Interpharm online 2021

Spielräume in der Vertragsgestaltung besser nutzen!

Welche Möglichkeiten das SGB V bietet

ks | Gesetzlich Krankenversicherte müssen beim Arzt und in der Apotheke grundsätzlich nicht in Vorleistung gehen, wenn sie Leistungen erhalten, die das Sozialgesetzbuch V (SGB V) regelt. Es gilt das Sachleistungsprinzip. Über die Erbringung dieser Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen Verträge mit den Leistungserbringern ab. Doch wie kommen die Krankenkassen diesem gesetzlichen Auftrag nach? Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein und des Hamburger Apothekervereins, zeigte beim ApothekenRechtTag online die Schieflagen im Vertragssystem auf.
Foto: DAZ/tmb

Dr. Thomas Friedrich

§ 2 SGB V regelt, dass die Krankenkassen ihren Versicherten die im Gesetz genannten Leistungen grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung stellen. Aus Apothekensicht relevant sind hier die Arznei- und Verbandmittel, Harn- und Blutteststreifen, bestimmte Medizinprodukte, bilanzierte Diäten zur enteralen Ernährung, medizinisches Cannabis (§ 31 SGB V) sowie Hilfsmittel (§ 33 SGB V). Doch das Gesetz regelt nicht alle Details. Zugleich heißt es in § 2 SGB V: „Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen (…) Verträge mit den Leistungserbringern“.

Die für Apotheken wichtigen Verträge schließt die Kassenseite mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) oder den Landesverbänden der Apotheken ab. Zu nennen sind hier ins­besondere der Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung, die ergänzenden Verträge auf Landesebene sowie die Verträge zur Hilfsmittelversorgung. Genauso gibt es Verträge zwischen Kassen und Ärzten über die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung. Die Herausforderung ist nun, dass diese Verträge widerspruchsfrei sind, harmonieren und zusammenpassen, erklärte Friedrich. Schließlich müssen Apotheken abgeben, was Ärzte verordnen. Hier komme den Krankenkassen eine „Scharnierfunktion“ zu.

Schwierige Begrifflichkeiten

Unter anderem sollten die verwendeten Begrifflichkeiten zusammenpassen. Dass das nicht einfach ist, zeigt schon, dass manche Termini in verschiedenen Gesetzen und Verträgen unterschiedlich verwendet werden. Ein Beispiel: Was nach dem Medizinproduktegesetz ein Medizinprodukt ist, ist nach den Lieferverträgen gemäß § 127 SGB V zumeist ein Hilfsmittel (§ 33 SGB V). Es gibt aber auch solche, die im Vertragsrecht wie (Geltungs-)Arzneimittel (§ 31 SGB V) behandelt werden (z. B. Teststreifen).

Ein anderes Beispiel zeigt, dass auch in der Vertragswelt nicht immer alles passfähig ist: So regelt etwa der einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) – das Vergütungssystem der Vertragsärzte – die Vergütung der Sichtvergabe für Ärzte bei der Opioid-Substitution. Delegiert der Arzt die Sichtvergabe an die Apotheke, darf er sie selbst nicht mehr abrechnen. Für die Apotheken verweigern GKV-Spitzenverband und die Mehrzahl der Krankenkassen bislang jedoch eine Regelung.

Öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis

Was die Krankenkassen auch zu beachten haben: Seit dem Jahr 2000 ist gesetzlich klargestellt, dass die gesamten Leistungs- und Vertragsbeziehungen unter das Öffentliche Recht fallen. Doch den sich aus dieser Zäsur ergebenden Anforderungen hinken die Verträge und auch die Rechtsprechung noch immer hinterher. So halten vor allem Taxbeanstandungsverfahren oder Vertragsmaßen einem „normalen“ öffentlich-rechtlichen Maßstab kaum stand, wie Friedrich ausführte. Dass der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V von der hohen Änderungsdynamik der gesetzlichen Regelungen geprägt ist, ändert daran offenbar wenig. Es werde vor ­allem mehr Bürokratie produziert, und ökonomische Zwänge verdrängten immer wieder die pharmazeutische Kompetenz.

Foto: Jörg Lantelme/AdobeStock

(Null-)Retaxationen als traurige Dauerbrenner: Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hängt das Recht der Apotheker auf Vergütung der jeweiligen Leistung davon ab, dass alle einschlägigen Abgabevorschriften eingehalten wurden – ein Abgabefehler führt demnach zum Nichtzustandekommen eines öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnisses und damit zum Verlust des Vergütungsanspruches.

