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Was ist bei AvP zu holen?

Eine Analyse

Es ist still um die AvP-Insolvenz geworden. Die erhoffte schnelle Rettung für die betroffenen Apotheken nicht in Sicht. Darum hat DAZ-Redakteur Dr. Thomas Müller-Bohn die bisherigen Erkenntnisse in einer Analyse zusammengetragen und Folgerungen für die mögliche weitere Entwicklung abgeleitet. Die Betrachtung erklärt auch, ­warum die Situation derzeit so ­festgefahren ist.

Im Herbst überschlugen sich die Meldungen zur AvP-Insolvenz geradezu. Doch seit dem Jahreswechsel tat sich nur wenig. Damit scheint die Zeit reif für eine Analyse zu sein. Ein herausragendes Problem war und ist, dass die Apotheken keine Aussonderungsrechte an den Abrechnungsgeldern erhalten haben und dieses Geld daher nicht unverzüglich an die Apotheken ausgezahlt werden konnte.

Wenig Hoffnung auf Aussonderungsrechte

Schon relativ bald nach Übernahme seiner Aufgabe machte Insolvenzverwalter Dr. Jan-Philipp Hoos deutlich, dass er für die meisten Fallkonstella­tionen keine Aussonderungsrechte gegeben sieht. Dass er im Januar für einen sehr speziellen Fall solche Rechte anerkannt hat, ändert nichts an der grundsätzlichen Bewertung. Die wichtigsten formalen Gründe dafür sind die Abtretungen der Forderungen an AvP und die Vermischung der Abrechnungsgelder mit den Mitteln des Rechenzentrums. Daneben besteht ein faktisches Problem, das juristisch nicht überwunden werden kann. Denn zumindest die derzeit vorhandenen Mittel der insolventen AvP würden nach den bisherigen Erkenntnissen längst nicht ausreichen, um alle Forderungen zu bedienen, für die Aussonderungsrechte angemeldet wurden. Damit bleibt den betroffenen Apotheken nur eine Quotenzahlung aus der Insolvenzmasse, die sie sich sogar noch mit anderen Gläubigern teilen müssten. Die Abrechnungsgelder hätten dann rechtlich keinen höheren Stellenwert als beliebige andere Forderungen. Dies erscheint mit Blick auf die Bedeutung der Sozialversicherung als weiterer Skandal, über die Ereignisse bei AvP hinaus.

91 Prozent Forderungen von Apotheken

Vor diesem schon länger bekannten Hintergrund bekommt eine jüngere Erkenntnis zusätzliches Gewicht. Der Insolvenzverwalter hatte im Februar im Zusammenhang mit einer Sitzung des Finanzausschusses des Bundestags Angaben zur Höhe der angemeldeten Forderungen von Gläubigern gemacht. Diese Forderungen von etwa 626 Millionen Euro verteilen sich demnach auf etwa 345 Millionen Euro (etwa 55 Prozent) Forderungen von Offizinapotheken, etwa 226 Millionen Euro (etwa 36 Prozent) von Krankenhausapotheken und etwa 55 Millionen Euro (etwa 9 Prozent) von sonstigen Gläubigern. Aus dem geringen Anteil der „sonstigen“ Gläubiger ergibt sich eine wichtige Konsequenz: Im Vergleich zu dem erhofften Idealszenario, in dem alle Apotheken gleichwertige Aussonderungsrechte hätten, erhielten die Apotheker „nur“ 9 Prozent weniger Geld, wenn sie stattdessen eine Quotenzahlung aus der Insolvenz­masse bekämen. Noch einmal: Dieser Vergleich bezieht sich auf die unterschiedlichen Ergebnisse für die Apotheken in den beiden Szenarien mit vollständigen Aussonderungsrechten oder ohne jegliche Aussonderungsrechte. Damit ist nichts über die absolute Höhe der Zahlungen oder eine mögliche Insolvenzquote gesagt. Denn wie viel Insolvenzmasse letztlich zu verteilen sein wird, ist noch nicht bekannt. Die obige Rechnung ist nur eine relative Betrachtung verschiedener Quoten. Doch sie zeigt, dass einheitliche Klagen aller Apotheker auf Aussonderungsrechte im Erfolgsfall keine großen wirtschaftlichen Vorteile erwarten lassen.

