Foto: detailblick-foto – stock.adobe.com

Digitalisierung

Aus Kundensicht

Welche Rolle spielen die Apotheken im Jahr 2030?

Entwicklungen, die sich seit Jahren und aktuell in anderen Branchen durchsetzen, machen auch vor der Arzneimittelversorgung durch die Apotheken keinen Halt. Denn, was die Kunden und Verbraucher an anderer Stelle im positiven Sinne erfahren und erlernt haben, erscheint ihnen auch im Gesundheitswesen für zumindest wünschenswert. Wie lässt sich das Versorgungssystem im Sinne aller Beteiligten also positiv verändern? Welche Erwartungen stellen Anfang 20-Jährige heute an die Apotheken in zehn Jahren – eben dann, wenn sie selbst als Patienten und Kunden in ein für das Gesundheitssystem immer relevanter werdendes Alter kommen? Rund 50 Studierende an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Stuttgart haben im Hinblick auf ­diese Fragestellung in 15 Teams verschiedene Customer und Consumer Journeys ausgearbeitet. Die Ergebnisse wurden auch mit Vertretern der Apothekergenossenschaft Noweda sowie des „Zukunftspakts Apotheke“ diskutiert. | Von Andreas Kaapke und Benjamin Österle 

Schon vor der Corona-Pandemie wurde prognostiziert, dass sich der Online-Anteil von OTC-Präparaten auf 30 Prozentpunkte erhöhen wird. Im Weihnachtsgeschäft 2020 legten laut Sempora Consulting die Versandapotheken um 31 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zu, während es in den Vor-Ort-Apotheken zu einem Rückgang von 11 Prozent kam. Allein diese beiden Zahlen verdeutlichen, dass sich der Markt für Arzneimittel im Umbruch befindet und Corona hier als viel beschworener Brandbeschleuniger fungieren könnte. Daraus resultiert aber auch für den Blick ins Jahr 2030, dass heute bereits die Weichen für wesentliche Veränderungen gestellt werden können. Das im Detail noch nicht definierte E-Rezept birgt zwar zum einen immense Chancen auch für einen Digitalisierungsschub in den stationären Apotheken, aber nur, wenn die technischen Funktionalitäten passen und der Ablauf für alle tatsächlich daten­sicher, bequem und transparent erfolgen kann.

Die für das Projekt der DHBW Stuttgart genutzte Methode ist die Persona-Entwicklung, eine Design-Methode zur Fokussierung auf die Perspektive der Nutzer von Produkten und Dienstleistungen. Dabei ist die Persona eine Beschreibung einer fiktiven, das jeweilige Produkt oder die jeweilige Dienstleistung nutzende Person. Die Beschreibungen helfen den Projektbeteiligten dabei, sich mit den nutzenden Personen zu identifizieren, sich in deren Haut und tägliches Leben zu versetzen, dadurch deren Bedürfnisse und Wünsche zu erkennen und daran zu denken, dass sie für diese Personen entwickeln statt für sich selbst. Aus der Auflistung der insgesamt 46 Personas aus dem Projekt lässt sich eine Reihe von Entwicklungspotenzialen für die Vor-Ort-Apotheken ableiten, die grundlegende Überlegungen von Apotheken nach sich ziehen sollten.

Foto: Robert Kneschke – stock.adobe.com

Customer Journey im Wandel – Lange Zeit ging man davon aus, dass im Selbstmedikationsbereich der erste relevante Touchpoint die Apotheke ist und bei den Rx-Präparaten der Arzt den Anstoß gibt. Doch inzwischen werden von einem Großteil der Verbraucher andere, oft digitale Touchpoints gewählt – und zwar in beiden Fällen.

