Foto: fotogestoeber/AdobeStock

Management

Die Kundenreklamation als Kompliment

Szenen eines merk-würdigen Tages

Wie häufig hatten Sie schon mit Kundenreklamationen zu tun? Wie oft haben Sie bei sich gedacht, dass diese Beschwerde nicht gerechtfertigt oder überflüssig ist? Und, Hand aufs Herz, hat diese Situation nicht auch manchmal Ihre Geduldsnerven ganz arg strapaziert? Ein kleiner Trost: Sie sind nicht allein. Begleiten Sie einen Teil des Teams der Apotheke Reklamiernix durch einen merk-würdigen Tag und verfolgen die dortige Entwicklung in Bezug auf die Bewertung von Kundenrekla­mationen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass alle Darsteller frei erfunden sind und Ähnlichkeiten mit Personen, die Sie kennen, nicht ausgeschlossen werden können und doch rein zufälliger Natur sind!

Mittwoch, 10.30 Uhr, HV: Frau Un-Gehalten

Auf Frau Un-Gehalten bewegt sich ein grimmig blickender Herr zu. In seiner Hand die Verpackung eines Nasensprays. „Oha“, denkt sich Frau Un-Gehalten. Und so kommt es auch. „Das Nasenspray funktioniert nicht.“ So die Aussage, mit der das Gespräch beginnt. Dieser Reklamation auf den Grund zu ­gehen, ist somit klarer Arbeits­auftrag. Den Umständen entsprechend, bittet Frau Un-Gehalten den Kunden zu schildern, was genau am Nasenspray nicht funktioniert. „Es sprüht nicht“, kurz, knapp und misslaunig die Antwort des Gegenübers. Auf die Bitte, das Spray auszupacken und den Vorgang einmal zu demonstrieren, folgt eine umständliche Auspackaktion, die Frau Un-Gehalten an den Rand ihrer auf die Probe gestellten Geduld bringt. Das Spray in der Hand, den Sprühstoß auslösend, funktioniert das Spray tatsächlich nicht. Schnaubend und die Augen nicht nur innerlich verdrehend kommentiert sie: „Die Verschlusskappe müssen Sie schon abnehmen. Ist doch klar, dass das sonst nicht funktionieren kann!“ Ihr Gegenüber läuft tiefrot an und stammelt in dem Bemühen, unsichtbar zu werden: „Ist das peinlich. Oh mein Gott.“ Erst da wird sich Frau Un-Gehalten bewusst, wie völlig unangebracht ihre spontane Reaktion gewesen ist, komplett unprofessionell und nicht offen, empathisch und so hilfreich, wie in den zahlreichen Trainings bereits geübt. Ihre eigenen Emotionen haben ihr offensichtlich einen Strich durch die erlernten Fähigkeiten gemacht. Wie konnte das bloß passieren, schimpft sie innerlich mit sich selbst. „Ach wissen Sie“, versucht sie die Lage noch zu retten, „hätte mir auch passieren können.“ Ihr Kunde jedoch hat sich schon umgedreht und sucht eilig das Weite. Was nun wieder Frau Un-Gehalten sehr unangenehm ist – auch da Herr Re-Flektiert sie mit hochgezogenen Augenbrauen erstaunt anschaut.

Foto: Ivan/AdobeStock

Frau Char-Mant (s. Text) löst so manche Reklamation ganz friedlich. Wie schafft man das?

Mittwoch, 11.45 Uhr, HV: Frau Char-Mant

Frau Direkt kommt, ihrem Namen alle Ehre machend, eiligen Schrittes auf Frau Char-Mant zu, knallt die Packung Metoprolol ihrer Mutter auf den HV und erklärt laut und deutlich: „Ich will diese Packung reklamieren.“ Frau Char-Mant, völlig überrumpelt, hält kurz die Luft an, zählt innerlich (gefühlt) bis 100 und schaut den Kopf hebend lösungsorientiert von der Packung auf ihre erboste Kundin: „Frau Direkt. Was ist passiert?“ „Sie wissen doch, dass das nicht die Packung wie sonst ist. Meine Mutter braucht immer das Gleiche. Wie oft wollen wir das noch diskutieren? Das ist eine Unverschämtheit. Und dabei ist meine Mutter eine der besten Kundinnen hier.“ Frau Direkt schaut sich nach Zustimmung heischend im HV um und holt erst jetzt wieder Luft. Frau Char-Mant versteht, dass es sich hier um ein großes Problem handelt, bleibt ruhig, freundlich und dennoch bestimmt. Nach fünf Minuten ist das vermeintliche Riesenthema vom Tisch und Frau Direkt hat ihre Mitte wiedergefunden. Dankbar schaut sie Frau Char-Mant an, die ihr und ihrer Mutter die Kontaktdaten der Apotheke aufgeschrieben hat für den Fall, dass das Meto­prolol trotz neuer Verpackung (!) nicht wirken sollte, und bietet an, sich in diesem Falle auch mit dem Arzt in Verbindung zu setzen. Gemeinsam mit Frau Direkt überlegt sie weitergehend, ob ein grundsätzlicher Check im Sinne der Arzneimitteltherapiesicherheit sinnvoll sein kann. Frau Direkt ist begeistert und verlässt die Apotheke in dem Bewusstsein, dass sie gerade in den Genuss einer ganz außergewöhnlichen Beratung gekommen ist.

