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Pandemie Spezial
Virusreservoir Mund
Infektionsschutz durch Reduktion des Biofilms?
Speichel wurde bereits als einer der kritischen Wege einer interindividuellen SARS-CoV-2-Übertragung identifiziert. Ebenso konnte virale RNA in Speicheldrüsen nachgewiesen werden. Brasilianische Forscher vermuteten, dass Speichel nicht die einzige intraorale Nische ist, in der sich Viren befinden können. Schließlich beherbergen Zähne, Zahnrinne, Zunge, Wangenschleimhaut, Gaumen und Mandeln verschiedene Arten von Mikroorganismen – einschließlich Viren. In der vorliegenden Beobachtungsstudie untersuchten die Wissenschaftler das Vorhandensein von SARS-CoV-2-RNA im dentalen Biofilm bei symptomatischen Patienten, die aus oro- oder nasopharyngealem Abstrich positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren [1]. Als Biofilm bezeichnet man die Zusammensetzung von Bakterien, die durch Co-Aggregationsmechanismen (das heißt genetisch unterschiedliche Bakterien binden sich über bestimmte Moleküle aneinander) als Bakterienfamilien agieren und sich gegenseitig langfristig stabilisieren. Biofilme besiedeln eine Vielzahl von feuchten Oberflächen und sind chemisch meist nur schlecht zu entfernen [2]. Zwischen Juli und September 2020 sammelten die Wissenschaftler Zahnbiofilmproben und analysierten diese mittels quantitativer Echtzeit-Polymerasekettenreaktion (RT-qPCR), um das Vorhandensein von SARS-CoV-2 zu bestimmen. Bei den Probanden handelte es sich um 70 Krankenhausmitarbeiter (40 ± 9,8 Jahre, 71% weiblich), die grippeähnliche Symptome aufwiesen und positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren. Bei 13 der Probanden (19%) konnte im Biofilm SARS-CoV-2-RNA nachgewiesen werden. Patienten mit positivem Befund des Biofilms wiesen auch eine höhere Viruslast im oro- oder nasopharyngealen Abstrich auf, als solche Patienten mit einem negativen Biofilmbefund. Die Studienautoren schließen daraus, dass Zahnbiofilme von symptomatischen COVID-19-Patienten als potenzielles Reservoir eine wesentliche Rolle bei der COVID-19-Übertragung spielen können [1].
Mundspüllösungen gegen den Biofilm?
Da gerade bei zahnmedizinischen Behandlungen das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 mittels Speichel und Biofilm besteht, beschäftigten sich Experten aus Medizin und Zahnmedizin im Rahmen eines Round-Table-Gesprächs mit der Frage, welchen Beitrag Mundspüllösungen beim Infektionsschutz leisten können. Der Fokus lag dabei auf den antibakteriellen und viruziden Eigenschaften insbesondere von Chlorhexidin (CHX) und Cetylpyridiniumchlorid (CPC). Spülen und Gurgeln mit Schleimhautantiseptika kann die bakterielle Keimzahl reduzieren und zur Infektionsprophylaxe im Hinblick auf viele Pathogene beitragen, darin waren sich die Experten einig. Der Verdacht liegt nahe, dass Wirkstoffe, die bei In-vitro-Untersuchungen die Viruslast senken konnten, eventuell auch in vivo im Rachen- und Mundraum eine potenzielle SARS-CoV-2-Konzentration reduzieren können [3]. Auch wenn es bislang keine klinischen Daten gibt, die dies belegen, empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde in einer Leitlinie, Patienten vor jeder Behandlung mit einer 0,2%igen Chlorhexidin- oder 0,05%igen Cetylpyridiniumchlorid-Lösung spülen zu lassen. Alternativ können auch spezielle Formulierungen ätherischer Öle eingesetzt werden. In der Vorgängerversion dieser Leitlinie wurden darüber hinaus noch andere Substanzen wie H2O2, Povidon-Iod oder Natriumhypochlorit zum Spülen empfohlen, in der aktualisierten Fassung vom März 2021 wurden diese jedoch gestrichen [4]. Prinzipiell sollte beim Spülen der Kopf in den Nacken gelegt werden, damit der Rachenraum möglichst gut erfasst wird. Hier befindet sich Speichel aus dem hinteren Oropharynx, welcher als Kompartiment des Respirationstrakts meist eine höhere SARS-CoV-2-Replikation aufweist als Speicheldrüsen [3].
