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Beratung

Zecken lauern überall

Vor Corona noch schnell gegen FSME impfen?

Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Die Zahl der gemeldeten Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) steigt von Jahr zu Jahr und erreichte 2020 ein Rekordhoch von 704. Die Corona-Pandemie soll daran nicht ganz unschuldig sein. Doch selbst in Risikogebieten lassen sich noch immer zu wenige Menschen impfen. Nur etwa jeder fünfte Bundesbürger ist derzeit gegen FSME geimpft. Im Folgenden ein paar gute Argumente, die keine Ausflüchte mehr zulassen. | Von Rika Rausch

Die warme Jahreshälfte läutet die neue Zecken-Saison ein. Auch das FSME-Virus rückt damit wieder ins Bewusstsein. Dabei kann der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus), über den das Virus vorrangig seinen Weg auf den Menschen findet, ganzjährig aktiv sein. Die Infektionsgefahr wird gerne relativiert und eine FSME-Impfung auf die lange Bank geschoben. Und es stimmt: Nicht jeder Zeckenstich überträgt das FSME-Virus und nicht jeder infizierte Mensch entwickelt Symptome. Zählt man aber zu den Betroffenen, heißt es hoffen, denn es können lediglich die Symptome, nicht aber die Ursache behandelt werden.

FSME-infizierte Zecken lauern überall

Etwa 0,1 bis 5% der Zecken sind hierzulande mit dem Virus infiziert. Die Hotspots liegen in Süddeutschland, doch mittlerweile wurden auch viele Landkreise in Thüringen und Sachsen vom Robert Koch-Institut (RKI) als Risikogebiete eingestuft, zuletzt erstmals auch ein Landkreis in Sachsen-Anhalt (Stadtkreis Dessau-Roßlau) (s. Abb.). Menschen, die nicht in einem dieser aktuell 169 Risikogebiete wohnen, sollten sich jedoch nicht in falscher Sicherheit wiegen. Das Virus macht an Landesgrenzen nicht halt und hat längst die deutschen Mittelgebirge überwunden. Man kann dem FSME-Risiko in Deutschland praktisch nicht mehr ausweichen, mahnen Experten. Auch Deutschlands Nachbarn wie Österreich, Schweiz und Tschechien melden hohe Fallzahlen. Die südlichste Region in Europa mit Nachweis von FSME-Erkrankungen ist bislang Sizilien.

Abb.: Aktuelle Änderungen im Jahr 2021 Insgesamt sind aktuell 169 Kreise als FSME-Risikogebiete ausgewiesen: 92 Kreise in Bayern (1 zusätzlicher Kreis: LK Dillingen a. d. Donau), 43 Kreise in Baden-Württemberg (unverändert), 12 Kreise in Thüringen (1 zusätzlicher Kreis: LK Weimarer Land), 10 Kreise in Hessen (1 zusätzlicher Kreis: LK Fulda), 8 Kreise in Sachsen (1 zusätzlicher Kreis: LK Mittelsachsen), 1 Kreis in Niedersachsen (unverändert), 1 Kreis in Rheinland-Pfalz (unverändert), 1 Kreis im Saarland (unverändert), 1 Kreis in Sachsen-Anhalt (1 zusätzlicher Kreis: SK Dessau-Roßlau). In Bayern und Baden-Württemberg sind nur folgende Kreise somit keine FSME-Risikogebiete: Baden-Württemberg: SK Heilbronn, Bayern: SK Augsburg, LK Fürstenfeldbruck, SK München, SK Schweinfurt (nach [FSME: Risikogebiete in Deutschland (Stand: Januar 2021). Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts 2021;21:3-20])

10% „Corona-Aufschlag“

Seit 2001 gibt es eine Meldepflicht für FSME-Erkrankungen in Deutschland. Dass die Zahlen zuletzt stiegen, führen Experten vorrangig auf die milden Temperaturen im Winter zurück. Noch ist nicht sicher, ob es sich um einen langfristigen Trend handelt. FSME war im Pandemie-Jahr 2020 die einzige Infektionskrankheit, die neben COVID-19 häufiger aufgetreten ist als je zuvor. Auch in diesem Jahr werden über 500 Fälle erwartet. Die Deutschen lockt es in die heimische Natur. Experten schätzen, dass die Zahlen durch dieses Freizeitverhalten um 10% nach oben getrieben werden.

Aktive Immunisierung ist alternativlos

Eine FSME-Erkrankung verläuft in zwei Phasen: Nach einer Inkubationszeit von sieben bis 14 Tagen treten bei etwa 30% der Infizierten grippeähnliche Symptome auf, die meist nach wenigen Tagen wieder verschwinden. Etwa jeder zehnte Infizierte zeigt in der zweiten Phase der Erkrankung neurologische Symptome wie Meningitis, Enzephalitis oder Myelitis. Eine kausale Therapie gibt es nicht (siehe auch Interview S. 54 in dieser Ausgabe der DAZ). Die gute Nachricht: Selbst schwere Verläufe heilen meist vollständig aus. Doch gibt es Fälle von Paresen und Anfallsleiden, die oft Monate nach der Erkrankung persistieren können. Einer von hundert Erkrankten mit ZNS-Beteiligung verstirbt an der Frühsommer-Meningoenzephalitis. Das Risiko ist unter immunmodulierenden Therapien (z. B. mit Rituximab) erhöht.