Mittwoch, 13.30 Uhr, Pausenraum, Mittagspause

„Was für ein merk-würdiger Vormittag!“ Frau Un-Gehalten ist gedanklich und emotional immer noch bei ihrem Nasenspray-Kunden, während Frau Char-Mant ganz ungerührt ihren Joghurt löffelt. „Hat dich die Reklamation von Frau Direkt denn gar nicht aufgeregt?“, wird sie von ihrer emotional aufgewühlten Kollegin gefragt. „Ach“, antwortet sie, „für Frau ­Direkt war das ein riesen­großes Problem. Für mich nicht. Ich bin ruhig geblieben und habe mir überlegt, was sie und ihre Mutter jetzt von uns brauchen, damit sie wieder zufrieden und, besser noch, begeistert von uns sind. Dann war es in der Umsetzung simpel.“ Frau Un-Gehalten schüttelt den Kopf. „Aber das ist doch nicht richtig. Ich meine, wir können doch nichts dafür. Wieso sollten wir uns mit diesen blöden Reklamationen und teils unsinnigen Beschwerden befassen?“

Nun schaltet sich Herr Re-Flektiert, der es sich ebenfalls mit einem Kaffee im Pausenraum bequem gemacht hat, ein. „Ich kann dich gut verstehen. Und es gibt dennoch einen anderen Aspekt. Der ist mir erst kürzlich bewusst geworden, als meine Freundin erzählte, was sie erlebt hat.“ Nun schildert Herr Re-Flektiert ausführlich, dass die Freundin den Buchladen vor Ort unterstützen und einen Gutschein sowie zwei Bücher kaufen wollte – statt alles über das Internet zu bestellen. Als sie darum bat, die Bücher als Geschenk einzupacken, wurde ihr das unter vorgeschobenen Gründen verweigert – die Verkäuferin war an einer guten Serviceleistung völlig uninteressiert, gelangweilt und komplett kundenunfreundlich. Die sehr verärgerte Freundin verfasste daraufhin eine Beschwerde per E-Mail, in der sie ihrem Bemühen, den Handel vor Ort zu stärken, und dem Unverständnis darüber, dass dieser genau das nicht anerkennt, Ausdruck verlieh.

Den eigenen Zustand zu managen, ist mit das Schwierigste überhaupt. Gerade, wenn wir vom Typ her dazu tendieren, sehr emotional zu reagieren.

„Die Antwortmail war fantastisch: wertschätzend, sich über das Feedback bedankend und sich darüber im Klaren, dass nur wenige Kunden sich die Mühe machen, trotz der erlittenen Enttäuschung dem Serviceunternehmen eine zweite Chance zu bieten“, schildert Herr Re-Flektiert. „Und das können wir doch eins zu eins auf uns über­tragen, oder nicht? Wir sind ein Dienstleistungsunternehmen und auch wir sind auf das Feedback unserer Kunden und Patienten angewiesen, um uns stets zu verbessern. Diejenigen, die tatsächlich mit Beschwerden kommen, denen sind wir wichtig. Sie investieren ihre Zeit und Energie. Wer weiß, wie viele einfach wegbleiben und nichts sagen. Wenn sie dann persönlich zu uns kommen, dann stehen sie uns bei Reklamationen direkt gegenüber. Das bedeutet einerseits, dass wir ihre geballte Energie ‚abbekommen‘. Andererseits liegt darin auch wieder die Riesenchance uns als ‚Ihre Apotheke‘ zu positionieren.“