In diesem Projekt wurden diese Szenarien in Form von Customer und/oder Consumer Journeys ausgearbeitet, die sich zu einem der Schlüsselkonzepte in der Dienstleistungs- und Marketingforschung entwickelt haben. Unter einer Customer Journey versteht man dabei eine Reihe von Berührungspunkten (Touchpoints) der Kunden mit einem Anbieter vor, während oder nach einem Kauf. Insofern können Customer Journeys so beschrieben werden, dass sie von eher konkreten Zielen motiviert sind, wie zum Beispiel dem Kauf eines OTC-Präparats oder dem Einlösen einer ärztlichen Verordnung.

Consumer Journeys dagegen sind von eher abstrakten Zielen motiviert, wie zum Beispiel wieder gesund zu werden oder sich gut zu fühlen. Durch die Ergänzung der entwickelten Personas mit dazugehörigen Szenarien in Form von Customer und Consumer Journey ergeben sich anschauliche Nutzungsszenarien und Themenfelder. Diese gilt es zu analysieren, damit sie einen Beitrag zur Entwicklung der Apotheke der Zukunft leisten können.

In den letzten Jahren hat sich die Customer Journey für viele Apothekenkunden dramatisch geändert. Ging man lange davon aus, dass im Selbstmedikationsbereich der erste relevante Touchpoint die Apotheke ist und bei den Rx-Präparaten der Arzt den Anstoß gibt, werden heute von einem Großteil der Verbraucher vor dem Arzt- oder Apothekenbesuch andere – oft digitale – Touchpoints bemüht, bevor eine Entscheidung gefällt wird, wie im konkreten Fall vorgegangen wird. Sinnigerweise heißen die beiden ersten Phasen der Customer Journey deshalb auch Awareness (Bewusstsein) und Consideration (Erwägung). Daraus folgt, dass die Apotheken inzwischen jegliche Anstrengungen bemühen müssen, im ersten Schritt überhaupt wahrgenommen zu werden.

Nun würden viele behaupten, Apotheken sind bekannt. Das ist auch zweifelsfrei richtig. Aber ob im entscheidenden Moment genau die Apotheke einen Impuls setzen kann, wenn ein Arzneimittelbedarf entsteht, hängt auch davon ab, wie professionell die entsprechende Apotheke aufgestellt ist und kommuniziert. Und nun kommt es seitens der Kunden auch noch zur Bewertung, ob der wahrgenommene Impuls tatsächlich so bewertet und gewichtet wird, dass man die Vor-Ort-Apotheke in Betracht zieht (also „Consideration“). Mit anderen Worten muss viel passieren und angestoßen werden, bevor der Patient/Kunde überhaupt die Apotheke aufsucht.

Nun ist dies von Fall zu Fall verschieden, will heißen, es hängt vom Typ Mensch ab, den man vor Augen hat, dessen Sozialisation, Präferenzen, Erfahrungen und Affinitäten, aber auch von der konkreten Indikation. Deshalb versucht das Marketing, anhand konkreter Bedarfe stellvertretende Personas zu generieren, die quasi den Typus versinnbild­lichen sollen. Im Folgenden werden zwei exemplarische Customer Journeys skizziert – einmal für Rx-Präparate und einmal für OTC-Präparate.

Beispiel 1 – Customer Journey für Rx-Präparate

Eine Person verspürt Krankheitssymptome bspw. in Form eines Hautausschlags und versucht, sich online zunächst ein Bild zu verschaffen, um was es sich handeln könnte, indem die ersten in einer Suchmaschine gefundenen Quellen einschließlich vergleichbaren Bildmaterials durchgesehen werden. Die Customer Journey findet hier noch außerhalb der professionellen Akteure des Gesundheitswesens statt. Neben den Suchportalen und Bewertungsforen findet auf diese Weise auch der typische Austausch mit Bekannten statt. Die Apotheken können hier punkten, wenn sie dazu selbst etwas veröffentlicht haben und in den Suchmaschinen gefunden werden, insbesondere dann, wenn eine regionale oder lokale Angabe vom Betroffenen in der Suchmaschine vorgenommen wurde. Dazu muss man aber relevant und aktuell sein. Die inhaltlich identische Nachricht, die redaktionell auf die Gepflogenheiten des jeweils angesteuerten Kanals angepasst wird, wirkt Wunder. Und natürlich gilt es auch zu analysieren, welche Indikation besonders für welche Zielgruppe interessant ist und auf welchen Kanälen sich diese am ehesten tummeln. Bis zu diesem Zeitpunkt war eine hinreichend große Menge von Personen weder beim Arzt noch in der Apotheke, und Experten sind sich einig, dass sich dieser Trend der Vorselektion auch aus Bequemlichkeitsgründen eher verstärken wird.

