Gesundheitspolitik

Der Apotheken-Ökonom: Totgesagte leben länger

Prof. Dr. Andreas Kaapke 

Die Bundestagswahl war der erwartete Paukenschlag, und all diejenigen, die den Umfragen nicht Glauben schenken wollten, sehen sich jetzt einer neuen Parteien-Arithmetik gegenüber. Groß ist relativ, die Mitte breit, die Ränder ausgefranst. Welche Opfer dies in den nächsten Wochen noch einfordert, deutete sich schon wenige Stunden nach dem amtlichen Wahlergebnis an. Manche haben bereits selbstbestimmt reagiert und sind zurückgetreten, andere werden wohl getragen werden müssen und wieder andere haben noch nicht erkannt, dass es für sie nicht nur eng wird, sondern ggf. schon vorbei ist. Da von den zuvor gehandelten denkbaren Regierungskonstellationen faktisch nur noch zwei infrage kommen – die rot-rot-grüne Variante hat nicht die notwendige Mehrheit, für Rot-Schwarz fehlt allen die dafür notwendige Fantasie – bleiben nur die Ampel-Koalition und Jamaika. Die AfD (Alternative für Deutschland) scheint nach wie vor keine Alternative zu sein. Es raubt einem den Atem, wenn man – zwar irgendwie logisch, aber dennoch bemerkenswert – sieht, dass ob des Wahlausgangs zunächst die beiden kleineren Parteien eines Dreierbündnisses sondieren, ob es passen könnte und mit wem der beiden Größeren es wohl eher gelingen wird. SPD und CDU/CSU sind gezwungen, diesem Treiben bei­zuwohnen, ohne es nennenswert beeinflussen zu können. Man kann nur hoffen, dass sich die Beteiligten ihrer jeweiligen Rolle gewahr sind, auch 2017 gab es nach der Wahl ein nicht enden wollendes Spektakel, welches die Bevölkerung nachhaltig abschreckte. Nun soll alles anders werden.

Die totgesagte SPD ist fürwahr nicht ob ihrer Stärke auf Platz 1, denn im Vergleich zum Frühjahr, wo sie noch deutlich weniger Zuspruch bekam, hat sie sich weder programmatisch noch personell erneuert. Es ist dem schlechter als erwarteten Abschneiden der Grünen und der nicht nachvollziehbar schlingernden Union sowie ihren jeweiligen Schwächen zu verdanken, dass im Vergleich die Alternative SPD mit Scholz besser aussah als gedacht. Wir haben nun also auch in Deutschland die Situation, dass den Volksparteien das Volk abhandengekommen ist, dem CDU-Parteivorsitzenden ganz offensichtlich auch noch die Partei und – ein positives Signal – den Wahlen nicht die Wähler. Durch die stabile Wahlbeteiligung ist die Gruppe der Nicht-Wähler nicht größer als die stärkste Fraktion. Gott sei Dank!

Wer den Wahlabend verfolgt hat, war aber verwundert, wie wenig Energie bei den Befragten darauf verwendet wurde, wie Corona zu bewältigen ist, vielmehr wurden Themen wie Klimaschutz oder soziale Gerechtigkeit in den Fokus gerückt. Das Thema Gesundheit wurde dann gestreift, wenn es um Zukunftsinvestitionen ging – wie in die Infrastruktur von Krankenhäusern zum Beispiel.

Karl Lauterbach hat ein in dieser Höhe nicht erwartetes Erststimmenergebnis eingefahren, womit er wieder Mitglied des Bundestags sein wird. Sollte die SPD in der Regierung sein und bei der Ver­teilung der Ministerien auf das Gesundheitsministerium schielen, wäre Lauterbach eine Option, denn sein Wahlerfolg hat – ob zu Recht oder nicht – wohl auch mit seiner Omnipräsenz in der Pandemie zu tun. Bei der Union gibt es aller Voraussicht nach nicht allzu viele Posten zu verteilen, die Anzahl an Ministerien, so die Jamaika-Koalition kommen sollte, wird nicht allzu üppig ausfallen und muss auch noch zwischen CDU und CSU aufgeteilt werden. Da Laschet den Ministerpräsidentenposten in NRW auf jeden Fall aufgeben wird, stellt sich, wenn er nicht Kanzler werden sollte, die Frage, ob er jemand anderem den Frak­tionsvorsitz überlässt bzw. ob er überhaupt gefragt wird. Temporär hat er nicht zugegriffen, was nicht wenige als weiteres Indiz für Schwäche ansehen.

Auch Jens Spahn hat seinen Wahlkreis als Erststimmengewinner geholt, ihm wurden Fraktionsvorsitz-Ambitionen unterstellt, ob er noch als Gesundheitsminister in Jamaika zur Verfügung stünde oder aber ein aus seiner Sicht lukrativeres Amt anstrebt, bleibt abzuwarten. Es kommen ja auch Grünen- oder FDP-Minister infrage. Spannend daran wird die Ausrichtung der Gesundheitspolitik der neuen Koalition. SPD und Grüne sind für eine Bürgerversicherung, die FDP und die CDU/CSU sicher nicht. Wieder einmal wird sich entscheiden, ob es zu einer anderen Gesundheitspolitik kommt, ob beim Thema Gesundheit Kampf­linien gezogen werden oder man dies in erster Linie der Partei überlässt, die das Ministerium übernimmt. Und schließlich wird man beobachten müssen, ob der politische Wille, die neue Regierung noch in diesem Jahr zu ver­eidigen, tatsächlich Gestalt annimmt.

Die nächsten Wochen werden diesbezüglich mehr als anregend, vielleicht sogar aufregend. Bis dahin wird die alte Bundesregierung unter Angela Merkel nichts Bahnbrechendes mehr auf den Weg bringen, aber auch nichts Wesentliches versäumen. Nach dem desaströsen Ergebnis der Union wird man ihr früher oder später den Vorwurf entgegenbringen, durch einen frühzeitigen Verzicht auf das Amt der Kanzlerin nicht schon während der Legislaturperiode den Weg frei gemacht zu haben für einen Nachfolger. Wir erinnern uns dabei aber daran, dass dann die wenig geschickt agierende Annegret Kramp-Karrenbauer zur Bundeskanzlerin gewählt worden wäre – ob das die Lage der Union verbessert hätte, ist in der Retrospektive mehr als fraglich. Und dass ein solches Szenario voraussetzt, dass die Beteiligten mitmachen, nämlich der Koalitionspartner SPD, der diese Mechanismen auch kennt und die Koalition vermutlich eher hätte platzen lassen, um nicht als Steigbügel­halter zu fungieren.

Und sonst: Die Linken haben sich über die Sonderregelung zu Direktmandaten gerade noch ins Parlament gerettet, die AfD hat ein mäßiges Ergebnis, zeigt sich davon aber selbst beeindruckt, Laschet droht das identische Schicksal wie Kramp-Karrenbauer in der eigenen Partei oder wie Gabriel, Schulz und Nahles bei der SPD. Wer nicht den Erfolg bringt, wird nicht mehr gebraucht. Annalena Baerbock wird schon in den ersten Tagen nach der Wahl relativiert. Aber die Wahl lehrt uns auch: ­Totgesagte leben länger. Man darf weder Parteien noch Personen zu früh abschreiben. Die SPD hat es vorgemacht. |

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte. E-Mail: a.kaapke@kaapke-projekte.de

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