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Kongresse
Steiniger Weg zu pflanzlichen Innovationen
3. Phyto Info Tag des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller
Nach den Ausführungen von Dr. Bernd Roether, Experte für regulatorische Fragen bei einem forschenden mittelständischen deutschen Hersteller pflanzlicher Arzneimittel mit Sitz in Neumarkt in der Oberpfalz, entfallen in Europa 80% des Marktes für pflanzliche Produkte auf die fünf Länder Deutschland (27%), Italien (19%) Frankreich (16%), Russland (10%) und Polen (8%). Damit sind jedoch nicht nur Arzneimittel, sondern auch Nahrungsergänzungsmittel, Medizinprodukte und Kosmetika gemeint. Laut Roether nimmt der Anteil der unregistrierten Nicht-Arzneimittel-Kategorien zu, während der Arzneimittel-Anteil schrumpft. „Ein großer Teil des Business spielt sich zunehmend fernab des Arzneimittelmarktes in deutlich weniger regulierten Bereichen ab“, stellte Roether fest.
Sprung-Innovationen und „quasi-neue“ Innovationen
Innovationen bei pflanzlichen Arzneimitteln hält er durchaus für möglich, jedoch sind diese bislang rar gesät. So gibt es bis jetzt erst drei Sprung-Innovationen, sprich vollgültige Zulassungen aus europäischen Verfahren mit neuen Wirkstoffen (s. Tab.).
Jahr der Zulassung Verfahren | Arzneimittel | Wirkstoff | Indikation | Firma |
---|---|---|---|---|
2009 DCP | Veregen 10% Salbe | auf Sincatechine quantifizierter Grüntee-Extrakt | Behandlung von Feigwarzen | Aresus Pharma GmbH |
2016 CP | Episalvan | auf Betulin quantifizierter Extrakt (72 – 80% w/w) | Behandlung von Hautwunden | Birken AG |
2018 DCP | Sativex | auf THC/CBD standardisierter Cannabis-Extrakt | Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose | GW Pharma |
DCP: dezentrales Verfahren, CP: zentrales Verfahren |
Als Beispiele für „quasi-neue Innovationen“ führte er daneben die Präparate Sinupret extract zur Behandlung der akuten, unkomplizierten Rhinosinusitis und Lasea gegen Unruhezustände bei ängstlicher Verstimmung an, die ebenfalls europäische Verfahren (DCP bzw. Anerkennungsverfahren/MRP) in zahlreichen Ländern durchlaufen haben. In diesem Bereich siedelt der Phyto-Experte auch die Mixturen aus der traditionellen chinesischen Medizin an, die mittlerweile über Registrierungen als traditionelle pflanzliche Arzneimittel ebenfalls Einzug in den europäischen Arzneischatz gefunden haben, wie etwa Sigesbeckia orientalis herba (Xi Xiao Cao) (registriert in den UK seit 18.02.2015 als „Phynova Joint and Muscle Relief tablets“ oder „YamatoGast“ (registriert in DE seit 17.06.2018).
Kein Spielraum für kostenintensive Neuentwicklungen
Als Gründe dafür, dass kostenintensive Innovationen im Bereich der Phytopharmaka so schwer umzusetzen sind, führte Roether beispielhaft den steigenden Aufwand für die Aufrechterhaltung der Verkehrsgenehmigungen sowie stetig wachsende Analysekosten und GMP-Anforderungen an. Die HMPC-Monographien, die den Markt eigentlich konsolidieren und fördern sollten, spielen für Innovationen bei pflanzlichen Arzneimitteln seiner Meinung nach eine zwiespältige Rolle. Zwar erleichterten sie einerseits bibliografische Zulassungen und Registrierungen und ermöglichten den Zugang zum EU-Markt. Andererseits werden dadurch jedoch präklinische und klinische Daten mit bekannten Wirkstoffen unmittelbar solidarisiert. Das Ergebnis sind laut Roether „lediglich Me-Too-Entwicklungen“. Die mangelnde Attraktivität der Monographien für die Industrie belegte er mit Zahlen zu den europäischen dezentralen (DCP) und Anerkennungsverfahren (MRP). In den letzten zwei Jahren wurde tatsächlich nur ein Viertel der vorhandenen HMPC-Monographien (36 von 162) dafür genutzt.
Angesichts dieser zahlreichen Hemmnisse sei die Flucht nach vorne in Innovationen nur für wenige Unternehmen in der Phytobranche tatsächlich umsetzbar, resümierte Roether. Er reklamiert angesichts dessen mehr Augenmaß bei behördlichen Anforderungen, eine Ursachenanalyse wegen der schleppenden Nutzung der HMPC-Monographien sowie endlich eine Regulierung, mit der Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika und stoffliche Medizinprodukte mit pflanzlichen Inhaltsstoffen im Sinne des Verbraucherschutzes klar von Phytopharmaka abgegrenzt werden können.
Hängepartie bei den Health Claims für Botanicals
Hier liegt auch nach den Ausführungen der anderen Referenten beim 3. Phyto Info Tag des BAH ein großes Problem. Bereits seit dem Jahr 2010 ist die Beurteilung der gesundheitsbezogenen Angaben für pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel (Botanicals) ausgesetzt und diese dürfen aufgrund der Übergangsregelung weiter verwendet werden. Misslich für die Phyto-Hersteller ist, dass die Health Claims in der Regel auf eine Arzneipflanzen-Monographie (HMPC, ESCOP, Kommission E) zurückgehen, ohne im Einzelnen klinisch individuell belegt zu sein, für Roether eine eklatante Irreführung der Patienten und Verbraucher. „Auch wir sind mit dieser Situation nicht glücklich“, bekannte Dr. Evelyn Breitweg-Lehmann, Leiterin des Referats Grundsatzangelegenheiten und Lebensmittel beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Bislang gebe es keine speziellen Regelungen für die Verwendung von Pflanzen(teilen) in Lebensmitteln bzw. Nahrungsergänzungsmitteln, mit Ausnahme eines Rechtsrahmens für eine Negativliste. Dies führe zu einer zeitaufwendigen Einzelfall-Klassifizierung.
Verhärtete Fronten
Breitweg-Lehmann legte dar, wie auf verschiedenen Ebenen versucht wird, hier Abhilfe zu schaffen. In Deutschland geben der Bund und die Bundesländer in Zusammenarbeit mit Experten aus der Schweiz und Österreich nicht rechtsverbindliche Stofflisten mit einer Einstufung von 870 Pflanzen(-teilen) und 280 Pilzen (neu) als Lebensmittel, Novel Food oder Arzneimittel heraus, die 2020 in der 2. Auflage erschienen sind. Auf EU-Ebene wurde vor etwa zwei Jahren die Arbeitsgruppe Nahrungsergänzungsmittel der Leiter der Zulassungsbehörden der Mitgliedstaaten (Heads of Agencies, HoA) ins Leben gerufen. Sie soll einen gemeinsamen Ansatz für das Management und die Einstufung von „anderen Stoffen“ finden, die in oder als Nahrungsergänzungsmittel verwendet werden. Die Maxime ist laut Breitweg-Lehmann die Suche nach Gemeinsamkeiten, nicht nach Unterschieden in der Einstufung. Zum zukünftigen Umgang mit Health Claims für pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel ist ihrer Einschätzung nach in der EU nach wie vor keine Lösung ist Sicht. Hier stünden sich im Wesentlichen zwei große Lager mit unterschiedlichen Ansichten gegenüber, und es sei aktuell nicht erkennbar, dass diese aufeinander zugehen würden. |
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