Foto: M.Dörr & M.Frommherz – stock.adobe.com

Den Patienten entgegenkommen – Telemedizin und Telepharmazie schaffen es, die Nutzer in ihrer Customer Journey zu einem relativ frühen Zeitpunkt und ohne größere Medienbrüche abzuholen.

Um nun aber eine Chance zu haben, ins sog. „relevant set“ von Kunden zu gelangen, ist adäquate Präsenz gefragt und sind entsprechende Angebote zu machen. Ein Stammkunde der Apotheke wird sich ggf. recht zügig dorthin wenden, ein „Immer-mal-wieder-Kunde“ schon nicht mehr ganz so sicher, und ein Wechselkunde kommt ggf. gar nicht auf die Idee. Für dieses „auf die Idee kommen“, bei der Apotheke vor Ort nachzuhorchen, in welcher Art und auf welchen Kanälen auch immer, muss nun die Apotheke Sorge tragen. Auch Slots für Telemedizin (Arzt) oder Telepharmazie (Apotheke) sind denkbare Bausteine einer darauf ausgerichteten Strategie. Alle Recherchen bestärken den Patienten nun, zum Arzt zu gehen, der den Hautausschlag auch diagnostizieren kann und eine Verordnung ausschreibt, vielleicht – gemäß Plan ab Januar 2022 – als E-Rezept, in 2030 ganz sicher. Wie der Patient dieses E-Rezept zum Einsatz bringt oder eingesetzt haben möchte, muss für die Apotheke Ansporn sein, bei möglichst vielen alternativen Wegen eine nennenswerte Rolle zu spielen, damit alle Funktionalitäten beherrschen und auch bespielen zu wollen und es dem auch hier zusehends unter Bequemlichkeitsaspekten entscheidenden Kunden es so einfach aber kompetent wie möglich zu machen. Das schließt ein Beratungsgespräch explizit ein. Davor konnte der Patient ja nur seine Beschwerden googeln, jetzt das dazu passende Arzneimittel checken. Auch hier sind z. B. Blog-Beiträge auf der Website der Apotheke hilfreich.

Das Studierenden-Projekt war auf das Jahr 2030 ausgerichtet, die entsprechenden Personas in diese Zeit versetzt. Die dann vermutlich nutzbaren erweiterten technischen Möglichkeiten und das dafür erforderliche Know-how dürften jeweils deutlich weiterentwickelt sein. Mobile Devices, die ein Teil dieser Funktionen abbilden können, müssten dann eben auch von Apothekern inhaltlich gefüttert, technisch bespielt oder gehostet werden. Gerade Zweites böte sich für Chroniker an, deren Bedarf in zeitlich antizipierbaren Wellen kommt. Auch in Absprache mit dem behandelnden Arzt müssen dann bequeme und dennoch therapietreue Formate gewonnen werden, die hier die Einbeziehung der Apotheke nicht ausdrücklich aus- sondern nachweislich einschließt. Die Apotheke könnte hier als Informationsbroker in der Wertschöpfungskette fungieren, müsste dann aber auch das Datenhandling und die daraus resultierenden Aktivitäten optimal steuern können.

Foto: Minerva Studio – stock.adobe.com

Shoppingerlebnis in der Offizin? Die wenigsten Apotheken laden heute und 2030 zum Bummeln oder Verweilen ein. Trotzdem muss es gelingen, den Kunden entsprechende Produkte mit der pharmazeutischen Einordnung anzubieten.