Bei Chlorhexidin handelt es sich um ein zweifach positiv geladenes Bisbiguanid, welches in Mundspüllösungen meist als Digluconat in Konzentrationen zwischen 0,05% bis 0,2% eingesetzt wird. Aufgrund guter Haftfähigkeit sowie eines breiten antimikrobiellen Wirkspektrums gegen grampositive und gramnegative Bakterien, Hautpilze, Hefen und einige behüllte Viren eignet es sich zur Haut- und Schleimhautdesinfektion. Chlorhexidin verändert durch seine Affinität zur Zellwand der Mikroorganismen die Oberflächenbeschaffenheit dieser. Durch Adsorption von Chlorhexidin kommt es zu einer Störung des osmotischen Gleichgewichts und somit zur Zerstörung der Zytoplasmamembran der Erregerzelle [5]. Chlorhexidin hat mit zwölf Stunden eine hohe Substantivität (Vermögen, am Wirkort verfügbar zu sein) und gilt als Goldstandard zur Biofilmkontrolle [3].
Cetylpyridiniumchlorid, eine quartäre Ammoniumverbindung, wird in Konzentrationen von 0,05% bis 0,075% eingesetzt. Der Wirkmechanismus ähnelt dem von Chlorhexidin, Cetylpyridiniumchlorid hat aber ein breiteres Wirkungsspektrum. Aufgrund der geringeren Größe, der Molekülstruktur sowie der nur einfach positiven Ladung dringt Cetylpyridiniumchlorid im Biofilm in tiefere Schichten ein als Chlorhexidin. In In-vitro-Untersuchungen konnte eine Reduktion der Viruslast von SARS-CoV-2 um das 1000- bis 100.000-Fache durch Cetylpyridiniumchlorid gezeigt werden. Nachteilig gegenüber Chlorhexidin ist die geringere Substantivität von lediglich drei bis fünf Stunden. Besonders effektiv könnte demnach eine Kombination von Chlorhexidin und Cetylpyridiniumchlorid sein. Dies ermöglicht die Reduktion der Chlorhexidin-Konzentration ohne Effektivitätsverlust. Dadurch könnte das Auftreten von Chlorhexidin-typischen Nebenwirkungen wie Verfärbungen, Geschmacksirritationen, Schleimerosionen und Zahnsteinbildung verringert werden [3].
Neben dem chemischen Biofilmmanagement spielt auch die mechanische Komponente eine Rolle. Dr. Dieter Hoffmann, Stellvertretender Leiter des Instituts für Virologie der Technischen Universität München, erklärte im Expertengespräch, dass er in eigenen Untersuchungen in vivo eine Reduktion der Viruslast im Nasen-Rachen-Raum durch Zähneputzen feststellen konnte [3]. Eine gute Mundhygiene könnte somit in Pandemiezeiten nicht nur essenziell für die Zahngesundheit sein, sondern eventuell auch das Risiko der Weitergabe von SARS-CoV-2 reduzieren. Die klinische Relevanz muss allerdings durch weitere Studien erst noch bestätigt werden. |
Literatur
[1] Gomes SC et al. Dental biofilm of symptomatic COVID-19 patients harbors SARS-CoV-2. J Clin Periodontol 2021, https://doi.org/10.1111/jcpe.13471
[2] Kielbassa AM et al. Der dentale Biofilm. ZWP online 28. Februar 2011, www.zwp-online.info/fachgebiete/prophylaxe/diagnostik/der-dentale-biofilm
[3] Infektionsschutz und Biofilmkontrolle: Diese Mundspüllösungen wirken gegen Corona und den Biofilm. Dentalmagazin vom 2. März 2021, www.dentalmagazin.de/praxiszahnmedizin/prophylaxe/mundspuelloesung-gegen-corona-und-biofilm/
[4] Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern. AWMF S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, AWMF-Registernummer 083-046, Stand: März 2021
[5] Chlorhexidin. Informationen der Gelben Liste, www.gelbe-liste.de/wirkstoffe/Chlorhexidin_609, Abruf am 6. Mai 2021
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