lungenerkrankungen oder Insulinpens für Diabetiker, die oft falsch angewendet werden. Das individuelle Coaching der Patienten soll die Wirksamkeit der Arzneimittel­therapie und damit auch die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittel­versorgung erhöhen. Im dritten Block der Leistungen geht es um Prävention, also die Vorsorge und Früherkennung von Volkskrankheiten wie z. B. Diabetes oder Bluthochdruck.

Medikationsplan soll Compliance fördern

Laut E-Health-Gesetz haben gesetzlich krankenversicherte Patienten, die mindestens drei ver­ordnete Medikamente gleichzeitig einnehmen, seit Oktober 2016 Anspruch auf einen Medikationsplan. Dadurch soll die AMTS erhöht und Medikationsfehler im ambulanten Bereich vermieden werden.

Beim Bundeseinheitlichen Medikationsplan (BMP) in Papierform ist bisher eine Ergänzung durch das pharmazeutische Personal auf Wunsch des Patienten zwar vorgeschrieben, doch eine Honorierung dafür gibt es aktuell nicht. Während der BMP vor allem der Information des Patienten dient, stellt der für dieses Jahr geplante E-Medikationsplan den Leistungserbringern Daten bereit und unterstützt sie dadurch bezüglich der AMTS. Laut einem Leitfaden der Gematik sollen Apotheker zukünftig verpflichtet werden, den E-Medikationsplan nicht nur zu aktualisieren, sondern auf Wunsch des Patienten auch zu erstellen. Die wichtige Rolle der Apotheker wird zwar immer wieder betont, doch eine entsprechende Vergütung für ­diese zusätzliche Leistung ist bis jetzt nicht vorgesehen.

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Wann welches wie einnehmen? Über die Hälfte der arzneimittelbezogenen Krankenhauseinweisungen werden als vermeidbar eingestuft. Hier sind besonders Patienten mit Polymedikation betroffen. Medikationsplan und -analyse als pharmazeutische Dienstleistungen der Apotheke können helfen.

Individuelle Medikationsanalysen

Bei einer Polymedikation im Alter treten häufig Interaktionen auf. Über die Hälfte der arzneimittelbezogenen Krankenhauseinweisungen werden dabei als vermeidbar eingestuft. Apotheken können durch eine individuelle Medikationsanalyse einen entscheidenden Beitrag zur richtigen Medikamenteneinnahme leisten. Im Leistungskatalog der Bundesapothe-kerkammer zu möglichen pharmazeutischen Dienstleistungen ist die Medikationsanalyse 2a bereits fest positioniert. Im Rahmen von ATHINA (Arzneimitteltherapie­sicherheit in Apotheken) untersuchen speziell fortgebildete Apotheker die Gesamtmedikation eines Patienten auf mögliche Interaktionen und überprüfen die Einhaltung des aktuellen Medikationsplanes. Hierbei wird nicht nur ausführlich zur aktuellen Medi­kation beraten, sondern auch die Ge-samtsituation der Patienten analysiert. Eventuell auftretende arzneimittelbezogene Probleme werden so schneller erkannt und Dosierungs- und Anwendungs­fehler vermieden.

Die Durchführung einer ATHINA-Medikationsanalyse ist für die Apotheke sehr zeitaufwendig und deshalb für den Patienten derzeit kostenpflichtig. Eine zukünftige Verordnungsmöglichkeit durch den Arzt und eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen sind für diese wertvolle Leistung der Apotheken unumgänglich. Dass dies gelingen kann, zeigt auch ein Blick in andere Länder. So sind z. B. in der Schweiz, Frankreich, den Niederlanden und dem Ver­einigten Königreich Medikationsanalysen bzw. Medikationsmanagement in Apotheken als Regelangebot implementiert und werden extra honoriert.

Mit dem Ziel, arzneimittelinduzierte Probleme deutlich zu reduzieren, wurde kürzlich das Pilotprojekt „Digitales interprofessionelles Medikationsmanagement“ durch Hausärzte und Apotheken von der GWQ Service Plus AG und dem Hausärzteverband Nordrhein e. V. auf den Weg gebracht. Herzstück bei der Umsetzung ist die neue Medikationsmanagementsoftware Medinspector® der Viandar GmbH auf der Basis von wissenschaftlich fundierten AMTS-Datenbanken. Seit dem 1. Januar 2021 können die Krankenkassen über die GWQ beitreten. Die Versicherten der teilnehmenden Kassen können die Leistung der Medikationsanalyse seit dem 1. April 2021 in der Pilotregion Nordrhein in Anspruch nehmen. Voraussetzung dafür ist die regelmäßige Einnahme von mindestens fünf verschreibungspflichtigen Medikamenten und die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung. Die Apotheken erhalten 59,50 Euro (brutto) für die Medikationsanalyse I, 41,65 Euro (brutto) für die Medikationsanalyse II und 29,75 Euro (brutto) Zuschlag als Adhärenz-Förderung (abrechenbar neben Medikationsanalyse I) für jeden Patienten.