Beispiel 2 – Customer Journey für OTC-Präparate

Der zweite Fall fokussiert auf OTC-Präparate, also solche, die auch im Jahr 2030 nicht rezeptpflichtig sind, aber entweder von Apotheken exklusiv (apothekenpflichtig) oder neben anderen Vertriebskanälen auch in Apotheken angeboten werden. Prävention und Selbstmedikation sind die Schlagworte, und auch hier darf die Apotheke anderen Playern nicht das Feld überlassen, sondern muss mit gezielter Endverbraucheransprache und Informationspolitik verdeutlichen, dass man hier besondere Kompetenzen aufweisen kann. Vermutlich werden das gotische „A“ und die damit einhergehenden Assoziationen im Kopf von Kunden nicht mehr alleine ausreichen. Die Apotheke muss über Posts in Social-Media-­Kanälen verdeutlichen, dass man eine schnelle, barrierefreie und vor allem hochkompetente Alternative vor Ort hat, die in der Regel schneller sein kann als der Versand, aber auch individuell skaliert, wie der Kunden es gerne möchte. Gerade Nahrungsergänzungsmittel, Naturkosmetik, Mineralstoffe usw. gewinnen weiter an Bedeutung und sind von den Apotheken für die Kunden auch pharmazeutisch einzuordnen. Hier muss es den Apotheken unbedingt gelingen, in den Fokus der Verbraucher zu gelangen und auf jeden Fall eine wichtige Einkaufsalternative zu sein. Die meisten heutigen Vor-Ort-Apotheken laden nicht zum Bummeln oder Verweilen ein, die strikte auch sinnvolle Trennung in Offizin, HV-Tisch sowie Backoffice-Bereich und Lager strukturiert den Kauf in einen klassischen Beratungsverkauf, der nur vollzogen werden kann, wenn jemand vom Apothekenpersonal frei ist und Zeit hat. Die Größe der Offizin-Apotheken führt auch nicht zu Erlebniskäufen.

Dies kann auch in 2030 noch gewollt sein, bedingt aber zudem Möglichkeiten, auf wichtige Themen aufmerksam zu machen, angefangen beim inhaltsschweren, peppigen Schaufenster, über Instore-TV mit Sitzgelegenheiten bis hin zur digitalen Regalwand, die wertvolle Hinweise zu denkbaren Themen und Präparaten gibt. Vielleicht könnte auch ein Selbstinformationsterminal das Themenspektrum aufzeigen und dem Besucher die Option einräumen, selbst auszuwählen, was ihn in welcher Tiefe interessiert. Die sich daraus ergebende Konsequenz mündet in gefühlt zwei sehr unterschiedliche Kaufvorgänge, in dem stark vorstrukturierten Erwerb von Rx-Präparaten und im sehr viel freieren OTC-Kauf. Das hört sich kompliziert an, sortiert aber die Komplexität, die sich in Apotheken Bahn bricht. Indem die Kaufvorgänge – wie dann auch vom Kunden gewünscht – sich unterscheiden, trägt man deren Bedeutung Rechnung.

Bequemlichkeit schlägt Beratung?

Überdeutlich wird, dass die heute Anfang 20-Jährigen den Bequemlichkeitsaspekt aus Kundensicht für das Jahr 2030 absolut in den Fokus rücken und damit keinen Unterschied mehr machen, ob es sich um den Erwerb von Schuhen oder das Beschaffen von Arzneimitteln handelt. Noch deutlicher wird dies im Fall einer Dauermedikation. Den jungen Kunden scheint es nicht nachvollzieh- oder zumutbar zu sein, jedes Mal für die Verordnung der gleichen Arzneimitteltherapie die Arztpraxis und anschließend die Apotheke aufzusuchen. „Diagnostics follows Convenience“ scheint sich als Leitmaxime herauszukristallisieren. Von daher bedarf es intensiver Überlegungen aber auch Anstrengungen, wie man diesen Ansprüchen gerecht werden kann und diese im Interesse aller umgesetzt werden können. Gerade unter dem Aspekt der Arzneimitteltherapiesicherheit stellt sich aber die Frage, wie die regelmäßige Versorgung von Patienten mit beispielsweise Schilddrüsenpräparaten nicht nur unter Bequemlichkeitsaspekten gelingen kann, sondern in gebotener Taktung auch immer wieder die Indikationsstellung bewahrt werden kann. Damit wird zwangsläufig notwendig, dass sich Ärzte und Apotheken wesentlich besser und engmaschiger miteinander synchronisieren. Die Erwartung der jungen Generation lautet demnach, dass in jedem Fall derjenige Weg bevorzugt wird, der bei aller notwendigen Sicherheit und Notwendigkeit am bequemsten erscheint.