Für die Apotheken sind vor allem die (Null-)Retaxationen ein trauriger Dauerbrenner. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hängt das Recht des Apothekers auf Vergütung davon ab, dass er alle einschlägigen Abgabevorschriften einhält – ein Abgabefehler führt zum Nichtzustandekommen eines öffentlich-rechtlichen Vertragsverhältnisses und damit zum Verlust des Vergütungsanspruches. Die Krankenkassen erhalten ihrerseits einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegenüber der Apotheke, den sie mit anderen Forderungen aufrechnen können. Dass das nicht immer verhältnismäßig ist, liegt auf der Hand. Doch es gibt einen Hoffnungsschimmer für die Apotheken: Die Aufweichung der vom BSG entwickelten Grundsätze durch Vertragsregelung hält das Gericht im weiten Maße für zulässig. Das heißt: Die Vertragspartner haben einen weiten Spielraum – und diesen gilt es zu nutzen.

Vertragspartner auf Augenhöhe?

In Bewegung ist der Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V ohnehin ständig – immerhin bestimmt er mittlerweile (nach einem Schiedsspruch aus dem Jahr 2016), in welchen Fällen eine Retaxation vollständig oder ganz zu unterbleiben hat. Zudem regelt er, welche Maßnahmen die Vertragspartner auf Landesebene ergreifen können, wenn Apotheken vertragsbrüchig werden. Das sind Verwarnungen, Vertragsstrafen oder bei groben und wiederholten Verstößen sogar temporäre Versorgungsausschlüsse. Hier machte Friedrich darauf aufmerksam, dass derzeit eine Frist für eine Ergänzung läuft: DAV und GKV-Spitzenverband sind gefordert, bis zum 30. Juni dieses Jahres die Vorgaben des Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetzes zum sozialrechtlichen Rx-Boni-Verbot für EU-Versender im Rahmenvertrag umzusetzen – EU-Apotheken, die die neuen Vorgaben nicht einhalten, sollen, so die Hoffnung, nicht ungeschoren davonkommen.

Bedenke man, dass es sich hier um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handele, der u. a. dadurch gekennzeichnet ist, dass die Vertragspartner gleichberechtigt auf Augenhöhe agieren, könne man sich über diese Regelungen durchaus wundern, erklärte Friedrich. Es gebe eigentlich kein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Krankenkasse und Apotheker – dennoch gehe der Vertrag nur von Vertragsverstößen durch Apotheken aus. Dabei sei genauso gut denkbar, dass Kassenmitarbeiter einen Fehler begehen. Der Primärkassenvertrag Schleswig-Holstein sei der einzige ihm bekannte, der hier von einem gleichberechtigten Verhältnis ausgehe.

Auch bei Taxbeanstandungsverfahren werde der öffentlich-rechtliche Prüfstandard oft nicht eingehalten. So seien die Beanstandungen, durchgeführt von einem von der Kasse beauftragten Dienstleister, zumeist nur fragmentarisch begründet. Auch fehle eine zweite Prüfinstanz, der Widerspruch der Apotheke lande in der Regel beim selben Sachbearbeiter, der das im öffentlichen Recht übliche Ermessen kaum ausübe. Von „Waffengleichheit“, so Friedrich, könne hier kaum gesprochen werden. Dazu komme, dass automatisch aufgerechnet werden könne. Nun ist die Hoffnung auf das E-Rezept groß. Hier sollten Formfehler, die jetzt noch bei der ärztlichen Verschreibung geschehen und von der Apotheke übersehen werden können, nicht mehr vorkommen. Die EDV soll nur noch korrekte Rezepte zulassen.

Bleibt zu hoffen, dass bei künftigen Verträgen auf Augenhöhe geachtet wird und Spielräume genutzt werden. Derzeit verhandeln DAV und GKV-Spitzenverband (und im Benehmen mit dem PKV-Verband) die mit dem VOASG neu eingeführten pharmazeutischen Dienstleistungen – bis 20. Juni sollen sie so weit sein. Bislang dringt zum Verhandlungsstand wenig nach außen. Klar ist aber: Wird die Frist nicht eingehalten, muss die Schiedsstelle angerufen werden. |

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