Gefährliches Szenario: Spaltung des Apothekerlagers

Die Rechnung sieht jedoch vollkommen anders aus, wenn Apotheker mit unterschiedlichen Verträgen versuchen würden, sich mit Klagen Vorteile gegenüber anderen Apothekern zu verschaffen. Die juristische Betrachtung, worauf sich solche Klagen stützen und ob sie Aussicht auf Erfolg haben könnten, gehört nicht zum Fachgebiet des Verfassers. Doch aus wirtschaftlicher Sicht ergibt sich angesichts der Zahlenverhältnisse bei den Gläubigerforderungen eine wichtige Konsequenz: Jegliche Versuche, sich durch Klagen deutliche Vorteile zu verschaffen, müssten auf eine bessere Position gegenüber anderen Apotheken zielen. Eine Abgrenzung gegenüber den sonstigen Gläubigern verspricht dagegen nur geringe Vorteile. Für die Apotheker als Gesamtheit ist das eine sehr traurige Erkenntnis. Denn Politiker, Apothekerverbände und andere potenzielle Unterstützer würden vermutlich ihr Engagement einstellen, wenn aus dem Fall mit einer politischen Dimension ein „gewöhnlicher“ Streit unter den Betroffenen würde. Darum ist zu hoffen, dass dies nie eintritt.

Was wird aus „neuen“ Abrechnungsgeldern?

Derzeit viel drängender ist ein anderes Problem, das mit der zeitlichen Abfolge der Ereignisse zusammenhängt. AvP wurde insolvent, weil etwa um den 10. September 2020 nicht mehr genügend Geld vorhanden war, um alle fälligen Zahlungen zu leisten. Damals wurden Abrechnungsgelder und Vermögenswerte von AvP offenbar vermischt. Doch als der Insolvenzverwalter seine Arbeit aufnahm, hat er neue Konten für die noch eingehenden Abrechnungsgelder eingerichtet, um diese von anderen Vermögenswerten zu trennen. Darum ist zu fragen: Wie ist mit den „neuen“ Abrechnungsgeldern umzugehen, die erst während der Arbeit des Insolvenzverwalters bei AvP eingegangen sind, oder die jetzt noch ausstehen? Derzeit zeichnet sich ab, dass sie in die Insolvenzmasse fließen. Eine Insolvenzquote würde für alle Forderungen gleichermaßen gelten. Betroffene Apotheken würden bei allen ausstehenden Abrechnungsgeldern einen einheitlichen Anteil verlieren, unabhängig davon, ob das Geld vor oder nach dem Beginn des Insolvenzverfahrens bei AvP angekommen ist. Hoos hat stets die Bedeutung der Forderungsabtretungen betont, die auch für diese Beträge gelten. Gegenüber der DAZ hat Hoos kürzlich erklärt, dass sich die Gelder, die vor oder nach dem Beginn seiner Tätigkeit als Insolvenzverwalter eingegangen sind, nur hinsichtlich der Zuorden­barkeit unterscheiden. Konsequenterweise hat Hoos bisher keine Aussonderungsrechte für die „neuen“ Abrechnungsgelder gewährt, abgesehen von einem Spezialfall, bei dem die Forderungsabtretung noch nicht wirksam war.