Die letzte Meile

Was im klassischen stationären Handel schon seit vielen Jahren diskutiert wird, gewinnt nun offensichtlich auch bei der Abgabe von Arzneimitteln an Gewicht: Wie lässt sich in der Wertschöpfungskette Arzneimittel die „letzte Meile“ organisieren? Starre Öffnungszeiten, schlechte Erreichbarkeit, wenige und teure Parkmöglichkeiten, Verkehrsbehinderungen, Wartezeiten in der Apotheke usw. stellen Hemmschwellen für Kunden und Ratsuchende dar. Interessant für die Distribution von Arzneimitteln ist demnach, wer holt oder bringt diese wann und wo? Vielleicht werden in Zukunft Geschäftsmodelle zu entwickeln sein, die die jetzige Organisation der Offizin revolutionieren werden. Vielleicht sind dann mit einer Apothekenbetriebsordnung unterschiedliche Formate kompatibel, die parallel zueinander koexistieren. Wenn die Convenience-Orientierung der Generationen Y und Z kultiviert wird, sind von diesen Personen Fragen zu erwarten, warum es nicht möglich sein sollte, dass das Arzneimittel 24-stündig abholbar ist usw. Das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz hat mit der rechtlichen Legitimation von sogenannten Abholautomaten hierbei einen ersten Aufschlag erbracht.

Die nachfolgenden Generationen wollen in vielen Lebenslagen Stressvermeidungsprogramme. Auf dieser Grundlage wird auch die Frage zu stellen sein, ob dann nicht völlig andere Standorte von Apotheken wie an Verkehrsknotenpunkten oder an Ausfallstraßen mit vielen Parkplätzen viel eher als neue Chance begriffen werden als an von politischen Verkehrsberuhigungen betroffenen Standorten in Innenstädten, bei denen der motorisierte Individualverkehr seit Jahren zurückgedrängt wird. Durch ein gut funktionierendes E-Rezept sind die Kausalitäten zwischen dem Standort des Arztes und der Apotheke zwar noch gegeben, aber nicht mehr zwingend. Konkrete Überlegungen über die letzte Meile werden daher für diverse Standorte von Apotheken überlebenswichtig.