Ein anderes Beispiel für ein bereits gut laufendes und abrechenbares Dienstleistungsprojekt zur Erhöhung der AMTS ist „QT-Life“ des LAV Schleswig-Holstein. Darin betreuen Apotheken gemeinsam mit Ärzten DAK-Ver­sicherte mit bestimmten Arzneimittelverordnungen, die poten­ziell zu einer Verlängerung der QT-Zeit führen können.

Patientenschulungen – auch in der Apotheke möglich?

Bei einigen chronischen Erkrankungen ist eine zeitaufwendigere Beratung zu der verordneten Medikation notwendig. So finden z. B. in der medikamentösen Therapie von Asthma bronchiale und chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) in erster Linie inhalative Arzneizubereitungen ihren Einsatz. Die Anwendung dieser Arzneimittel stellt oftmals eine große Herausforderung für den ­Patienten dar.

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Nicht ohne ist die Anwendung eines Asthmasprays. Asthmaschulungen für Patienten verbessern Therapiequalität und -treue. Bei adäquater Honorierung könnte auch dies eine pharmazeutische Dienstleistung der Apotheke sein.

Derzeit werden Asthmaschulungen von speziell dafür weitergebildeten Ärzten angeboten, die diese Leistungen über die Krankenkassen abrechnen. Eine Qualifizierung für Ärzte, medizinisches Fachpersonal und auch Apotheker ist z. B. über die zweitägige zerti­fizierte Fortbildung „Train-the-Trainer nach NASA“ der Deutschen Atemwegsliga e. V. möglich. Apotheker könnten dabei durch eine intensivierte und strukturierte Beratung u. a. zur richtigen Inhalationstechnik einen wertvollen Beitrag zur Therapietreue leisten, der zukünftig ebenfalls honoriert werden sollte.

Auch für Diabetespatienten bieten sich spezielle Schulungen in Apotheken an. In einem ausführlichen Beratungsgespräch können hilf­reiche Informationen zu gängigen Blutzuckermessgeräten, Injektionshilfen und Insulinpräparaten gegeben sowie Hinweise zur Ernährung und zur Fußpflege vermittelt werden. Die „Kommission Apotheker in der Diabetologie (BAK/DDG)“ setzt sich für die zwischen Ärzten und Apothekern abgestimmte stärkere Einbindung der Apotheker in die Diabetikerversorgung ein. Die Landesapothekerkammern führen in Zusammenarbeit mit den Regionalgesellschaften der Deutschen Diabetes Gesellschaft e. V. (DDG) zertifi­zierte Kurse für Apotheker durch. Eine umfangreiche Diabetesbetreuung durch besonders qualifizierte Apotheker kann von keinem Arzneimittelversender getoppt werden – denn Kompetenz ist die beste Werbung. Um eine wirkungsvolle Therapieunterstützung zu gewährleisten, könnten zukünftig individuelle Patientenschulungen bei erstmaliger Anwendung/Neudiagnose empfohlen werden. Eine festgelegte Honorierung durch die Krankenkassen würde die pharmazeutische Kompetenz in diesem Bereich hervorheben. Schließlich sparen die Kassen durch ein besseres Selbstmanagement der Diabetiker einiges an Kosten.

Zukunftsthema Prävention

Eine gezielte Prävention kann Krankheiten vorbeugen, verhindern oder verzögern und trägt somit dazu bei, die Ausgaben im Gesundheitswesen langfristig zu senken. Folgende zwei Faktoren machen Prävention zu einem wichtigen Zukunftsthema: zum einen der aktuelle Gesundheits- und Wellnesstrend in der Gesellschaft und zum anderen das Interesse von Politik und Krankenkassen, mittels Prävention Geld zu sparen. Für Apotheken liegt hier eine Chance, sich zu profilieren und am wachsenden Präventionsmarkt teilzuhaben. Denn in Sachen Prävention bieten Apotheken durch ihre professionelle Beratung deutlich mehr als Drogeriemärkte oder Wellnesszeitschriften. Apothekenmitarbeiter können das Gesundheitsinteresse der Kunden wecken und gezielte Aktionen zu vielfältigen Präventionsthemen oder Gesundheits-Check-ups anbieten, je nachdem, was zur Apotheke und dem Umfeld passt. Ob zu Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zur Hautgesundheit oder zur Gewichtsreduktion – umfassende Beratungsangebote zum Thema Prävention sollten als pharmazeutische Dienstleistungen anerkannt und entsprechend von den Krankenkassen honoriert werden. Denn: „Vorbeugen ist besser als heilen“, so lautete schon im 18. Jahrhundert die Devise des Arztes Christoph Wilhelm Hufeland.

Egal, um welche Angebote es sich handelt: Apotheker werden durch die erweiterten Dienstleistungen auch zukünftig ein unverzicht­barer Teil des Gesundheitssystems bleiben und – nicht nur durch den flexiblen Einsatz in der Corona-Pandemie – eine erhöhte Anerkennung und Wertschätzung erfahren. Die vielseitigen Kompetenzen gilt es dabei fair zu honorieren – und das möglichst unabhängig vom Arzneimittelpreis oder der Packungsabgabe. |

Apothekerin Dr. Irina Treede, Heidelberg

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