Die Seite 3

Vollbremsung

Foto: DAZ/Alex Schelbert

Dr. Armin Edalat, Chefredakteur der DAZ

Das Licht am Ende des Pandemie-Tunnels ist seit Anfang dieser Woche wieder deutlich in die Ferne gerückt. Der Grund: Die Bundesregierung setzt die COVID-19-Schutzimpfung von AstraZeneca vorübergehend aus. Zulassungsbehörden registrierten das Auftreten von sehr seltenen Hirnvenenthrombosen, sogenannten Sinusvenenthrombosen, und prüfen derzeit, inwiefern diese in einem kausalen Zusammenhang mit der Impfung stehen. Um es direkt klar zu formulieren: Es handelt sich um sehr spezielle thromboembolische Ereignisse, die normalerweise etwa drei- bis fünfmal pro eine Million Menschen pro Jahr auftreten. In Deutschland sind unter den mit dem AstraZeneca-Impfstoff geimpften 1,6 Millionen Personen bisher sieben Fälle bekannt geworden, von denen drei tödlich verliefen. Diese „auffällige Häufung“ führte zu der Empfehlung des Paul-Ehrlich-Instituts, die Impfungen mit dem Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers vorübergehend auszusetzen. Wie lange dieser Stopp dauern wird und unter welchen Voraussetzungen das Präparat wieder zum Einsatz kommen soll, wurde bis zum Redaktionsschluss dieser DAZ nicht bekannt gegeben.

Das ist auch erst mal zweitrangig. Denn fest steht, dass dieser Schritt im Sinne der Arzneimittelsicherheit zwar notwendig erscheint, jedoch das Vertrauen der Bevölkerung in die Corona-Impfungen erschüttert hat – und das ganz gleich, ob bei der deutlichen Mehrheit an Impfwilligen oder eben bei den Kritikern und Gegnern der Impfungen. Diese werden sich in ihren Verunsicherungen bis Ängsten nun noch mehr bestätigt fühlen.

Keine Frage, die aufgetretenen Fälle müssen untersucht werden, und womöglich zeigt sich auch tatsächlich ein Zusammenhang zwischen individueller Prädisposition und der vektorbasierten AstraZeneca-Vakzine. Doch ob dafür die Aussetzung verhältnismäßig war, geschweige denn nachfolgend die Zulassung infrage gestellt werden darf, bleibt zweifelhaft und ist unter Experten zu Recht höchst umstritten.

Die ohnehin nur schleppend verlaufende Impfkampagne hat einen herben Rückschlag erlitten. Einerseits fehlt es derzeit noch an ausreichend Alternativen, um einen Anbieter mal eben so von der Liste zu streichen und umzuschwenken. Außerdem scheint für Risikogruppen ein Pausieren und Hinauszögern nach jetzigem Wissensstand immer noch viel gefährlicher zu sein als der Einsatz dieses Impfstoffes. Gerade im Hinblick auf die wieder ansteigenden Infektionszahlen werden also unzählige Menschenleben aktuell aufs Spiel gesetzt, weil Impftermine ausfallen und sich Corona-Varianten weiter verbreiten.

Andererseits offenbart sich wieder einmal, wie katastrophal die öffentliche Kommunikation über Nutzen und Risiken von Therapien sowie Prophylaxen ist. Mögen Sinusvenenthrombosen eine sehr spezielle und seltene Komplikation im Zusammenhang mit bestimmten Corona-Impfstoffen sein, deren Auftreten es durch Ausschluss bestimmter Personenkreise zukünftig zu verhindern gilt. Davon unberührt bleibt allerdings das vergleichsweise hohe Risiko von bis zu 40 Prozent für zum Teil tödlich verlaufende Thromboembolien unter COVID-19.

Man könnte es jetzt salopp formulieren: Offenbar bewerten die politischen Entscheider mögliche Impfkomplikationen als dramatischer im Vergleich zum deutlich höheren Sterberisiko von COVID-19-Patienten. Doch dann ließe sich auch die Sinnhaftigkeit der meisten Lockdown-Maßnahmen, die bei vielen zu ­seelischem und körperlichem Leid führen, nur noch schwer begründen.

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