Technische Features und deren Handling

In mehreren Beiträgen der Studierenden waren Angebote und Services vorgesehen, die weit über das hinausgehen, was man Stand heute mit einfacheren Digitalisierungsansätzen assoziiert. Natürlich sind alle Fragen um digitale Touchpoints anzugehen, insbesondere in den vorderen Phasen einer Customer Health Journey, weil sich hier das Informationssuchverhalten der Verbraucher schon seit Jahren deutlich verändert hat. Mag dies bei Gesundheitsthemen insbesondere bei Arzt- und Apothekenbesuchen heute noch nicht so intensiv genutzt werden wie in anderen Handelsbranchen, wird sich dies bis 2030 dramatisch verändern. Nun geht es in erster Linie darum herauszufinden, welche technischen Gesundheits-Features Patienten nutzen und nutzen werden, welche Akteure an diese Features gekoppelt werden und wer diese managt. Wer erhält die Information einer Abweichung von voreingestellten Werten via Gesundheitsarmband, wer hat als Erstes darauf zu reagieren und wer final hat die Daten- und Handlingshoheit, die sich daraus ergebenden Schritte einzuleiten? Die Möglichkeiten bei vergleichsweise vielen Indikationen über ein Datenscanning und –monitoring frühzeitig Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, werden ansteigen. Als zentrale Anlaufstelle für das Handling dieser Daten und als Organisationseinheit, die die sich daraus ergebenden Schritte managt und administriert, könnte sich für Apotheken ein zwar stark von den heute anfallenden Aufgaben abweichendes Geschäftsmodell abzeichnen, aber eines mit durchaus veritablen Zukunftsaussichten. Im Übrigen würde dies die Funktion der Apothekerinnen und Apotheker in der Wertschöpfungskette Gesundheit oder auch nur für Arzneimittel mittelfristig stärken und nicht schwächen, weil dann nicht eine auf eine vielfältige Distribution einzuschwörende Verkaufsstelle relevant würde, sondern eine Organisationseinheit, die auf der Grundlage von Informationen den individuellen Handlungsbedarf für jeden Patienten gezielt ableitet. Mithin böte es sich dann sogar an, dass Apotheken die dafür erforderlichen technischen Gerätschaften selbst im Sortiment führen, diese empfehlen, vielleicht sogar einstellen, warten und hosten. Andere, neue Berufsfelder würden dann ebenfalls Teil der Apothekenmannschaft: IT, Technik und Datenmanagement rücken neu in den Fokus, das Zusammenspiel mit den pharmazeutisch geschulten Mitarbeitern ist an den dafür erforderlichen Schnittstellen zu optimieren und auszugestalten. Apotheken könnten auf dieser Grundlage an Stellenwert zulegen und ihre Systemrelevanz nochmals steigern.

Dienstleistung, Dienstleistung, Dienstleistung

Derlei Überlegungen schaffen den Übergang zu Services, die sich aus den aufgezeigten Personas ebenfalls ableiten lassen. Die Corona-Pandemie zeigt bereits heute auf, dass sich neue oder modifizierte oder auch aufgewertete Betätigungsfelder für Apotheken ergeben (können) – wie Testungen oder eventuell auch Impfungen –, die bislang nicht oder nicht vordergründig Teil der originären Aufgaben waren. Knapp zehn Teams hatten jeweils eine Persona dabei, deren Hauptcharakteristikum eine Volkskrankheit darstellt. Diese werden – so die einschlägigen Prognosen – tendenziell schon heute auf hohem Niveau nochmals zunehmen. Durch den Anstieg der Lebenserwartungen in der Gesellschaft findet diese Zunahme vermutlich exponentiell statt. Aus der am häufigsten von den Studierenden gewählten Volkskrankheit Diabetes mellitus könnten sich Services professionell ableiten lassen, wie die Betreuung von Gruppen, Ernährungsberatungen, Testungen usw., wie sie zweifelsfrei vereinzelt auch heute schon vorkommen, aber selten in der Stringenz und Vollständigkeit wie es ggf. in Zukunft geboten ist. Auch hier böten sich Kooperationen mit Krankenkassen und weiteren Akteuren aus dem Gesundheits­wesen an, die dieses Angebot inhaltlich wie finanziell attraktiv machen.

Fotos: klange01 – stock.adobe.com, Mopic – stock.adobe.com

(K)ein Ort für Apotheken? Die Studierenden zeigten in ihren Ausarbeitungen auf, dass es Arzneimittelbedarfe auch in besonderen Situationen gibt, wie bei Festivals und anderen Veranstaltungen, die ein stationäres Ladenlokal nicht notwendig oder ineffizient erscheinen lassen. Mobile Dienste, Botendienste oder der Einsatz von Drohnen könnten die Versorgungssituation dann in abgelegenen Regionen verbessern.