Die aktive Immunisierung ist der einzig mögliche Schutz vor einer Frühsommer-Meningoenzephalitis. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt sie für Kinder und Erwachsene, die in FSME-Risikogebieten gegenüber Zecken exponiert sind, und Personen, die durch einen beruflichen Kontakt mit FSME-Viren gefährdet sind, beispielsweise Forstarbeiter, in der Landwirtschaft tätige Personen sowie Laborpersonal. In 98% der im Jahr 2020 registrierten FSME-Erkrankungen waren die Betroffenen gar nicht oder unzureichend geimpft. Mit besonders niedrigen Impfquoten fiel im vergangenen Jahr Baden-Württemberg auf. Die Impf­empfehlung der STIKO betrifft auch Reisen in Risikogebiete außerhalb Deutschlands, die auf der Website des RKI ein­sehbar sind.

Impfung geht auch ganz schnell

Eine aktive Immunisierung kann zu jedem Zeitpunkt durchgeführt werden. Für den vollen Impfschutz gegen FSME sind in der Regel drei Impfungen notwendig. Im klassischen Schema wird die Grundimmunisierung innerhalb von 15 Monaten abgeschlossen. Wer nicht so lange warten möchte, kann Zeit entsprechend der von den Herstellern empfohlenen Schnellschemata sparen: Im Fall von FSME-Immun® kann die Grundimmunisierung auf ein halbes Jahr verkürzt werden, mit Encepur® sogar auf einen Monat (s. Tab.). Mit einem ­sicheren Schutz kann nach zwei Impfungen gerechnet werden. Aber erst nach vollständiger Impfung beträgt er 99% und hält mindestens drei Jahre. Dann wird die erste Auffrischimpfung fällig, die alle drei bzw. fünf Jahre wiederholt werden sollte. Mit unerwünschten Wirkungen wie Temperaturerhöhung, Kopfschmerzen, Unwohlsein oder Magen-Darm-Beschwerden muss vor allem in den ersten vier Tagen nach der ersten Impfung gerechnet werden. Sie treten im Verlauf der Impfserie seltener auf. Da eine Impfung gegen COVID-19 für die breite Bevölkerung wohl erst im Sommer realisiert werden kann, könnte bis dahin die Immunisierung gegen FSME abgeschlossen sein. 14 Tage vor Beginn und nach Ende von Corona-Impfungen sollten wenn möglich keine anderen Schutzimpfungen durchgeführt werden. Bei asymptomatischen SARS-CoV-2-­Infizierten sollte mit Impfungen noch mindestens vier ­Wochen gewartet werden.

Tab.: Impfschemata der in Deutschland verfügbaren Fertig­präparate gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)
Impfstoff
Standardimpfung
Schnellimpfung
FSME-Immun®-Erwachsene: zugelassen ab 16 Jahren
FSME-Immun®-Junior: zugelassen von 1 bis 15 Jahren
1. Impfdosis = Tag Null
2. Impfdosis
1 bis 3 Monate später
14 Tage später
3. Impfdosis
5 bis 12 Monate nach 2. Dosis
5 bis 12 Monate nach 2. Dosis
1. Auffrischimpfung
3 Jahre nach 3. Dosis
3 Jahre nach 3. Dosis
Auffrischimpfungen
< 60 Jahren: alle 5 Jahre
≥ 60 Jahren: alle 3 Jahre
Encepur®-Erwachsene: zugelassen ab 12 Jahren
Encepur® Kinder: zugelassen von 1 bis 11 Jahren
1. Impfdosis = Tag Null
2. Impfdosis
1 bis 3 Monate nach 1. Dosis
7 Tage nach 1. Dosis
3. Impfdosis
9 bis 12 Monate nach 2. Dosis
21 Tage nach 1. Dosis
1. Auffrischimpfung
3 Jahre nach 3. Dosis
12 bis 18 Monate nach 3. Dosis
Auffrischimpfungen
< 50 Jahren: alle 5 Jahre
≥ 50 Jahren: alle 3 Jahre

Es ist nie zu spät

Man hat angefangen, es aber nicht zu Ende gebracht: Bereits nach zwei Impfungen besteht schon ein 98%iger Schutz, der allerdings nur etwa ein Jahr hält. Auch bei Überschreitung des Impfabstands ist es sinnvoll, fehlende Impfungen nachzuholen. Laut Post-Marketing-Studien ist die Impfeffektivität bei Personen, die unregelmäßig geimpft wurden, nur geringfügig niedriger. Und sollten einmal Lieferengpässe dazwischen kommen, scheint auch ein Wechsel des Impfstoffs keine Nachteile mit sich zu bringen. Wenn möglich, sollte die Grundimmunisierung aber mit dem Impfstoff des gleichen Herstellers erfolgen.

Kinder nicht vergessen!