Doch ist nicht hundertprozentig sicher, ob jedes Gericht dies ebenso sehen würde. Wegen dieser Rechtsunsicherheit halten offenbar viele Krankenkassen derzeit Abrechnungsgelder gegenüber AvP zurück. Sie fürchten wohl schlimmstenfalls, doppelt zur Zahlung herangezogen zu werden. Damit fehlt in der Kasse von AvP nun ausgerechnet ein Teil des Geldes, das eigentlich unter den geordneten Bedingungen des Insolvenzverfahrens sicher abgerechnet werden sollte. Die Lücke in der Kasse ist damit vorläufig sogar noch größer geworden. Der Insolvenzverwalter hatte in einem Gutachten für das zuständige Gericht zum Stichtag 22. Oktober 2020 die noch offenen Forderungen gegenüber Krankenkassen auf etwa 200 Millionen Euro beziffert. Außerdem seien auf dem von ihm eingerichteten Abrechnungskonto bis dahin bereits etwa 15,1 Millionen Euro eingegangen. Demnach geht es bei den Ab­rechnungen während des Insolvenzverfahrens um fast 40 Prozent der Forderungen der Apotheken. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass wohl niemand die Rechtmäßigkeit dieser Forderungen bestreitet. Fraglich ist allenfalls, an wen die Zahlungen zu leisten sind: direkt an die Apotheker oder zunächst in die Insolvenzmasse?

Hindernisse für einen Vergleich

Um das Verfahren voranzubringen, müsste die beschriebene Rechtsun­sicherheit beseitigt werden. Ein Vergleich, bei dem die Apotheker auf potenzielle Aussonderungsrechte an den ausstehenden Zahlungen verzichten, könnte den Weg für die Zahlungen der Krankenkassen frei machen. Nach Berichten aus dem Kreis der Betroffenen hat es bereits einen Versuch für einen solchen Vergleich gegeben, der jedoch abgebrochen wurde. Das entscheidende Problem dürfte hierbei sein, dass sich die naheliegenden Bedingungen für einen Vergleich gegenseitig ausschließen: Zahlungen im Rahmen eines Vergleichs können erst dann beziffert und ausgezahlt werden, wenn das Geld bei AvP vorhanden ist. Doch die Krankenkassen werden wohl erst zahlen, wenn Rechtssicherheit besteht, die jedoch erst durch einen Vergleich geschaffen werden soll. Wer bewegt sich also zuerst? Falls diese Entwicklung nicht vorankommt, wird vermutlich irgendwann irgendein Apotheker auf ein Aussonderungsrecht an den „neuen“ Abrechnungsgeldern klagen. Das kann jahrelang dauern und verspricht auch in diesem Fall nur einen geringen wirtschaftlichen Vorteil, solange es um eine Position geht, die alle betroffenen Apotheken gleichermaßen betrifft – wie oben erläutert wurde. Darum spricht aus ökonomischer Sicht viel für eine gütliche Einigung.

Hauptaufgabe: Masse mehren

Darüber hinaus ist zu bedenken, dass an anderen Stellen noch viel größere Unsicherheiten über die Insolvenzmasse bestehen, die ebenfalls einen Vergleich erschweren. Die wichtigste Aufgabe im Insolvenzverfahren bleibt daher, diese Masse zu mehren. Offenbar sind insbesondere zwei große Po­sitionen ungeklärt. Erstens hat der Insolvenzverwalter in seinem ersten Bericht für das Gericht Forderungen aus Rabattverfall gegenüber den Krankenkassen bis zu einer dreistelligen Millionenhöhe erwähnt. Wie realistisch solche Forderungen erscheinen, wird seitdem kontrovers diskutiert. Zweitens wurde schon von verschiedener Seite die Frage nach der Rolle der Banken aufgeworfen. Denn diese haben ihre Kreditlinien offenbar gekündigt, als sie gerade kaum in Anspruch genommen wurden. Verschiedene Beobachter haben daher angeregt, auch die Banken in Anspruch zu nehmen. Darum ist die Insolvenzquote bisher kaum zu schätzen, und darum erscheint auch eine kurzfristige gütliche Einigung so schwierig. Denn wer sollte einem Vergleich zustimmen, solange so viele Zahlen unbekannt sind? |

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