Sondersituationen für Arzneimittelbedarf

Die Ausarbeitungen der Studierenden haben auch aufgezeigt, dass diese für bestimmte Situationen sehr spezifische Anforderungen an die Abgabe bzw. den Verkauf von Arzneimitteln sehen. Dazu zählen z. B. Situationen mit

  • Menschen mit Sprachschwierigkeiten
  • Menschen mit Wohnort auf dem Land ohne hinreichend nahe Anbindung an eine schnelle und barrierefreie Versorgungsmöglichkeit
  • Spontanbedarfe bei Festivals und Veranstaltungen, die ­jedoch ein stationäres Ladenlokal nicht notwendig oder ­ineffizient erscheinen lassen.

Für alle aufgezeigten Modelle stellt sich die Frage, mit welchem konkreten Geschäftsmodell bestehende Apotheken darauf reagieren können. Sprachbarrieren lassen sich durch Übersetzungsprogramme und Künstliche Intelligenz überbrücken. Die Frage der Zuverlässigkeit und Rechtssicherheit einer Beratung müsste dann noch geklärt werden. Auch hier könnten Kooperationen zwischen Apotheken helfen, sodass bestimmte spezifische Zeiten angeboten werden oder sich Apotheken über Telemedizin einen spanischen, griechischen oder auch türkischen Native Speaker gemeinsam leisten können und die damit aufkommenden Probleme und besprochenen Lösungen dann in die Apotheke als Abholstation geliefert bekommen. Mobile Dienste, deutlich ausgeweitete Botendienste, Kooperationsmodelle mit dem pharmazeutischen Großhandel oder der Einsatz von Drohnen könnten die Versorgungssituation in ländlichen Regionen verbessern helfen. Apotheken könnten sich genau darauf spezialisieren, diesen Bedarf abzudecken und dafür Lösungen anzubieten. Kostenpauschalen für den Bringdienst stellen dann vermutlich für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger kein Problem dar. Gegebenenfalls könnten Kooperationen mit Kommunen eine Kostenübernahme der Transfergebühren als Äquivalent für nicht angesiedelte Ärzte oder Apotheken ermöglichen.

Schließlich ergeben sich immer wieder Anlässe, bei denen Arzneimittelbedarfe spontan entstehen und ein ausgewähltes Sortiment an Rx- und OTC-Präparaten hilfreich wäre. In Stadien, auf Festivalgeländen oder auf Veranstaltungsarealen könnten dann mobile Raumkonzepte für den Einsatz von Apotheken greifen. Hier wäre es auch denkbar, dass entweder eine oder mehrere Apotheken gemeinsam einen derartigen Dienst zusätzlich anbieten.

Fazit

Vom Kunden her zu denken, fällt nicht leicht, schon gar nicht, wenn es sich dabei um Menschen mit einer signifikant anderen Sozialisation als die eigene handelt. Die unmittelbare Kundenorientierung macht dies aber nötig. Mögen Arzneimittel Güter der besonderen Art sein, die an bestimmten Stellen dem besonderen Schutz des Gesetzgebers obliegen, folgen sie doch an anderer Stelle den erlernten Mechanismen einer sozialen Marktwirtschaft und können sich diesen auch nicht gänzlich entziehen. Der Spagat, der sich daraus für jeden Anbieter ergibt, wird gewaltig. Inwieweit eine dann darauf abgestimmte Rechtsordnung Geschäftsmodelle zulässt oder gerade noch ablehnen kann, werden Kunden und Patienten am Ende mit ihren Füßen abstimmen. Wohl dem, der sich darüber frühzeitig Gedanken macht und entsprechend vorbereitet ist. |

Autoren

Andreas Kaapke ist Professor für Handelsmanagement und Handelsmarketing an der Dualen Hochschule ­Baden-Württemberg (DHBW), Standort Stuttgart, und Inhaber des Beratungsunternehmens Prof. Kaapke Projekte.

Benjamin Österle ist Assistant Professor mit Fokus auf Marketing, Marktforschung, Customer Experience und Branding am Chair of Product-Market Relations der University of Twente, Enschede, Niederlande

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.