Kinder kommen durch das Spielen in der Natur besonders häufig mit Zecken in Kontakt, sodass der Körper nach jedem Aufenthalt im Freien gründlich abgesucht werden sollte. Zwar erweisen sich Kinder gegenüber einer FSME-Erkrankung als robuster und müssen seltener stationär behandelt werden als Erwachsene, doch bleibt für den Ernstfall auch hier nur die symptomatische Therapie. Die STIKO-Empfehlung für FSME-Impfungen in Risikogebieten erstreckt sich deshalb auch auf Kleinkinder. Sowohl die Kindervariante von Encepur® als auch FSME-Immun® sind ab dem ersten Geburtstag zugelassen. Kinder unter drei Jahren reagieren vor allem nach der ersten Impfung häufig mit Fieber. Im Fall einer antipyretischen Therapie ist Paracetamol Ibuprofen vorzuziehen, wie Prof. Reinhard Kaiser, Chefarzt der Neurologie am Helios Klinikum Pforzheim, im Interview (S. 54 in dieser Ausgabe der DAZ) begründet.

Häufig zahlt die Kasse

Für Personen, die in deutschen Risikogebieten wohnhaft sind, werden die Kosten für die FSME-Impfung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Dagegen zahlen nicht alle Kassen, wenn Versicherte lediglich in Risiko­gebiete reisen. Doch auch hier lohnt es sich, nachzufragen, insbesondere wenn die Reise beruflich bedingt ist. Im Fall von Personen, die einer erhöhten beruflichen Gefährdung durch FSME ausgesetzt sind, zählt die Impfung zum Arbeitsschutz. Bei Urlaubsreisen ins Ausland muss die FSME-Impfung in der Regel aus eigener Tasche bezahlt werden. Ein Schlupfloch könnte der Zwischenstopp in einem deutschen Risikogebiet bieten. Die Kosten für die Grundimmunisierung, also drei Impfdosen, belaufen sich derzeit auf knapp 150 Euro.

Sinkt auch die COVID-19-Mortalität?

Vergleicht man die Statistiken der Inzidenz- und Todes­raten in Bezug auf COVID-19, so werden große Unterschiede zwischen den Nationen, teilweise sogar unter Nachbarländern, sichtbar. Japanischen Forschern fiel auf, dass Länder wie Japan oder Österreich, in denen verstärkt gegen Enzephalitis, beispielsweise Japanische Enzephalitis oder FSME, geimpft wird, eine deutlich niedrigere COVID-19-­Mortalität verzeichneten als beispielsweise Italien, Spanien und die USA, wo eine solche Immunisierung kein Bestandteil des Impfprogramms ist. Ihre Hypothese: Eine Impfung gegen Enzephalitis könnte eine Kreuzimmunität gegen SARS-CoV-2 bewirken und so eine niedrigere Sterblichkeit bedingen. Basierend auf diesen rein epidemiologischen Daten handelt es sich hierbei jedoch lediglich um die Beobachtung einer Assoziation. |
 

Literatur

Antworten auf häufig gestellte Fragen zur FSME-Impfung (Stand: 25. September 2019). Informationen des Robert Koch-Instituts, www.rki.de/SharedDocs/FAQ/FSME/FSME-Impfung/FSME-Impfung.html, Abruf am 17. März 2021

Fachinformationen von Encepur®, Encepur® Kinder, FSME-Immun und FSME-Immun 0,25 ml junior

Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME). S1-Leitlinie, herausgegeben von der Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), AWMF-Registernummer: 030/035, Stand: Januar 2020

FSME: Risikogebiete in Deutschland (Stand: Januar 2021). Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts 2021;21:3-20, www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2021/Ausgaben/02_21.pdf?__blob=publicationFile

Kathoh S et al. Cross-Protection Induced By Encephalitis Vaccines against COVID-19 Might be a Reason for Relatively Lower Mortality Rate in Some Countries. Arch Acad Emerg Med 2020;8(1):e54

Mackenstedt U et al. Neuer FSME-Höchststand 2020: Experten befürchten langfristig steigenden Trend. Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 10. März 2021, https://idw-online.de/de/news764652, Abruf am 17. März 2021

Vernazza P. Covid-Kreuzimmunität – Könnte Zeckenimpfung schützen? Informationen des Fachbereichs Infektiologie am Kantonsspital in St. Gallen, Artikel vom 25. September 2020, https://infekt.ch/2020/09/covid-kreuzimmuniaet-koennte-zeckenimpfung-schuetzen/, Abruf am 17. März 2021

Zecken-Impfung: Diese Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine FSME-Impfung. Informationen der Website Krankenkassen.de, Euro-Informationen (GbR) Agentur für Verbraucherkommunikation, www.krankenkassen.de/gesetzliche-krankenkassen/leistungen-gesetzliche-krankenkassen/reisemedizin/zeckenimpfung/, Abruf am 17. März 2021
 

Autorin

Rika Rausch ist Apothekerin und Journalistin. Seit 2017 arbeitet sie neben ihrer Tätigkeit in einer öffentlichen Apotheke als freie Mitarbeiterin bei der DAZ.

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