Voraussetzung sei aber, so Herr Re-flektiert, dass man in der Lage sei, neutral mit den Situationen umzugehen. Diese Fähigkeit habe das Team in den Trainings erworben, daran scheitere es nicht. „Ich hatte eher den Eindruck, dass die eigene Stimmungslage einen entscheidenden Einfluss auf die Situation heute Morgen gehabt hat.“ Herr Re-Flektiert schaut Frau Un-Gehalten kollegial mitfühlend an. „Den eigenen Zustand (State) zu managen, ist mit das Schwierigste überhaupt. Gerade, wenn wir vom Typ her dazu tendieren, sehr emotional zu reagieren. Und wie wir mittlerweile wissen, läuft das zu allem Überfluss zu neunzig Prozent unbewusst ab. So fällt es dem einen halt leichter als dem anderen, in diesen Krisenmomenten ausgeglichen und neutral zu sein. Und da hilft nur, sich ganz bewusst mit der eigenen Stimmungslage auseinanderzusetzen.“ Frau Un-Gehalten fühlt sich besser. Sie erkennt, dass Herr Re-Flektiert die Situation auf der Sachebene analysiert und die vergangene missliche Situation dazu nutzen möchte, für die Zukunft eine erweiterte Lernmöglichkeit zu schaffen.

Mittwoch, 13.40 Uhr, Mittagspause: Die Lernchance

„Was wäre, wenn das, was du heute Morgen erlebt hast, also das Beste ist, was jemals passieren konnte?“ Herr Re-Flektiert stellt diese Frage seiner Kollegin Frau Un-Gehalten. „Was wäre, wenn Reklamationen ab sofort stets ein riesiges Geschenk sind?“ Und weiter: „Was haltet Ihr unabhängig davon, von Zeit zu Zeit eine Art ‚emotionalen Check‘ vor dem Gang in den HV durchzuführen? So finden wir gemeinsam heraus, wann kritische Zeiten sind, in denen wir uns gegenseitig noch mehr unterstützen können!“

Mittwoch, 13.42 Uhr, Mittagspause: Die Umsetzung

Frau Char-Mant horcht auf. „Emotionaler Check? – Das klingt interessant. Wie funktioniert das?“ Herr Re-Flektiert zieht einen Zettel aus seiner Kitteltasche und faltet ihn auseinander. „Auch das verdanke ich meiner Freundin. Schaut mal. Ganz links stehen viele verschiedene Emotionen: wütend, frustriert, traurig, missgelaunt, froh, glücklich, dankbar, hoffnungsvoll, usw. – Ich habe notiert, was mir an Emotionen so eingefallen ist. Und daran schließen sich in jeder Zeile drei Kästchen für morgens, mittags und abends an. Die drei Zeitpunkte, zu denen zu Übungszwecken erst einmal die eigenen Emotionen überprüft werden sollen. Das geht auch ohne Kreuz und zwischendurch. Ich kann den Zettel für jeden einmal kopieren und zusätzlich können wir ihn im Durchgang aufhängen.“ „Versuchen können wir es“, nickt Frau Char-Mant zustimmend. Frau Un-Gehalten hakt nach: „Und wenn nun die Emotion eine nicht so schöne ist? Was dann?“ „Gute Frage“, kommentiert Herr Re-Flektiert, „damit fängt die emotionale Meisterschaft an. Es heißt, diese Emotion bewusst anzunehmen und bestmöglich mit ihr umzugehen. Und hier schließt sich der Kreis zum Beschwerdemana­gement. Genauso verfahren wir, wie wir gelernt haben, auch mit der Kundenreklamation. Eins dürfen wir uns ergänzend bewusst machen: Weder Emotionen noch Beschwerdemanagement belasten uns dauerhaft, sie kommen und sie gehen. Und wir machen das Beste daraus – für uns und ganz besonders für unseren Kunden!“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein entspanntes Kommen und Gehen von Emotionen und Reklamationen! |

Monika Raulf, Apothekerin und zertifizierter Coach, www.co-pha.com

Buchtipp

Monika Raulf

Pharmazeutisches Coaching – 
Ein „Mehr“ an Möglich­keiten

XIV, 203 S., 78 farb. Abb., 3 farb. Tab., 23 Arbeitsblätter, Download Musterformulare auf www.Online-PlusBase.de, 17,0 × 24,0 cm, kartoniert
2019
Deutscher Apotheker Verlag
ISBN 978-3-7692-7437-0

Schnell und einfach bestellen:
Deutscher Apotheker Verlag, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart, 
Tel. 0711 2582-353, Fax 0711 2582-290, service@deutscher-apotheker-verlag.de
www.deutscher-apotheker-verlag.de

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.